Der ehemalige Kandidat des Parti Socialiste (PS) in den Präsidentschaftsvorwahlen Arnaud Montebourg, Präsident des Generalrats von Saône-et-Loire, ist immer für Provokationen gut. In meinem Archiv [im Orkus, nicht mehr online] findet man reichlich über ihn, meist kommt er nicht gut weg. Nun macht er wieder von sich reden. Es geht um das Abkommen, das der Parti Socialiste mit Europe Ecologie / Les Verts, den Europäischen Umweltschützern / den Grünen, zu den Wahlen zur Nationalversammlung geschlossen hat, es verfehle das Ziel. Dringlich sei die Beendigung der Abhängigkeit vom Erdöl und nicht die von der Atomenergie. Er sei nicht "solidarisch" mit dem Abkommen, und schlimmer, auch der Parti Socialiste werde es nicht sein. "Wir werden das nicht durchführen," plaudert er einem Journalisten des RTL gegenüber aus.
So weit, so peinlich, sowohl für den Provokateur als auch für den PS, denn beide entlarven sich, jeder auf seine Weise, als zwei Seiten einer Medaille: Arnaud Montebourg hat seine Ansichten zum Nuklearausstieg im Abkommen nicht durchsetzen können und handelt jetzt in eigener Machtvollkommenheit und Selbstherrlichkeit. Andererseits vermag es die Partei nicht, den geplanten Betrug an den Grünen bis nach den Wahlen geheimzuhalten. Arnaud Montebourg ist nämlich nicht der einzige Sozialist, der sich in den Medien gegen das Abkommen äußert.
Die Parteiführung hat gut beleidigt sein, noch dazu, da Arnaud Montebourg erklärt, daß er, einen Parteiausschluß riskierend, das Abkommen in Saône-et-Loire nicht honorieren werde. Der zweite Wahlkreis von Saône-et-Loire werde entgegen dem Abkommen nicht allein einen Kandidaten der Ecolo / Verts sehen, sondern die Sozialisten stellten ebenfalls einen, und der werde von seiner Partei unterstützt.
Dieses grenzwertige Auftreten des Arnaud Montebourg ruft im PS grenzwertige Reaktionen hervor. Im Streß zeigt sich, mit welchem System und welchen Menschen man es zu tun hat, das kann noch so viel Tünche nicht verdecken.
Der Parteisprecher Benoît Hamon, derjenige, der zu verkünden hätte, was die Erste Sekretärin, das Nationale Büro, das Nationale Sekretariat oder der Parteikongreß beschließen, erklärt in eigener Machtvollkommenheit: "Er wird nicht ausgeschlossen." Ärger bereiteten jedoch seine Äußerungen, und er ergänzt: "Wenn man ein politischer Führer ist, und wenn man zu einer Partei gehört, dann setzt man die Entscheidung der Partei um. Manchmal muß man Konzessionen machen, aber welcher politische Führer hat nicht zu gegebener Zeit Konzessionen gemacht?"
Soweit, so gut! Wenn man sieht, wie heuer in Deutschland gegen die von Angela Merkel vertretene Linie Hinter- und Vorderbänkler der CDU sich zur Affäre des Bundespräsidenten äußern, mag man Benoît Hamon recht geben. Dann aber erklärt er, was er meint: Ce qui compte, c'est l'intelligence collective. On n'a jamais raison contre tout le monde. Das, was zählt, ist die kollektive Intelligenz. Man hat niemals recht gegen alle.
Die kollektive Intelligenz sei das, was zählt. Das ist die reine Lehre aller totalitären Systeme, des Nationalsozialismus, des Sozialismus / Kommunismus und des Islam. Sie gründen auf der Geringschätzung der Persönlichkeit des einzelnen, seiner Intelligenz und Schöpferkraft, seiner Menschenwürde. Man sollte sich bei der Betrachtung des Personals der Parteiführung nicht ausschütten vor Lachen ob der dem PS zugeschriebenen kollektiven Intelligenz, sondern es sollte einen vielmehr schaudern, auf welchen Pfeilern die Partei ruht.
Benoît Hamon müßte freuen, was Adolf Hitler 1922 in einem Mitteilungsblatt an alle Ortsgruppen der NSDAP verkündet: "Das Wichtigste, das jede Bewegung zu großer Zukunft braucht, die Ein- und Unterordnung unter das Gesamte, zeigte sich in diesen Tagen auf das hervorragendste."
Der Dekan der Fakultät für Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig Hermann Budzislawski schreibt 1966 in seinem Werk über die "Sozialistische Journalistik": Dem sozialistischen Journalisten ist "jeglicher Individualismus fremd", er arbeitet "im Schutze des Kollektivs, das ihn, wenn nötig, vor Entgleisungen und falschen Einschätzungen bewahrt, er achtet seinen Rat und seine Kritik", er fühlt sich "als Teil des großen Kollektivs des Volkes und insbesondere der Arbeiterklasse". Was seinerzeit in der DDR für den sozialistischen Journalisten gilt, diesen verantwortungsvollen Parteiarbeiter, das gilt heute im Parti Socialiste anscheinend ebenso.
Auch im Islam zählt der einzelne nicht, sondern das Kollektiv. Die Verfassung der Hamas, der Covenant of the Islamic Resistance Movement Hamas, macht im Artikel 24 klar, daß die Hamas die Hoheit über die Wahrheit besitzt. Ansichten und Verhalten von Gruppen und einzelnen über den Weg zum Sieg beurteilt die Hamas: "Wann immer solche Standpunkte irrig sind, behält sich die Islamische Widerstandbewegung (Hamas) das Recht vor, den Irrtum darzulegen und vor ihm zu warnen. Sie wird bestrebt sein, den richtigen Weg aufzuzeigen und den fraglichen Fall objektiv (sic!) zu beurteilen. Kluges Verhalten ist in der Tat das Ziel des Gläubigen, der dem folgt, wo immer er ihn (den Irrtum) erkennt."
Was das Rechthaben und -behalten gegen alle angeht, so kann man viele Menschen aufzählen, die gegen alle recht behalten haben. "Und sie bewegt sich doch!" soll für sie stehen. Ob es Giordano Bruno 1600 auf dem Scheiterhaufen oder Galileo Galilei 1633 beim Verlassen des Inquisitionsgerichtes spricht, es ist einer gegen alle.