Der Orientalist und Volkswirt Dr. Hans-Peter Raddatz über das Ehepaar Navid Kermani - Katajun Amirpur:
Ist Allahs Gewalt "schön"?
Was Obskurantismus anlangt, hat sich das deutsch-iranische Ehepaar Navid Kermani - Katajun Amirpur bereit erklärt, ein ganzes Füllhorn von Islamblüten über das Publikum auszuschütten. Innerhalb der zwei Standardsujets der modernen Radikalisierung - elitäre Esotherik und Stammtisch-Toleranz - praktiziert es auf der politreligiösen Drehbühne eine zwiespältige Rollenteilung, die sich als west-östliche Tragikomödie darstellt.
Auf das beispielhafte Wechselspiel fielen zahlreiche deutsche Dialogführer nachhaltig herein. An "Deutungsebenen" - namhafte Zeitungen inklusive -, die bei der Installation des islamischen, insonderheit iranischen Imperativs nicht fehlen wollen, herrscht kein Mangel. Der ist von eher steigender Anziehungskraft und bringt passende Kontakte und Gestalten - wie das auf seine spezifische Weise begabte Paar - hervor, aus denen sich ideologische und/oder auch sonstige Vorteile ziehen lassen.
Amirpurs Einsichten in den iranischen Gottesstaat bringen dem westlichen Unwissenden die Ideologie der Mollahführer schnell und leicht verständlich näher. So ist es zum Beispiel ein Fortschritt des Menschenrechtsprinzips im Iran, wenn Ehebrecherinnen nicht mehr gesteinigt, sondern "nur" gehängt werden. Wenig später konnte sie am Beispiel des Van-Gogh-Mords im Herbst 2004 endgültig zur "Islamexpertin" der Süddeutschen Zeitung avancieren:
"Vielleicht fühlte der Mörder van Goghs sich tatsächlich beleidigt durch dessen Provokationen ... Aber selbst wenn der Mörder sie als blasphemisch empfunden hat, ist es nicht seine Aufgabe, dieses Verbrechen (das es nach islamischem Recht durchaus ist) zu rächen. Das ist das Vorrecht von Gott im Himmel. Ihm sollte man es lassen, und so wurde es in der islamischen Geschichte zumeist gehandhabt. Das wusste auch Ayatollah Khomeyni, als er Salman Rushdie zum Apostaten [Abtrünnigen, Abweichler] erklärte - er hatte dafür politische, keine religiösen Motive. Khomeini wusste, dass Blasphemie und Apostasie Vergehen sind, über die Gott allein zu richten hat ..."
Es sind gleich drei Widersprüche, die Amirpur dem gutgläubigen Leser zumutet. Zum einen war der Mord nach islamischem Recht kein Verbrechen, sondern die verdienstvolle Beseitigung eines "Feindes Allahs". Zum zweiten wird behauptet, daß nach dem gleichen Recht die Blasphemie ein Verbrechen sein soll, dessen Bestrafung angeblich nur Allah zustehen soll. Demnach hätten die Muslime Koran und Tradition nie wirklich ernst genommen. In der islamischen Geschichte wäre es also die Ausnahme gewesen, wenn sie seine Vorschriften an Abweichlern und Ungläubigen vollzogen. Zum dritten vermengt unsere Expertin Blasphemie und Apostasie, in dem sie in das Thema Khomeynis Todesurteil einführt, das zudem nicht auf religiöser, sondern politischer Grundlage gefällt worden sein soll.
Abgesehen davon, daß ihr Vater zu Khomeynis Zeiten Kulturattaché war, ist nicht erkennbar, wie sie an solche intimen Informationen wie die Motivbildung des wali-ye-faqih gekommen sein soll, zumal Politik und Religion im Islam bekanntlich ohnehin schwer zu trennen sind. Hinzu kommt, daß weder van Gogh noch Rushdie einen "Glauben" lästern, geschweige denn verlassen konnten, dem sie nie angehörten. Während der Fall bei ersterem ohnehin klar ist, handelt es sich bei Rushdie um einen Sunniten, der nach schiitischer Auffassung gar kein richtiger Gläubiger ist. Insoweit geht also auch Khomeynis Fatwa, ob religiös oder politisch motiviert, ins Leere, zumal sich die sunnitischen Autoritäten der Azhar-Universität und der OIC (Organization of Islamic Conference) seinerzeit gegen die Anmaßung Khomeynis verwahrten.
Wie eine Warenmarke steht Amirpur gegen das historische "Mißverständnis" von Gewalt im Islam. So wie es ein "Fortschritt" war, vom Steinigen zum Hängen vorzurücken, so läßt aus dieser Sicht die herkömmliche Forschung angeblich die gebotene Sorgfalt vermissen. Der Irrtum der westlichen Experten besteht demnach darin, dem Islam einen im System selbst angelegten Mechanismus zu "unterstellen", der die Muslime zur Anwendung von Gewalt zwingt.
Wenn es tatsächlich immer wieder "Gläubige" gab und gibt, die Allahs Koran bzw. Muhammads Vorbild als konkrete Aufforderung zu gewaltsamer Durchsetzung des "Glaubens" verstanden haben, so scheint hier etwas - trotz oder gerade wegen der jahrhundertelangen Wiederholung von Massakern und Kriegen - sehr dumm gelaufen zu sein. Denn, so die Expertin, "dummerweise wissen eben viele Muslime nicht besonders viel über ihre Religion. Das macht das Ganze so gefährlich."
In diejenigen, die nicht besonders viel über ihre Religion wissen, müßten dann allerdings auch die höchsten Spitzen des Islams eingeschlossen werden. Sowohl Ägypten-Mufti Tantawi und Golf-Imam Qaradhawi für die Sunna als auch Khomeyni und sein Nachfolger Khamenei für die gottesstaatliche Schia stimmen in der Auffassung überein, daß der gewaltsame Kampf gegen den Nichtislam, der ungehorsame Frauen einschließt, sowie die Vernichtung Israels die obersten Pflichten des Islam und seiner Anhänger sind. ...
Amirpur-Gefährte Kermani scheint - ob bewußt oder unbewußt - wesentlich besser begriffen zu haben, wie man die Öffentlichkeit effizient täuscht. Insbesondere hat er die Hizbollah-Regel verinnerlicht, derzufolge die Demokratie das ideale Vehikel zur Erfüllung der islamischen Pflichten in den Staaten des Westens ist. Er tritt als vermeintlicher Kämpfer für demokratische Werte auf, der manchmal sogar die iranische Regierung anzugreifen scheint, aber eigentümlich empfindlich reagiert, wenn es um die Entscheidung für oder gegen den Islam als Staatsform geht. Demgemäß dosiert fällt die Kritik an den Aktivitäten des iranischen Geheimdienstes aus.
Die Ambivalenz einer solchen Position läßt sich auf Dauer nicht konsequent durchhalten, ohne daß immer wieder einmal der eine oder andere Lapsus unterläuft, der die Argumentation als pseudo-säkular enthüllt. So werden Demokraten, die Muslime als ganz normale Minderheit in den Rechtsstaat integrieren wollen, reflexhaft zu "christlichen Fundamentalisten" umgetauft, eine verräterische Wortwahl, die den verkappten Gotteskrieger zum Vorschein bringt.
Das ultimative Ziel der Profiteure, die solcherart auf dem Toleranzticket reisen, ist und bleibt der islamische Staat, ob theokratisch oder nicht. Zum Schein - getreu schiitischer Taqiya - wird die Demokratie als Mittel zum Zweck akzeptiert, aber nicht praktiziert, weil jeder rationale "Dialog" entfallen kann. So hat denn auch die Islamlobby Kermani und Amirpur zu bevorzugten "Experten" erkoren, denen - wie ihrer Zunft allgemein - jeder öffentliche Diskurs und damit auch Kompetenznachweis erspart bleibt. Im Gegenteil, die Ankündigung der beiden, bald auch mit Edelislamist und Oxford-Berater Tariq Ramadan zusammenarbeiten zu wollen, wurde wie jeder Schritt in der Beschleunigung des "Islamstroms" begrüßt.
Kermanis Markenzeichen ist der Versuch, eine besondere Variante des proislamischen Dialogs zu pflegen, die man "Imperialismus"-Theorie nennt. Sie reicht u.a. auf antijüdische Konstrukte von Edward Said (gest. 2002) zurück und bastelt an einer fiktiven Wirklichkeit, die unter dem Anschein von Intellektualität den Islam als Opfer und den Westen als Täter ausgibt. Aus dieser Sicht ist die Demokratie zwar grundsätzlich zu begrüßen, benötigt aber eine Reform durch den "Frieden" des Islam.
So wie Khomeyni die "islamische Wirtschaft" durch den Westen beschädigt sah (s.o.S. 187), so stehen der Demokratie-Vision Kermanis und seiner Freunde jene allgegenwärtigen "christlichen Fundamentalisten" entgegen, die im Schulterschluß mit "intoleranten" Demokraten das perfide Ansinnen an die muslimischen Migranten richten, sich in den Rechtsstaat zu integrieren. In diesem unbeirrbaren Islamfokus erscheinen auch Atheisten als "Christen", weil sie auf der Würde des Menschen und individuellen Grundrechten im Rechtsstaat beharren.
Neben argumentative Schwächen treten bei Kermani emotionale Brüche im Ausdruck, die seine Leser und/oder Zuschauer zuweilen ratlos zurücklassen. Denn der islamische "Frieden" und die "Schönheit Gottes", über die er über fünfhundert Seiten füllt, gelten nur auf der Basis elitärer Esotherik. Auf "Augenhöhe" mit dem Volk und in den Niederungen der Zuwanderung nach Deutschland entpuppen sie sich dagegen als Potemkinsche Dörfer, die keine Lösungen für die Menschen enthalten.
Mit Recht läßt der Autor keinen Zweifel daran, daß die ästhetische Dimension des Koran integraler Bestandteil des muslimischen Glaubens ist. Selbst von der Theaterwelt beeinflußt, stellt er die hypnotische Wirkung des Wortes heraus, die im spätantiken Orient den einzelnen weinen, schreien und in Ohnmacht fallen ließ, während sie in der historischen Entwicklung eine untrennbare Verbindung mit dem kollektiven Gedächtnis der islamischen Kultur einging. Der Koran hat sich ihm als unübersteigbares "Wunder" eingebrannt.
Nicht nur obwohl, sondern weil dabei bis heute die Akzentbildung zwischen dem Poetischen und Politischen fluktuiert, übernahm im Islam die Ästhetik der Sprache und Wortbedeutungen eine dominante Rolle, die auch das Alltägliche ins Sakrale zieht. Da Wort und Tat eine unauflösliche Einheit bilden - auch das Verschleiern, Umgehen oder Verzögern der Tat ist eine Tat - erhielten auch alle Inhalte einen um so ästhetischeren Anstrich, je mehr die koranischen Anweisungen zur Tat auffordern. (Die feierlich vorgetragenen Suren zur Ermordung Ungläubiger in Geert Wilders Film Fitna sind der beste Beweis für die Richtigkeit dieser Einschätzung. G.E.)
Kermani läßt schonend offen, ob dies in eine Ästhetik der Gewalt führt, liefert jedoch über Hunderte von Seiten Argumente, die sich in diesem Sinne auslegen lassen, wenn man sich auf ihn einläßt und nicht der von ihm abgelehnten, westlichen "Weichspülästhetik" folgt. Einer dieser Aspekte ist die altarabische Dichtung, die das verfluchende oder ironische Wort als verbales Schwert einsetzte, das der deutsche Orientalist Ignaz Goldziher (gest. 1920) eine "Kriegswaffe, wichtiger als der Waffengang selbst" nannte. Als Gefahr für die eigene Lehre wurde sie hingegen vom Verkünder in die Bedeutungslosigkeit der Djahiliyya, der vorislamischen Unwissenheit, verbannt, um den Weg zur in diesem Sinne "ästhetischen", also unethischen Tat freizumachen.
Immerhin ist Kermani die Magie der Sprache geläufig, die verändernd auf das Bewußtsein einwirkt, versagt sich jedoch die Konsequenzen für das Verhalten der Masse, insonderheit der islamischen Masse. Das koranische Engramm (Erinnerungsbild) des kollektiven Reflexes gegen alles Unislamische erfüllt die beiden Bedingungen der hypnotischen Massensuggestion: die Ausrichtung auf eine zentrale Leitfigur (Muhammad) und die Illusion der "freiwilligen" Handlung, die dem Massenmenschen eine ganz besondere "Ästhetik" der eigenen Existenz vermittelt.
Die Macht der Idee führt zum Übergang vom Bild zur Tat, wobei sich suggerierte und erlebte Wirklichkeit vermischen und ein zwanghaftes Verhalten begünstigen. ...
Um so "reiner" wird der Glaube an einen Kommandogott, in dem sich West- und Islameliten begegnen können. Dieser Gott erscheint "schön", weil er den esoterischen "Übermenschen" ermöglicht, der sich zur unbeherrschten Herrschaft über die Menschen berufen sieht. ...
Das Verdienst von Kermanis Werk, das sich oft mit Pseudo-Bildung überfrachtet und unnötigen Potpourri-Charakter annimmt, besteht darin, die Unausweichlichkeit der koranischen Gewaltästhetik offengelegt zu haben. Ob dies in der Absicht des Autors gelegen hat, mag dahingestellt bleiben, wenngleich er kein Hehl aus seinen Absichten macht.
Denn keinesfalls soll die Ganzheit seines ästhetischen Heilsobjekts auf die "Hackbank geschichtswissenschaftlicher Skepsis" gelegt werden. Weder ist es erlaubt, die Psyche des Verkünders zu hinterfragen, noch die religiös-ästhetische Soziologie des Islam zu untersuchen, noch in seinen Erscheinungsformen ein "Schema von Allmacht und Mächtigkeit" zu erkennen, wie einst der Schweizer Orientalist Bürgel vorschlug.
Kermani (sieht) den Islam als eine Art Renaissance der Hegelschen Kunstreligion, in der sich die "Genieästheten", d.h. die Übermenschen unserer Zeit, begegnen können. Der Koran braucht somit nicht "das absolute Kunstwerk der islamischen Kultur" zu bleiben, sondern könnte sich auch zum Manifest der neuen europäischen Totalen entfalten. "Gott ist schön" vermittelt dem Leser einen ungewöhnlichen Einblick in die umfassende Universalität des muslimischen Glaubens, dessen Absolutheit höchste Poesie und tiefste Barbarei austauschbar und das Massaker zum Kunstwerk macht. ...
Auf diesem von jeder Ethik befreiten Niveau hat Kermani nicht unrecht, wenn er von den "starken Ähnlichkeiten" von Judentum, Christentum und Islam spricht. (9) Denn auch deren exzellente "Prima", die modernen Symbionten aus Priestern und Imamen, sind mit ihren Vorgängern während der gesamten islamischen Herrschaft, ob arabisch, iranisch oder osmanisch, nicht nur ähnlich, sondern fast identisch in der Auffassung, daß die Religion ein gemeinsam zu handhabendes Machtvehikel ist, dem im Grunde beliebige Menschenmassen geopfert werden können. ...
Dergestalt durch Politik und Klerus bestätigt, liefert Kermani auch gleich für sich selbst die Erklärung mit: Ihm wird immerhin die eigene "Verwirrung" und Zweideutigkeit bewußt, mit denen kokettierend er sich den Blick auf den Grund dieser an Identität grenzenden Ähnlichkeit ersparen kann: Gott als Produkt des Menschen ist immer auch gestaltbares Machtmittel. Dessen Wirkung ist in einem Deutschland sicher, dessen euranisch eingestimmte "Intelligenz" schon auf dem Weg in den Islam ist. Sozusagen im Vorbeigehen kann sie sich dabei auch dessen faschistischen Ganzheitsanspruch und Antisemitismus aneignen, die wiederum einen Teil der "Schönheit" Allahs bilden.
Siehe auch:
Hans-Peter Raddatz: Iran. Persische Hochkultur und irrationale Macht. (Rezension)
5. August 2006
Ausgewählte Suren mit Tötungsbefehlen: 2:191, 2:216, 3:61 (Mubahala), 4:56 (Rechtfertigung von Attentaten), 4:89, 4:91, 5:32, 5:33 (Rechtfertigung des Mordes an Theo van Gogh), 8:39, 8:60, 9:5, 9:29, 33:61. Koran Suren. Zentralrat der Muslime in Deutschland
Der Artikel erschien erstmalig auf meiner Website, am 20. Mai 2009:
Plume du Paon. Hans-Peter Raddatz über Navid Kermani