Mancher ahnt nicht die Ausmaße der Ignoranz bzw. der Böswilligkeit, je nach Informationsstand, der westlichen Politiker und Journalisten, wenn es um die Berichterstattung über Syrien geht. Da gebe ich Kewil recht, in welcher Sprache er das auch artikulieren und wen im einzelnen er sich vorknöpfen mag. Alle wissen Bescheid, sie berichten aus Kairo und sonstwoher, wer die Guten und die Bösen sind. Niemand außer Karin Leukefeld, Korrespondentin der Jungen Welt, ist offiziell dort: "Die Golfstaaten, die USA und Westeuropa haben den ursprünglichen Protest in Syrien für ihre eigenen Interessen und eine Destabilisierungskampagne gekapert." So ist es, Satz für Satz richtig.
Heute schreibt der Starkorrespondent und ausgezeichnete Kenner Syriens Georges Malbrunot, im Figaro, auf der Seite 2 und damit nicht online, zum Thema: Armer les insurgés syriens : un pari dangereux. Er argumentiert mit anderen Worten auf der gleichen Linie wie Karin Leukefeld. Kleine Einschübe über das Niveau der US-amerikanischen Verantwortlichen könnten der Erheiterung dienen, wenn's nicht ein Elend wäre: "Oft sind die Aufständischen nicht auf dem laufenden, daß es Glaubenskämpfer unter ihnen gibt," zitiert er den Chef der US-amerikanischen Geheimdienste James Clapper, der die Aufständischen für so dumm hält, wie er selbst anscheinend ist. Es lebe die absolute Ahnungslosigkeit über den Islam, und wie die Muslime ticken. Es lebe die Unterschätzung des Gegners, auf daß der auf der ganzen Linie siegen kann. Nur ein von Barack Obama eingesetzter Geheimdienstchef kann sich einbilden, daß unter den Aufständischen Syriens niemand merkt, daß von Saudi-Arabien und Katar bezahlte Salafisten, Mudjaheddin aus dem Irak und aus Libyen kämpfen, daß beim Body Count in Homs unter den Getöteten 60 ausländische Kämpfer, davon 20 aus Libyen gezählt werden. Immer mehr Kämpfer sickerten ein aus dem Irak, aus Kuwait und Somalia, und sie kämpften weniger für al-Qaida als im Glaubenskrieg gegen den schiitischen Alawiten Bashar al-Assad und den Einfluß des schiitischen Iran, erfährt Georges Malbrunot von seinen Informanten.
Die Amerikaner schienen allmählich zu begreifen, wen sie stützen, was sie mit ihrer Politik heraufbeschwören: Das Entstehen eines sunnitischen djihadistischen Bogens Syrien - Irak - Libanon sowie eines schiitischen Gegenbogens Teheran - Irak - Syrien - Libanon. Schiiten und Sunniten klären eben ihre Beziehung zueinander, und die basiert auf dem Nullsummenspiel: Die oder Wir. Die Doppelnennung zeigt, daß mit jahrelangem Bürgerkrieg zwischen den islamischen Fraktionen zu rechnen ist. Der radikale sunnitische Imam Abdallah al-Janabi, auf der Fahndungsliste des Irak und bislang ausgehalten von der syrischen Regierung, hat sich den Aufständischen angeschlossen, und Khaled Mashaal ist schon nach Doha entkommen. Derweil herrsche an der türkischen, der irakischen und der libanesischen Grenze zu Syrien die vollständige Anarchie. Zwei schiitische Clans von Waffenhändlern belieferten alles, was ausreichend mit Dollars versehen ist, 50 bis 60 Kalaschnikows erzielten inzwischen einen Preis von $100 000. Die Hezbollah sei mitten im Geschäft, für sie ein "pot aux roses", sie kennte die Geschäfte durch ihre Spitzel genau, benachrichtige Damaskus, ließe die Waffen passieren, und die würden dann von Leuten des Bashar al-Assad beschlagnahmt.
Die meisten Waffen der Aufständischen gelangten heuer über die Grenze der Türkei nach Syrien, dort befehligt der ehemalige Oberst der syrischen Luftwaffe Riad el-Asaad die Deserteure der syrischen Armee, die den Türken nicht trauen. Saudi-Arabien und Katar sähen Idlib als Brückenkopf, über den die Sunniten sich des Landes bemächtigen wollten. Die Aufständischen in Idlib seien in ca. zwanzig verschiedene bewaffnete Gruppen zersplittert.
Soweit Georges Malbrunot, der in seinem Artikel nicht ein einziges Mal Rußland und China und deren strategische Interessen erwähnt. Das ist nicht nötig, denn auch ohne diese wird deutlich, was in Syrien vonstatten gehen soll: Die weitere sunnitische Radikalisierung des "arabischen Frühlings". Man muß weder auf schiitischer noch sunnitischer Seite stehen, um zu sehen, warum Saudi-Arabien und Katar unbedingt für eine Bewaffnung der Aufständischen mit schweren Waffen sind, warum die USA und Israel dagegen grundsätzliche Vorbehalte haben, und warum Frankreich und die Türkei zögern. Für Saudi-Arabien und Katar geht es um die Vertreibung der ungläubigen Schiiten, die Machtausdehnung des sunnitischen radikalen Islam, für die USA geht es darum, daß sie mit den beiden Pleiteunternehmen Afghanistan und dem Irak bereits ausgelastet sind, für die Türkei des Recep Tayyip Erdogan heißt es, dem osmanischen Reich wieder einen Schritt näherzukommen, für Frankreich, das in Afghanistan seine Fremdenlegion einsetzt, anders als Deutschland, für das deutsche Bundeswehrsoldaten im Einsatz sind, heißt es, Serge Dassault und Arnaud Lagardère am Waffenhandel verdienen zu lassen - und für Israel geht es um die Bedrohung seiner Existenz durch radikale Sunniten, die lauthals einen Angriffskrieg gegen Israel fordern.
Was Rußland und China zu alldem sagen, das liest man bei der New York-Korrespondentin des Figaro Adèle Smith, auf Seite 7. Syrie : Moscou et Pékin ne se laissent pas fléchir à l'ONU. Moskau und Beijing lassen sich in der UNO nicht rumkriegen. Sie behandelt die strategische Komponente, den Kampf zwischen den USA, Teilen der EU, hauptsächlich Frankreichs, und der Türkei einerseits, Rußlands und Chinas andererseits, mittendrin Ban Ki-moon, der das alles entsetzlich findet, der korrupte, im Jahr 2004 rechtskräftig verurteilte Alain Juppé, der den Einsatz des Haager Internationalen Gerichtshofes gegen die "Verbrechen des syrischen Regimes" fordert, und Koofmich Annan, der ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen fordert. Hillary Clinton mit ihrem wehenden blonden Teenager-Haarschopf widerspricht der Ansicht Rußlands und Chinas auf Souveränität Syriens, sie hat jetzt ein unmündiges Land mehr zu betreuen, in dem sie ohne die geringste Aussicht auf Erfolg Demokratie und Menschenrechte einführen will: Afghanistan, Irak, Syrien, who is next?
Derweil sorgen sich deutsche Journalisten um die armen syrischen Opfer, die in Deutschland zu versorgen seien, Flüchtlinge, Verletzte, selbstverständlich hat ein Tom Koenigs in der ZEIT keine Ahnung, was die türkische "Politik der offenen Tür" bedeutet, Einzelheiten kann man bei Kewil nachlesen und, wenn man sich das antun möchte, auf die Links zu diesem verkommenen Blättchen klicken. Es ist nur noch peinlich!