Sind jetzt alle in der FAZ und in den anderen MSM politisch links? Als ich Journalistin werden wollte, Ende der 60er Jahre, hätte ich es nicht gewagt, mich bei der FAZ zu bewerben, ganz ausgeschlossen, ich war eine in Berlin bekannte wenn auch nicht berühmte oder gar berüchtigte Linke, aber linker Juso, das reichte damals schon, und man war in allen Medien, die etwas auf sich hielten, in Rundfunk und Fernsehen und Printmedien, persona non grata.
Ich weiß, wer von meinen Studienkollegen beim ZDF, beim RIAS und beim SFB einen Posten bekam, wer in den Printmedien Erfolg hatte, war nur zweite Wahl, denn alle wollten in den Ferni. Auch die Kinder meiner ehemaligen Studienkollegen sind bei ARD und ZDF, sie berichten aus den Hauptstädten der Welt, aus Paris und Tokio. Ich hätte mich verstellen müssen, abschwören, Fehler eingestehen, kurz alles ablehnen, wofür man heute in der FAZ Feuilletonchef wird, in der WELT Chefredakteur oder gar in den Medien von DuMont Schauberg im Stürmer-Stil über unliebsame Menschen herziehen darf.
Ein Artikel wie der von Nils Minkmar wäre mir um die Ohren gehauen worden, ein Autor, der ohne Belege und ohne Kenntnis des Buches dem Thilo Sarrazin Vorurteile unterstellt, dessen Wahrnehmung über das Auftreten eines potentiellen Kanzlerkandidaten der Wirklichkeit nicht von weitem entspricht, der wäre beim Saarländischen Rundfunk nicht einmal als Volontär beschäftigt worden.
Dort betreute mich Hellmut Prinz, dessen Anforderung an das journalistische Handwerk eines Lehrlings eine Herausforderung war. Mit Bezeichnungen wie "der Mann" für einen Erfolgsautor wie Thilo Sarrazin, wäre ich nicht weit gekommen, er hätte seine Pfeife aus dem Mund genommen und mich mit Schimpf&Schande aus seinem Büro gejagt. Abwertung ersetzt die Analyse nicht. Ich hätte mich auch nicht erdreisten dürfen, die Verurteilung des Buches Deutschland schafft sich ab durch die Kanzlerin, die es nicht gelesen hatte, als taktischen Fehler abzutun, das war nämlich keiner, sondern das ist heuer gang und gäbe. Niemand beansprucht noch zu wissen, wovon er schwätzt, Angela Merkel am allerwenigsten. Analysen zu diesem Phänomen erwartet man vom Feuilleton der FAZ vergeblich.
Thilo Sarrazin brauchte die Reaktionen auf sein Buch nicht zu bestellen; denn er weiß, wie diejenigen reagieren, denen er unliebsame Tatsachen präsentiert. Sie reagieren wie Pawlowsche Hunde.
Nils Minkmar ist Anhänger der SPD und des Peer Steinbrück, das merkt jeder, der seine Lobhudeleien über dessen Auftritt liest. Vielleicht hudelt er ihm aber auch nur im Angesicht des Alptraums einer Bundeskanzlerin Hannelore Kraft lob. Nebenbei liefert er ein Zusatzreferat zur Talkshow, man kennt das von Vorträgen mit anschließender Diskussion, da steht dann immer irgendwo ein Nils auf und präsentiert sich als Koreferent.
Ja, was hat denn nun der Euro mit dem Holocaust zu tun, mit der Vernichtung von sechs Millionen europäischer Juden? Von Peer Steinbrück hört man und von Nils Minkmar liest man nichts dazu, Thilo Sarrazin allerdings sei, auf dieses Thema angesprochen, "fahriger" geworden. Wenn ein Eingeschaftswort ihn nicht trifft, dann "fahrig". Da trifft's ja Mely Kiyak mit "lispelnd" und "stotternd" besser. Fahrig ist übrigens eine Abqualifizierung auf eben dem Niveau. Journalisten wie Nils Minkmar flüchten mangels Fähigkeit zur Analyse in die Kombination von Haupt- und Eigenschaftswörtern: taktischer Fehler, berüchtigte Anonymous-Aktivisten, schöne Geister, sogenanntes Gasometer, folkloristischer Kostenfaktor, der eigentlich Sentimentale, melancholische Memoiren. Und das Ausweichen auf englische Vokabeln, deren Entsprechung im Deutschen kaum noch bekannt ist: Anonymous, Follower, hardcore, das ist cool!
Wenn es ans Eingemachte geht, dem Thilo Sarrazin beispielsweise Unkenntnis der römischen Geschichte vorzuwerfen, wird Nils Minkmar feige. Er macht's wie zahlreiche seiner Kollegen, er bringt eine Behauptung, die er nicht beweisen kann, und damit man ihm die nicht vorwerfen und ihn widerlegen, ihn gar belangen kann, gibt's den vielversprechenden Versprecher im Konjunktiv: "Vielversprechend verspricht die Lektüre seiner Ausführungen über eine südländische Finanzverfassung zu werden, die eine Ignoranz der römischen Geschichte offenbaren könnte". Sie könnte, aber da weiß er doch nicht genau, ob es zur Offenbarung reicht, wahrscheinlich nicht, Kollegen hätten auch schreiben können: Er soll sich in römischer Geschichte nicht auskennen. Jedenfalls ist die Behauptung erst einmal in der Welt, und wie sagt schon James Harff, von der PR-Firma Ruder Finn: "Nachrichten, ob wahr oder erfunden, schnellstens an ausgewählte Multiplikatoren streuen. Es zählt nur das, was einmal behauptet wurde. Dementis dagegen sind völlig unwirksam." Die Leser des Buches von Thilo Sarrazin dürfen also dessen Unkenntnis der "südländischen Finanzverfassung" erwarten, denn er könnte keine Ahnung von der römischen Geschichte haben.
Nebenbei zeigt sich, daß Nils Minkmar keine Ahnung hat, was Schnappatmung ist außer ein lustiges Wort, um dem Thilo Sarrazin noch eins reinzuwürgen: Ich bin Schnappi, das kleine Krokodil. Oder leiden Günther Jauch und Peer Steinbrück unter einer "zerebralen Ischämie oder Hypoxie mit progredientem Ausfall des medullären Atemzentrums und der Hirnstammreflexe"?
Wie jeder Linke, der etwas auf sich hält, kennt auch Nils Minkmar die Wahrheit: "In Wahrheit wird auch dieses Buch von Sarrazin als eine versteckte Autobiographie zu lesen sein." Wie jeder Sozialist, ob national oder inter-, degradiert er den Menschen, den er ablehnt, zum Ding: "Peer Steinbrück kommt das Verdienst zu, den Autor - sine ira et studio – wieder in das richtige Bücherregal sortiert zu haben." Also nicht dessen Buch, sondern ihn. Thilo Sarrazin ist für Nils Minkmar ein Gegenstand, den man sortiert, nein, noch nicht in der Art der Selektion, sondern erst einmal ins Bücherregal, eins nach dem anderen, kommt Zeit, kommt Bücherverbrennung, kommt Selektion. Dann hoffe ich für Thilo Sarrazin, daß er außer Landes ist, in Rom vielleicht als Quaestor arbeitet, nicht in der Bedeutung von Blutrichter, sondern von Finanzbeamter. Im Süden ist es sowieso schöner als in Frankfurt und Berlin.