29. Dezember 2022

Instrumentalisierung Israels durch die USA, 1996 bis 2018

Ein sauberer Bruch: Eine neue Strategie zur Sicherung des Reiches
Die mißlungene Instrumentalisierung Israels zur Durchsetzung US-amerikanischer strategischer Interessen im Mittleren Osten und die Folgen. trend onlinezeitung 04/03, 16. April 2003


Benjamin Netanyahu war vor 22 Jahren klüger, als er heute ist?

Update, vom 10. Mai 2018
So getäuscht habe ich mich schon lange nicht mehr, ich geb's zu! 😂

Der im Mai 1996 zum israelischen Premierminister gewählte Benjamin Netanyahu hat es trotz seiner intimen Kenntnis der USA mit diesen nicht leicht. In den 80er Jahren gehört er als Mitglied seiner Botschaft der ersten Delegation zur Verhandlung einer strategischen Zusammenarbeit zwischen Israel und den USA an. Dann wird er für vier Jahre Israels UN-Botschafter. 1988 kehrt er nach Israel zurück und wird als Likud-Abgeordneter Stellvertretender Außenminister. Während des ersten Golfkrieges festigt er im internationalen Einsatz seine politische Position.

Im Zuge der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des von den USA gewonnenen Golfkrieges veränderten geopolitischen Lage im Mittleren Osten lädt US-Außenminister James Baker, die Lage nutzend, Israel, Jordanien, den Libanon, die Palästinenser und Syrien im Oktober 1991 nach Madrid zu Friedensverhandlungen ein. Hier profiliert sich Benjamin "Bibi" Natanyahu in direkten Verhandlungen zwischen Israel einerseits und Syrien, dem Libanon sowie einer gemeinsamen jordanisch-palästinensischen Delegation andererseits weiterhin als ausgezeichneter Fachmann, was ihm im März 1993 den Vorsitz des Likud und im Mai 1996 die Wahl zum Premierminister einbringt.

Dem frisch gewählten Premierminister legt am 8. Juli 1996 eine "Studiengruppe zu einer Neuen israelischen Strategie in Richtung auf das Jahr 2000" des Jerusalemer Institute for Advanced Strategic and Political Studies (IASPS) einen sechs Seiten umfassenden Bericht vor. "Ein sauberer Bruch: Eine Neue Strategie zur Sicherung des Reiches".

Es ist ein mißlungener Versuch der Instrumentalisierung Israels zur Durchsetzung US-amerikanischer strategischer Interessen im Mittleren Osten.


Die acht Mitglieder der Studiengruppe sind:


  • Richard Perle, American Enterprise Institute, Leiter der Studiengruppe
  • James Colbert, Jewish Institute for National Security Affairs
  • Charles Fairbanks, Jr., Johns Hopkins University/SAIS
  • Douglas Feith, Feith and Zell Associates
  • Robert Loewenberg, Präsident, IASPS
  • Jonathan Torop, The Washington Institute for Near East Policy
  • David Wurmser, Institute for Advanced Strategic and Political Studies
  • Meyrav Wurmser, Johns Hopkins University 
Verfasser des Berichtes ist Richard Perle.

Der Bericht soll dem Premierminister teilweise als Redevorlage dienen. Die in der Rede wörtlich zu zitierenden Stellen sind hervorgehoben. Die strategische Richtung der Politik Israels ist im einzelnen vorgegeben:

--- Enge Zusammenarbeit mit der Türkei und Jordanien zur Begrenzung, Destabilisierung und Zurückdrängung einiger der schlimmsten Bedrohungen,

--- grundsätzliche Änderung der Beziehungen zu den Palästinensern, einschließlich der Aufrechterhaltung des Rechtes auf "hot pursuit", des hart auf den Fersen Bleibens, hinein in die palästinensischen Gebiete, zur Selbstverteidigung, und Unterstützung von Alternativen zu Jasser Arafat, sowie

--- Schmieden einer neuen Grundlage für die Beziehungen zu den USA, mit Betonung auf Selbständigkeit, Reife, strategischer Zusammenarbeit in Bereichen beiderseitigen Interesses.

Benjamin Netanyahu soll Israel aus dem Griff der Arbeiterpartei befreien, die die zionistische Bewegung 70 Jahre beherrscht habe. Um den Zionismus wieder aufzubauen, müsse umgehend mit Wirtschaftsreformen begonnen werden.

Den USA könne es gefallen, wenn Israel gegen die Hizbollah, Syrien und den Iran vorginge, durch Kampf gegen syrisches Drogengeld, durch militärische Angriffe auf Syrien vom Libanon aus, mittels Stellvertreterkämpfern (proxy forces), und israelische Angriffe auf syrische militärische Ziele im Libanon, und wenn sich das als unzureichend herausstelle, auf ausgewählte Ziele in Syrien selbst. Israel wird von der Studiengruppe beauftragt, sein strategisches Umfeld neu zu ordnen, gemeinsam mit der Türkei und Jordanien die Macht Syriens zu schwächen, einzudämmen und zurückzudrängen.

"Diese Anstrengung kann sich auf die Beseitigung Saddam Husseins von der Macht im Irak konzentrieren - ein von sich aus wichtiges strategisches Ziel Israels - als Mittel, die regionalen Ambitionen Syriens zu durchkreuzen."

Erwogen wird, was auch im Interesse Israels sei, die Wiedereinsetzung des haschemitischen Königshauses im Irak. König Hussein von Jordanien habe derartige herausfordernde Vorschläge gemacht, was Syrien und Iran veranlaßt habe, sich für den Erhalt eines geschwächten, nur eben überlebensfähigen Saddam Hussein auszusprechen. Wenn die Haschemiten im Irak herrschten, könnten sie von Nadschaf aus die Schiiten von der Hizbollah, dem Iran und Syrien abhalten.

Die bisherige aktive Unterstützung Israels durch die USA habe die andauernde Bestechung repressiver und aggressiver Regime erfordert, was gefährlich, teuer und kostspielig sowohl für die USA als auch für Israel gewesen sei. Die USA seien dadurch in eine Rolle geraten, die sie weder haben noch wünschen sollten. Von Israel wird eine gleichberechtigte Partnerschaft auf der Grundlage von Selbständigkeit, Reife und Gegenseitigkeit verlangt, die nicht eng auf umstrittene Gebiete konzentriert sein dürfe. Israel müsse sich in die Lage versetzen, seine eigenen Angelegenheiten allein zu regeln und sich selbst zu verteidigen, auch auf den Golanhöhen.

Die Ersetzung der sozialistischen Grundlagen Israels durch solidere Verhältnisse, durch Liberalisierung der Wirtschaft, Steuersenkungen, Einrichtung einer Freihandelszone und Veräußerung staatlicher Ländereien und Betriebe, seien dazu Voraussetzung. Das würde auch Israel-freundliche Abgeordnete wie den Fraktionsvorsitzenden Newt Gingrich elektrisieren und beeindrucken. Benjamin Netanyahu könne zusätzlich seinen Wunsch deutlich machen, mit den USA noch enger bei der Aufrüstung des Weltraumes (NMD) zusammenzuarbeiten. Das alles möglichst noch vor den Präsidentschaftswahlen in den USA, im November 1996.

Die Aufforderungen der US-Falken, Syrien und den Irak anzugreifen, weist Benjamin Netanyahu weise zurück. Wenn man sieht, welch eines militärischen Aufwandes der USA und Großbritanniens es jetzt bedurfte, sich Saddam Husseins und seiner Regierung zu entledigen, kann man die Infamie der Vorschläge der Studiengruppe ermessen. Es ist fraglich, ob die Pläne des Pentagons, sich nun unmittelbar Syriens anzunehmen und das Land mit Krieg zu überziehen, von den USA wirtschaftlich und politisch verkraftet werden können.

Der Bericht zeigt deutlich, daß Israel den USA zu teuer wird. Es ist weiter aufschlußreich, daß die Mitglieder der Studiengruppe, mehrheitlich Juden der USA, sich wenig um das Ergebnis ihrer Vorschläge für das Schicksal Israels und seines Fortbestehens zu kümmern scheinen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die USA die militärischen Abenteuer Israels in Syrien und im Irak unterstützt hätten, so wäre doch ein Angriff arabischer Staaten auf Israel wahrscheinlich geworden. Was das für Israels Fortbestehen bedeutet hätte, kann man sich ausmalen.

Hinzu kommt auch, daß Israel genau wie andere "Freunde" der USA allen Grund hat, diesen zu mißtrauen. Zwar sieht man hierzulande die USA als die Verteidiger Israels an, Antisemiten verbreiten sogar, der Krieg im Mittleren Osten werde für Israel geführt, aus dem Bericht geht jedoch etwas anderes hervor, nämlich, daß Israel von den USA genauso behandelt wird wie jedes Land. Es hat sich wirtschaftlich zu öffnen, und es hat den USA nicht zur Last zu fallen.

Der Krieg im Mittleren Osten wird unabhängig davon geführt, was für Israel dabei herauskommt.

Reuel Marc Gerecht: Ein Irakkrieg wird den Mittleren Osten nicht destabilisieren

Der Krieg ist zu allererst im Interesse der defizitären US-Wirtschaft. Den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern hätten die USA gemeinsam mit der "internationalen Staatengemeinschaft" längst anderweitig lösen können. Es war nicht in ihrem Interesse, denn die Unterstützung der einflußreichen Juden für die hegemonialen Bestrebungen der USA kann nur gesichert werden, wenn bei jenen der Eindruck vorherrscht, die Anstrengungen würden zugunsten Israels unternommen. Weder George W. Bush noch Donald Rumsfeld, Dick Cheney, Frank Carlucci noch andere Großverdiener am Krieg sind Juden. Sie wissen die Juden zu ihren Gunsten zu manipulieren, und einige von ihnen verdienen gut daran. Die Angst der Juden um ihren Staat, in den sie, wenn nötig, emigrieren können, wird von den Verdienern am Rüstungs- und  Erdölgeschäft für ihre Zwecke ausgenutzt.

Das Imperium wählt seine Ziele nicht auf Grund von Vorzügen, es schützt keine "alten Freunde". Jugoslawien war ein treuer Diener - aber Jugoslawien wurde zerstört. Die Baath-Faschisten wurden mit allen Mitteln gegen die Iraner unterstützt, aber noch bevor der Kalte Krieg richtig bendet war, wurde der Irak mit Bomben überzogen. Die Leute sehen die USA als Israels Verteidiger an - aber die Geheimdienste der USA haben anti-israelische Organisationen im gesamten Mittleren Osten finanziert, einschließlich in der West Bank, im Gaza Streifen und in Israel selbst. US-kontrollierte Staaten wie Katar finanzieren anti-israelische Fernsehprogramme, und die CIA hat kurz nach der Unterzeichnung des Vertrages von Oslo, wenn nicht schon vorher, damit begonnen, PLO-Kräfte militärisch auszubilden. Man kann sagen: Das Imperium hat keine Freunde, es hat nur zukünftige Opfer, schreibt Jared Israel.

Who is this U.S. Official in Charge of Afghanistan and the Iraqi Opposition?
Zalmay Khalilzad - Envoy for Islamic Terror. Compiled with comments by Jared Israel,

Als Israel nicht mittut, nicht den Stellvertreter für die Vertretung der Interessen der US- Rüstungs- und Erdöl-Lobby im Mittleren Osten abgibt, wird im Frühjahr 1997 das Project for the New American Century (PNAC) zur Förderung der amerikanischen Weltführung (to promote American global leadership) gegründet. Das Projekt ist eine Initiative des Herausgebers des "Weekly Standard" William Kristol. Er ist dessen Präsident. Exekutivdirektor des PNAC ist Gary Schmitt.

Rise and Demise of the New American Century. By Tom Barry, 

Die erste Erklärung des PNAC, vom 3. Juni 1997, geht mit der Außen- und Verteidigungspolitik Clintons ins Gericht. Sie entsprächen nicht der Vormachtstellung der USA in der Welt, und das Verteidigungsbudget sei zur Durchsetzung der weltweiten amerikanischen Interessen unzureichend. Die Erklärung fordert auf, Unterstützung für die Weltführung der USA zu sammeln.

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts, meint die Erklärung, sollte die USA gelehrt haben, daß die amerikanische Weltführung offensiv wahrgenommen werden muß. Das müsse folgende Konsequenzen haben:

--- signifikante Aufstockung des Verteidigungshaushaltes, wenn die weltweiten Verantwortungen wahrgenommen und die Modernisierung der Streitkräfte in Zukunft gesichert werden sollen,

--- Verstärkung der Bindungen zu demokratischen US-Verbündeten und Herausforderung an Regime, die den US-Interessen und -Werten feindlich gesonnen sind,

--- Förderung politischer und wirtschaftlicher Freiheit im Ausland,

--- Übernahme der Verantwortung für die einzigartige Rolle der USA zum Schutz und zur Ausweitung einer der Sicherheit, dem Wohlergehen und der Werte der USA wohlgesonnenen internationalen Ordnung.

Diese Erklärung, das Gründungs-Statement, wurde unterschrieben von 25 neo-konservativen Politikern, von denen einige heute in höchstrangigen Stellungen der US-Regierung sind:

Elliott Abrams, Gary Bauer, William J. Bennett, Jeb Bush, Dick Cheney, Eliot A. Cohen, Midge Decter, Paula Dobriansky, Steve Forbes, Aaron Friedberg, Francis Fukuyama, Frank Gaffney, Fred C. Ikle, Donald Kagan, Zalmay Khalilzad, I. Lewis Libby, Norman Podhoretz, Dan Quayle, Peter W. Rodman, Stephen P. Rosen, Henry S. Rowen, Donald Rumsfeld, Vin Weber, George Weigel, Paul Wolfowitz

Mitglieder des PNAC schreiben seit dessen Gründung, 1997, mehr als ein Dutzend Offene Briefe an den US-Präsidenten, darunter, mit Datum vom 26. Januar 1998 und vom 19. Februar1998, an William J. Clinton, und mit Datum vom 20. September 2001 an George W. Bush.

Sie fordern zunächst von William J. Clinton und dann von George W. Bush die sofortige Ausdehnung des US-Krieges auf den Irak, und sie fordern, Kriegsdrohungen an den Iran, an Syrien und an jeden Staat zu übermitteln, der sich dem Willen der USA nicht beugt. Sie fordern dazu eine massive Aufstockung des Verteidigungshaushaltes. Das PNAC gibt des öfteren Erklärungen (Statements) zu außenpolitischen und militärstrategischen Fragen heraus. Sie dienen ebenfalls der Anheizung von Auseinandersetzungen, Krisen und Kriegen in aller Welt.

Am 23. Januar 2003 fordert das PNAC in einem dieser Briefe an den US-Präsidenten George W. Bush eine Aufstockung des US-Verteidigungshaushalts um 70 bis 100 Milliarden Dollar.

Der sich ohnehin schon auf 400 Milliarden Dollar belaufende Haushalt soll nun weiter wachsen, um jetzt und in der Zukunft einer Vielzahl weltweiter Herausforderungen gerecht werden zu können, um "unsere Interessen und unsere Prinzipien auf dem ganzen Globus angemessen zu verteidigen. Saddam zu beseitigen ist nur der erste Schritt in Richtung auf den Wiederaufbau einer anständigen (decent) Regierung im Irak und der Ausführung Ihrer strategischen Vision für den Mittleren Osten. Andere Schurkenstaaten bleiben ein wichtiges Problem. In der Tat stehen wir jetzt dem Szenario der zwei Kriege gegenüber: Selbst wenn wir Truppen für den Krieg gegen den Irak einsetzen, hat Nordkorea seinen Vertrag zur Beendigung der Entwicklung von Nulearwaffen außer Kraft gesetzt und droht mit Krieg, wenn es nicht befriedet wird. Das dritte Mitglied der 'Achse des Bösen', Iran, hat ebenfalls seine Nuklearanstrengungen erhöht", schreiben die Unterzeichner an den US-Präsidenten.

Die USA bereiteten die Ausdehnung ihrer Präsenz von Kabul aus in die umliegenden Provinzen vor, die Truppen würden dabei auch über die Grenzen, nach Pakistan hinein vorstoßen, und die USA hätten sich zu einer langfristigen militärischen Präsenz in Zentralasien verpflichtet. China entwickle, wie die US-Regierung selbst einräume, fortgeschrittene militärische Fähigkeiten, die ihre Nachbarn bedrohen können. Nicht zu vergessen, daß amerikanische Truppen auf dem Balkan und im Sinaï den Frieden sicherten und an unzähligen anderen Krisenherden der Welt patroullierten.

Welche Folgen für Israel diese größenwahnsinnige Politik haben wird, darüber macht sich keiner der als Statthalter Israels geltenden amerikanischen Juden Sorgen. Sie sind wie Richard Perle mit der US-Rüstungsindustrie engstens verbunden, dort liegt ihre Loyalität. Die Mitglieder der Studiengruppe von 1996 sind heute sämtlich in hohen Regierungsämtern oder in ultrakonservativen Institutionen tätig. James Colbert, Charles Fairbanks, Robert Loewenberg und Jonathan Torop sind in denselben Instituten wie 1996:

--- Richard Perle war bis vor kurzem Vorsitzender des Verteidigungsrates des Pentagon, wo er heute als Mitglied tätig ist.

--- Douglas Feith ist Staatsekretär für Politik im Pentagon. Er hat über die Jahre die meisten Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern hintertrieben.

--- David Wurmser ist im US-Außenministerium spezieller Assistent des Staatssekretärs für Waffenkontrolle und internationale Sicherheit John Bolton. Dieser hat israelischen Regierungsbeamten im Februar 2003 erklärt, daß die USA sich nach dem Sieg im Irak umgehend mit dem Iran, Syrien und Nordkorea befassen würden (deal with).

--- Meyrav Wurmser ist Mitbegründerin des in Washington ansässigen Middle East Media Research Institute (Memri), das arabische Artikel ins Englische übersetzt und verbreitet.

--- Im in Washington ansässigen Jewish Institute for National Security Affairs (Jinsa) des James Colbert sind u.a. Dick Cheney, John Bolton und Douglas Feith Mitglieder des Aufsichtsrats. Dort sitzen ebenfalls ehemalige US-Offiziere, die beste geschäftliche Kontakte zu US-Rüstungsfirmen haben, die Israel mit Waffen beliefern.

Der Exekutivdirektor des Jinsa Tom Neumann erklärt, daß Jordanien den Irakkrieg mit Hilfe der USA überstehen werde, ebenso wie einige Scheichtümer, das jetzige saudische Regime dagegen wahrscheinlich nicht. Nach dem Sieg über Saddam Hussein, der ja inzwischen errungen ist, solle eine haschemitische Monarchie in Baghdad errichtet werden. Die USA denken dabei an Hassan, den Bruder des verstorbenen jordanischen Königs Hussein. Um seine Einsetzung als König wird sich Michael Rubin, vom American Enterprise Institute (AEI), demnächst kümmern. Irak jedenfalls sei nur der Anfang, der "taktische Angelpunkt", wie Laurent Murawiec, von der Rand Corporation, eingeladen von Richard Perle, dem Pentagon vorstellt. Das strategische Ziel sei Saudi-Arabien und das Endziel Ägypten.

Und so meint George Friedman, Begründer von STRATFOR, denn auch: "Irak ist eine Kampagne in einem viel größeren Krieg, und nicht ein Krieg für sich selbst. Wir glauben nicht, daß der Krieg jetzt zu Ende ist." Es seien außerordentlich komplexe politisch-militärische Aufgaben (missions) zu erfüllen. Besonders im Norden bleibe die Lage zwischen Kurden, Türken, Iranern und Syrern komplex, dynamisch und undurchsichtig.

Den Süden, um Nadschaf und Kerbala erwähnt er nicht. Dort ist die Lage noch heikler, denn mit Kurden und Türken werden die USA allemal fertig, aber die Iraner und ihr Einfluß auf die schiitischen Massen sind nicht zu unterschätzen. Das Schicksal des aus dem Exil in England heimgekehrten Ayatollahs Sayyid Abd el-Majid al-Khoei mag dafür exemplarisch stehen. Was mit der dritten Verwaltungseinheit, der Hauptstadt Baghdad passiert, wird ebenfalls zeigen, daß der Krieg nicht vorbei ist. Auf die Entscheidungen der "Bürgermeisterin" Barbara Bodine darf man gespannt sein. Beste Kontakte nach Saudi-Arabien hat sie. Während ihrer Amtszeit wurde die USS Cole von Terroristen bombardiert. Es war Barbara Bodine, die in ihrer Eigenschaft als Botschafterin der USA im Jemen den FBI-Beamten John O'Neill daran gehindert hat, seine Untersuchungen über Osama bin Laden und die al-Kaida fortzusetzen: Jean-Charles Brisard und Guillaume Dasquié: "Die verbotene Wahrheit. Die Verstrickungen der USA mit Osama bin Laden".

After Iraq: The Ongoing Crisis, by Dr. George Friedman, 
The STRATFOR Weekly, 10 April 2003
Atskatā par kaŗa iemesliem. "Im Rückblick auf die Kriegsgründe"

Stratfor has argued that the United States had two fundamental reasons for invading Iraq:

1. To transform the psychology of the Islamic world [sic], which had perceived the United States as in essence weak and unwilling to take risks to achieve its ends.

2. To use Iraq as a strategic base of operations from which to confront Islamic regimes that are either incapable of or unwilling to deny al Qaeda and other Islamist groups access to enabling resources. 

George Friedman nennt als zwei Gründe, die STRATFOR für den Angriffskrieg sieht:

--- Verwandlung der Psychologie der islamischen Welt [sic], die die USA bislang als grundsätzlich schwach und unwillig angesehen hätten, Risiken einzugehen, um ihr Ziel zu erreichen.

--- Nutzung des Irak als eine strategische Basis, von der aus diejenigen islamischen Regime angegangen werden, die entweder unfähig oder unwillig seien, der al-Kaida oder anderen islamistischen Gruppen Zugang zu sie stärkenden Ressourcen zu verweigern.

Merkwürdig ist seine Einschätzung, die USA seien aus dem Krieg als weniger abhängig von anderen hervorgegangen. Washington müsse nun weiter handeln, um die Furcht in den arabischen Staaten aufrecht zu erhalten, und gleichzeitig deren Haß abzubauen. Wie es den Irak verwalte, daran sei das Ergebnis zu messen. Geostrategisch seien die USA bereits vom Irakkrieg in die Phase der Konfrontation mit den umliegenden Staaten übergegangen.

Die Probleme Syrien, Türkei und Iran stünden an. Donald Rumsfeld habe ja bereits nicht mehr ausgeschlossen, daß kriegerische Maßnahmen gegen Syrien ergriffen würden. Die syrische Lage könnten die USA in den Griff bekommen.

Die Türkei sei einer der wichtigsten strategischen Verbündeten der USA im Mittleren Osten, zum nördlichen Kaukasus, nach Südosteuropa und zum Iran. Ein andauerndes Zerwürfnis mit der Türkei sei unannehmbar. Der Schlüssel zu einer Annäherung liege in der Begrenzung der Hoffnung der Kurden. Diese werden dann wohl wieder von den USA betrogen. Die Erdölfelder von Kirkuk und Mossul jedenfalls werden sie nicht erhalten.

George Friedmans Einschätzung der Beziehung der USA zum Iran zeigt die Hilflosigkeit, die in den USA diesem Land gegenüber herrscht. Während Teheran die Möglichkeit stillschweigender Übereinkünfte mit den USA offenhalte, könnten die pro-iranischen Schiiten jederzeit einen Guerillakrieg gegen die USA beginnen. Iran wird seiner Ressourcen und seiner Politik wegen als potentiell am gefährlichsten eingeschätzt.

Zu allem komme hinzu, daß die USA ihre Beziehung zu Großbritannien regeln müßten. Dieses Land steht zwischen Europa und den USA. Die Beziehungen zu Deutschland, Frankreich und Rußland sind ebenfalls gestört. Die Tatsache, daß die USA ihren Krieg ohne die Unterstützung dieser Staaten hätten führen können, bedeute, daß die USA von ihnen unabhängig seien. Der Irakkrieg habe in aller Öffentlichkeit gezeigt, daß diese Staaten für die USA unwesentlich seien (irrelevant). Nun könnten die USA ihre alleinige Kontrolle über den Irak nicht aufgeben, ohne die Ziele aufzugeben, für die der Krieg geführt worden sei.

Die Argumentation des Dr. George Friedman ist noch nie so inkonsistent gewesen wie in dieser Einschätzung der Lage nach dem Irakkrieg. Dieser ansonsten scharfe Analytiker versagt auf der ganzen Linie. Er kann seiner Clientel einfach nicht liefern, was diese lesen möchte. Die USA sprechen den Staaten des Mittleren Ostens, Israel eingeschlossen, das Recht auf Eigeninteressen ab. Deutschland, Frankreich und Rußland werden ebenfalls keine Eigeninteressen zugebilligt. Deshalb können sie diese Interessen nicht klar einschätzen. Deshalb wird Frankreich beispielsweise in zahlreichen Haßartikeln des Opinion Journal des Wall Street Journal als feige, Deutschland als deppert und Rußland als immer schon unzuverlässig eingestuft.

Der erste US-Falke, der kalte Füße kriegt, scheint Robert Kagan zu sein, der Ehemann der berüchtigten Victoria Nuland. Er, der gemeinsam mit William Kristol und den anderen Falken seit der Gründung des PNAC, im Frühjahr 1997, das lauteste Kriegsgeschrei angestimmt hat, läßt ganz neue Töne vernehmen: "Supermächtigen Versuchungen widerstehen", ist seine Kolumne in der Washington Post, vom 9. April 2003, überschrieben. Resisting Superpowerful Temptations.

Er wendet sich dagegen, Ahmad Chalabi als irakischen Präsidenten einzusetzen, denn es gebe auch Führer aus dem Lande. Der Schiite Ahmad Chalabi ist mit einigen abenteuerlichen Ausnahmen seit 1958 im Exil. Es mag allerdings diese Argumentation mit dem Wunsche zusammenhängen, den haschemitischen König Hassan in Bagdad zu krönen.

Robert Kagan plädiert weiterhin für einen Ausgleich mit der Türkei. Wenn man der Einschätzung des George Friedman über die strategische Wichtigkeit er Türkei folgt, wäre der Schritt nur vernünftig. Diesen Schritt will Robert Kagan tun. Er meint, der Welt einzige Supermacht habe es nicht nötig zu schmollen, und manchmal könnte sie sich das auch gar nicht leisten.

Für die Beziehung zu Europa sieht er es ähnlich. Zwar sollte man Tony Blair belohnen und man könne auch keine größeren Geschäfte mit Frankreich machen, solange Jacques Chirac sich als großes Gegengewicht zu den USA präsentiere, aber die EU sei eben die dominierende politische Institution in Europa. Das ablehnende Europa zu strafen, würde Tony Blair zu Hause nicht helfen.

Man traut auch seinen Augen nicht, wenn man liest, Colin Powell habe in Brüssel eine gute Arbeit geleistet. Deutschland wird besonders gelobt, da es den USA während des Irakkrieges die Überflugrechte nicht verweigert, die Nutzung der Militärbasen nicht untersagt, und da es Patriot Raketen an Israel geliefert habe. Je mehr die USA Deutschland "straften", desto mehr trieben sie ein ängstliches, isoliertes Deutschland (an anxious, isolated Germany!) in die offenen Arme Frankreichs.

Die USA müßten auch über das Ende des Irakkrieges hinaus die öffentliche Meinung weltweit beeinflussen, um die Notwendigkeit des Krieges nachträglich zu verdeutlichen. Herzen und Hirne in Europa, vielleicht sogar in der arabischen Welt könnten gewonnen werden.

Zum Schluß plädiert Robert Kagan dafür, daß irgendein Milliardär etwas Ähnliches wie ein "Holocaust Museum" in Bagdad finanzieren sollte, um an die Leiden zu erinnern, die im letzten Vierteljahrhundert über die irakischen, kuwaitischen und iranischen Menschen gebracht wurden.

Da zeigt sich wieder die Relativierung des Verbrechens der Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Deutschen. Man kann von dem diktatorischen Regime des Saddam Hussein sagen, was man will, es ist niemals gleichzusetzen mit dem Nazi-Regime, das ein ganzes Volk, nur weil es zu einer mißliebigen Rasse gehörte, ausrotten wollte, und es größtenteils ausgerottet hat. Die US-Falken instrumentalisieren einfach alles, wenn es darum geht, die Hegemonie der USA zu sichern, auch tote Juden, lebende Juden, Israel.

Update, vom 10. Mai 2018

What a difference a day makes!


Heute schlage ich den Figaro auf und traue meinen Augen nicht. Da  gibt es einen Artikel des Moskau-Korrespondenten Pierre Avril mit Sätzen wie "Wladimir Putin wird keine gemeinsame Sache mit den Europäern machen, um den Nuklearvertrag mit dem Iran zu retten", und "Moskau unterhält exzellente Beziehungen zu Israel, während dieses sich im Krieg gegen Damaskus befindet und Teheran als seinen Hauptfeind zählt."

Na, und so weiter. Dazu gibt es ein Foto von Wladimir Putin mit seinen Ehrengästen Benjamin Netanyahu und dem serbischen Ministerpräsidenten Alexandar Vucic beim "Marsch des Unsterblichen Regiments". Alle drei tragen in ihren Händen Fotos von Angehörigen, die im "Großen vaterländischen Krieg" gegen  die Deutschen gekämpft haben oder sonst wie Opfer wurden. Die drei Männer auf dem Foto sind ein Herz und eine Seele.

Wladimir Putin teile die Sorgen, die Sicherheit betreffend, wird Fédor Loukianov, der Wissenschaftliche Direktor des Diplomatenclubs Valdai, zitiert. Inzwischen könnte es auch sein, daß Rußland die Syrien nach der Bombardierung von Douma durch die USA, Großbritannien und Frankreich versprochenen Raketen S300 nicht liefert. Die wären für Israel eine große Bedrohung. Von den jetzt verschärften Sanktionen, unter denen die Wirtschaft der EU leiden werde, könnte Rußland profitieren.

"Moskau findet sich ab mit der Entscheidung Washingtons"
Moscou se résigne à la décision de Washington. Par Pierre Avril, Le Figaro, 10 mai 2018, p. 3

Den Artikel gibt es entgegen aller Erfahrung nicht im Internet. Das Foto suche ich vergebens.

Benyamin Netanyahu ist vor 22 Jahren nicht klüger gewesen, sondern er ist heute mindestens ebenso klug, wenn nicht klüger.

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