Ulrich Clauß rechnet in WeltOnline ab mit dem Dilettantenstadl. Er spart schon im Anreißer nicht mit harschen Worten, Tiefpunkt, irrlichternd, konsumfixiert, gefährlich: "Und ihre Wähler sind so destruktiv wie die Partei selbst." Jeder Dritte im Lande kann sich vorstellen, die Partei zu wählen, im von Wowi heruntergewirtschafteten Berlin sitzt sie bereits im Abgeordnetenhaus. "Was will der Wähler eigentlich damit sagen?" Ulrich Clauß vermutet zurecht eine "falsche Frage", aber auch seine Frage, die er gar nicht erst stellt, sondern sie gleich in einer Antwort präsentiert, greift zu kurz: "Viele Wähler wollen vielleicht gar nichts mehr sagen, auch weil sie nichts zum Sagen haben."
Stand, Samstag, 28. April 2012: Der 41-jährige Regierungsdirektor (A 15) im Verteidigungsministerium Bernd Schlömer ist neuer Oberpirat. Mögliche Konflikte mit seinem Arbeitgeber sieht er nicht.
Wie kommt es, daß seit dem Auftreten der Piraten, sie gründen ihre Partei am 10. September 2006, Politiker nicht mehr an "Kompetenz, Autorität und Ausstrahlung" gemessen werden, sondern am Gegenteil, "am grauen, namenlosen Kollektiv der Nichtsgenauwisser"? Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es anderer, grundsätzlicherer Überlegungen, und die fangen an bei der Bundesregierung und ihren Behörden, in diesem Fall beim in Wiesbaden ansässigen Statistischen Bundesamt und dessen Bundeswahlleiter. Dieser und sein Stellvertreter werden vom Innenminister der Bundesrepublik Deutschland auf unbestimmte Zeit ernannt. Der Bundeswahlleiter und sein Stellvertreter sind traditionell der jeweilige Präsident des Statistischen Bundesamtes und dessen Stellvertreter, seit dem 1. August 2008 ist das CDU-Mitglied Roderich Egeler in diesen Funktionen tätig, sein Stellvertreter ist seit dem 1. August 2011 Dieter Sarreither.
Der Bundeswahlausschuß, bestehend aus Roderich Egeler und acht auf Vorschlag der Parteien durch ihn berufenen Beisitzern, CDU 3, CSU 1, SPD 2, FDP 1, Grüne 1, Linke 1, erkennen zusätzlich zu den im Bundestag und in Fraktionsstärke in Landtagen vertretenen Parteien CDU, CSU, SPD, FDP, Linkspartei, Bündnis 90/Die Grünen, NPD und DVU insgesamt 21 weitere politische Vereinigungen als Partei an. 28 politischen Vereinigungen wird die Anerkennung als Partei und damit die Teilnahme an den Bundestagswahlen 2009 verweigert, darunter, in drei umstrittenen Entscheidungen, auch der CSU-Konkurrenzpartei Freie Union der Gabriele Pauli, Fall 3, auf Grund eines Formfehlers, in Kampfabstimmung 4:4, wobei alle rechten gegen und alle linken Ausschußmitglieder für die Zulassung eintreten.
Eine Partei aber, die sich die Gesetzlosigkeit auf die Fahnen schreibt, wird zur Europawahl und zur Bundestagswahl 2009 zugelassen, Ernsthaftigkeit wird ihr bescheinigt. Der Name führt bei den etablierten Vertretern der deutschen Politik zu keiner Irritation, auch Grüne und Linke in ihrer Arroganz werden nicht stutzig, sie finden es nicht nötig, die unliebsame Konkurrenz fernzuhalten, wenn sie überhaupt erkennen, was sie erwartet, sondern die Zulassung ist Routine. Das kann man annehmen, da die Ausschußmitglieder der Grünen und der Linken sogar für die Zulassung der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD) stimmen. Diese stellt sich dar als Partei für die nichtarbeitende Bevölkerung und für Nichtwähler. In Brandenburg gibt's einen Landesverband im Untergrund, was dem Vorsitzenden Roderich Egeler in der Befragung des Parteivorsitzenden Walter Stoi seine restlichen Haare zu Berge treibt.
Die Piraten liefern dem Bundeswahlleiter mehr als 5000 Unterstützerunterschriften, 4000 davon müssen gültig sein, und auf geht's zum Entern der "Europa". Für die Zulassung in Deutschland benötigen sie pro Bundesland, in dem sie antreten wollen, ca. 2000 Unterschriften. Gesammelt, abgeliefert, das Kapern der "Deutschland" kann beginnen.
Der dritte US-Präsident Thomas Jefferson (1743 - 1826) kauft einen Koran, um die Eroberungsreligion des Islam besser kennenzulernen, der mit seinen als Glaubenskämpfer operierenden Piraten, den Barbary Pirates, den amerikanischen Handelsschiffen Ende des 18. Jahrhunderts an den Küsten Tripolitaniens den Krieg erklärt und erst 1815 zurückgeschlagen werden kann, und die Mitglieder angeblich staatstragender Parteien, angeführt vom CDU-Mitglied Roderich Egeler, lassen Piraten als politische Partei zu.
Während das Verteidigungsministerium Maßnahmen zum Schutz deutscher Handelsschiffe beschließt, die Bundeskanzlerin und das Bundeskabinett erst kürzlich eine geplante Ausweitung des Anti-Pirateneinsatzes vor Somalia beraten, läßt die Bundesregierung durch eine ihr unterstellte Behörde im Lande eine Partei zu, die sich auf die Gesetzlosigkeit der Piraten beruft. Deutsche Handelsschiffe werden am Horn von Afrika bedroht und geentert, aber in Deutschland erhalten Piraten einen offiziellen Status. Spricht die Bundeskanzlerin in den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF von Piraten, haben die Zuschauer die Auswahl. Ich habe es neulich einem Franzosen erzählt, der einiges gewohnt ist, solches aber hat selbst ihn umgehauen: "Und ich dachte immer, die Deutschen denken und handeln viel rationaler als wir!"
Pirat = pirate, buccaneer, sea wolf, pol. Pirat (unverified) bietet das Internet-Wörterbuch, die politischen Piraten Deutschlands haben es, wenn auch noch unbestätigt, bereits ins dict.cc geschafft: [Germany, member of the Pirate Party].
Nun wird in der Welt der Begriff Pirat zu manchem gebraucht, es gibt eine so benannte Bootsklasse unter den Segelbooten, Hackebeilchen anbei, Romane von Seeräubern, Freibeutern, Piraten, Pirate Radio, das Baseball Team Pittsburgh Pirates, im Karneval geht mancher als Pirat, Kinder spielen mit Pirate Lego, Ewachsene mit Pirate Galaxy: "Tu der Menschheit als Weltraumpirat einen Gefallen", und nun spielen deutsche Wähler Pirat auf dem Stimmzettel, man gönnt sich ja sonst nichts. Den Segen dazu erteilt ihnen die Bundesregierung.
Wenn es um die Zulässigkeit des Namens einer Partei geht, gibt das Parteiengesetz in der Fassung vom 31. Januar 1994, zuletzt geändert am 23. August 2011, keine Auskunft. Der Gesetzgeber scheint nicht auf den Gedanken gekommen zu sein, daß sich eines Tages eine neue Partei den Namen der Gesetzlosigkeit gibt. Nach §2 des Parteiengesetzes muß eine Partei "nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten", ihr Name und die Abkürzung desselben müssen sich nach §4 "deutlich unterscheiden von denen einer bereits bestehenden Partei". Die Ausführungen des Bundeswahlleiters zur Gründung einer Partei geben ebenfalls keinen Hinweis.
Wenn also eine Gruppe von rechtsfähigen Bürgern beschlösse, eine Pädophilenpartei zu gründen, Satzung und Programm so gestaltete, daß ersichtlich würde, sie wollte die Interessen dieser benachteiligten Randgruppe der Gesellschaft vertreten, Schaffung von Respekt vor ihrer Neigung, Gesetzesänderung zur Legalisierung von Pädophilie, Kampf um die Eingliederung Pädophiler in die Gesellschaft, dann dürfte dem nach dem Parteiengesetz nichts entgegenstehen. Würden die nötigen Unterschriften beigebracht, hätte Deutschland im Wahlkampf die neue Partei Für ungestraften Coitus mit Kindern (FUCK). Es wäre die 112. eingetragene Parteienformation. Bitte? Die wievielte?
Die Anschriftenliste, Stand 27. März 2012, umfaßt in alphabetischer Ordnung 111 in Deutschland zugelassene Parteien. Die Piratenpartei trägt die Nummer 90. Die Parteien wirken gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland "bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen."
Neben Namen, aus denen allgemeinpolitische Interessen sichtbar werden, Aktive Demokratie direkt (ADd), Demokratische Partei (DPD) usw., gibt es zahlreiche Vereinigungen zur Pflege von Partikular- und Regionalinteressen, die Anarchistische Pogo-Partei, die Deutsche Kinder Partei (DKIP), die Christlich Soziale Union in Bayern e.V. (CSU), die Muslimpartei Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG), Nachfolgerin des Bündnisses für Frieden & Fairness (BFF), und die Muslimisch Demokratische Union (MDU), es gibt die Grauen, die Allianz Graue Panther (AGP), die Grauen Panther Deutschland (GPD) und die Violetten für spirituelle Politik, die Männerpartei. Die Zeit ist reif!, die Feministische Partei DIE FRAUEN, die Freien Sachsen und die Verbraucherschutzpartei. Aus den Namen mancher Parteien geht erst einmal gar nichts hervor.
Sie alle haben die notwendigen Unterlagen beigebracht, Satzung, Programm, Liste des Vorstands usw. Mit Grundsatz- und Wahlprogrammen kann die Piratenpartei reichlich aufwarten: 24 Seiten Grundsatzprogramm in deutsch und englisch, Grundsatzprogramm Berlin, NRW, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Brandenburg, Leitlinien Thüringen, Wirtschaftsprogramm Sachsen. Wahlprogramm Bundestagswahl 2009 und zu Landtagswahlen 2008 bis 2012.
Die Partei trägt ihren Namen zurecht, Gesetze des friedlichen Zusammenlebens werden wie bei den Seeräubern in Frage gestellt, Kapern und Entern sind angesagt, neben Nichtwählerstimmen und den Stimmen, die sonst bei den Grünen und der Linkspartei anlanden würden, Überbordwerfen des Urheberrechtes, Erbeutung von Kopier- und Nutzungsfreiheit, Löschen der freien Software, Feiern der "freien Selbstbestimmung von geschlechtlicher und sexueller Identität bzw. Orientierung", Bereicherung der Gesellschaften mit Einwanderern, neues See- und Landrecht: Regeln, helfen und leiten statt strafen, Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in Piraten- und anderen Räubervereinigungen, in Kammern und Verbänden (ausgenommen Rechtsanwalts-, Notar- und Ärztekammern). Das alles unter der alten Willy Brandt-Parole aus seiner Regierungserklärung, vom 28. Oktober 1969, Mehr Demokratie wagen, die sollte aber "echt" sein, sonst kommt das Piratenbeilchen auf die Widerspenstigen nieder. Bei der Lektüre des Grundsatzprogrammes der Piraten werden die Mitglieder des Wahlausschusses rote Ohren gekriegt und Seufzer ausgestoßen haben: Ach, die Jugend von heute!
Der "ausgediente Jurist", Jahrgang 1948, Hartmut Geil, von den Grünen, wird fickrig in seiner Seidensticker-Stadt, die Staffette wird mit flinken Schritten weitergetragen, die Juristin und Fraktionsgeschäftsführerin der Linken Dr. Ruth Kampa, vom Förderverein Neues Deutschland, ist ganz aufgeregt, daß geschlechtliche und sexuelle Identität frei wählbar werden, wenn das Wladimir Iljitsch Lenin noch erlebt hätte! Beide sehen nicht, daß es ihre Parteien sind, die ausgeraubt und ausgeräuchert werden. Sie können es sich nicht vorstellen, daß es Protestwähler sein könnten, die bislang reihenweise Grün und Rot gewählt haben, die ihnen aber inzwischen viel zu spießig sind, so daß die Piraten von den Wählern freiwillig auf die "Deutschland" gehievt werden.
Die Piraten verdankt Deutschland der Verantwortungslosigkeit der etablierten Parteien und ihrer Vertreter, allen voran denen der CDU/CSU. Deutschland schafft sich ab, und alle machen mit, auch das Bundesverteidigungsministerium. Oder habe ich etwas falsch verstanden?
Die Piratenpartei ist aber nicht die NPD!