19. Juni 2013

Frankreich. Land der Eisenbahner


Am 10. Juni 2013 berichtet Le Figaro in seinem Wirtschaftsteil über die Entwicklung der Renten und Pensionen in Frankreich, von 2011 bis 2060: Retraite des fonctionnaires : les syndicats annoncent déjà une grève. Pensionen der Beamten: Die Gewerkschaften drohen bereits mit Streik.

Updates unterm Text
  • Die Kommentatoren sind mehrheitlich begeistert, daß Perpignan am Ar... der Welt bleibt.
  • Korridor Nr. 6 : Almería-Valencia/Madrid-Zaragoza/Barcelona-Perpignan-Marseille- Lyon-Turin-Milan-Verona - Padua/Venice - Trieste/ Koper-Ljubljana-Budapest-Zahony
Es geht um die Modifizierung der Berechnungsgrundlagen, Verlängerung der Einzahlungszeiten, Heraufsetzen des Eintrittsalters in die Pensions- bzw. Rentenzeit, Berechnung der Pensionen und Renten auf Grund der letzten zwei Arbeitsjahre und nicht des letzten halben Jahres. Die Gewerkschaften wollen nicht nur keine Neuberechnungen, sondern Erhöhung der Pensionen.

Yannick Moreau, die Präsidentin der am 27. Februar 2013 von der Regierung eingesetzten Kommission zur Pensions- und Rentenreform des staatlichen Conseil d'orientation des retraites (COR), hat dem Premierminister Jean-Marc Ayrault dazu am 14. Juni 2013 ihren Bericht abgeliefert.

Die Ergebnisse des Berichtes sollen auf der Zweiten Großen Sozialkonferenz zur Beschäftigung, am 20./21. Juni 2013, mit den Sozialpartnern diskutiert werden. Die hat der Premierminister nach dem Motto teile, und es wird nichts, bis dahin einzeln empfangen. Im Sommer wird ein Gesetz vorbereitet, das nach den zweimonatigen Sommerferien der Nationalversammlung vorgelegt werden soll. Die Verabschiedung ist spätestens für Dezember 2013 vorgesehen.

Die Berechnungen des Figaro zur Entwicklung der Renten und Pensionen beruhen auf Zahlenmatierial des COR, siehe Beispiel. Leider ist die Graphik Évolution des pensions annuelles moyennes selon le scénario Médian nicht online, der Figaro meint vielleicht, es müsse den Internauten nicht gleich umhauen, wenn er vor sich sieht, worum es geht.

Die Entwicklung der Pensionen und Renten, 2011 bis 2060, in medianem Szenario:

Staatsbahn SNCF 23 187 € -> 43 594 € = 1 932,25 € -> 3 632,33 € / Monat
Öffentlicher Dienst 22 769 € -> 31 476 € =  1 897,42 € -> 2 623,00 € / Monat
Leitende Angestellte
der Privatwirtschaft 19 991 € -> 25 400 € = 1 665,92 € -> 2 116,67 € / Monat
Beschäftigte der
Privatwirtschaft        10 756 € -> 16 207 € =    896,33 € -> 1 350,58 € / Monat

Im Artikel Frankreich. 4 Milliarden Euro / Jahr für die Gewerkschaften gibt es eine Dokumentation über die Rolle der Gewerkschaften. Während sie weniger als acht Prozent an Mitgliedern unter den Beschäftigten zählen (Frankreich ist eines der europäischen Länder, in denen der Anteil an gewerkschaftlich organisierten am schwächsten ist), 80 Prozent davon im Öffentlichen Dienst, erhalten sie von der Allgemeinheit an die vier Milliarden Euro. Die Mitgliedsbeiträge machen einen lächerlichen Anteil der Finanzmittel der Gewerkschaften aus: drei bis vier Prozent ihres Haushalts. Mehr als 90 Prozent ihres Vermögens kommen von den Arbeitgebern (Staat, Unternehmen), und den "Bonbons", die ihnen angeboten werden. Das ist der Preis für den sozialen Frieden. 

Der Staat und die Unternehmen schmieren mit Geldern der Steuerzahler und der Kunden die Gewerkschaften in der Hoffnung, daß sie sich während sozialer Konflikte erkenntlich zeigen. Denn wenn die Gewerkschaften die Macht haben, Streiks loszubrechen, sind auch sie es, die ihnen ein Ende zu machen wissen. Wie man aber im Fall der geplanten Pensions- und Rentenreform sehen kann, reichen vier Milliarden Euro nicht. Wie man außerdem an der Aufstellung zur Entwicklung der Pensionen und Renten sieht, kümmern sich die Gewerkschaften um die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, besonders um die Beamten der SNCF, der staatlichen Eisenbahngesellschaft, sie alle sind "Eisenbahnergewerkschaft" und "ÖTV". Was Streiks angeht, so heißen die nur so. Es ist nicht wie in Deutschland, wo den Streiks bis auf seltene Ausnahmefälle Urabstimmungen vorauszugehen haben, und der Bundesvorstand bei einem zustimmenden Ergebnis von mindestens 75 Prozent den Streik ausruft, sondern in Frankreich bestimmen die Gewerkschaftsführer auf den jeweiligen Ebenen, ob gestreikt werden soll. Dann legen die Gewerkschafter, wo sie gehen und stehen, die Arbeit nieder, hindern diejenigen, die nicht mitmachen wollen daran zu arbeiten, durchaus auch gewaltsam, und ziehen mit roten Fahnen und vorwurfsvollen Blicken die Bahnhofsstraße in Perpignan entlang, vom Bahnhof, dem Centre du monde, bis zur Place de Catalogne. Sie sehen aus wie Karikaturen der lippischen Schützen - aber vielleicht beleidige ich die damit. 

Dieses Land der Eisenbahner, Frankreich, kriegt zwar beste Gehälter und Pensionen, aber sonst nicht allzu viel hin, den Eisenbahnbetrieb modern zu gestalten und gar optimal in die EU einzubinden. Die Projekte des TGV nach Spanien, über Perpignan, Katalonien, und Hendaye, Baskenland, sowie Italien, Strecke Lyon - Turin, seit vielen Jahren geplant, werden nicht mehr prioritär behandelt, sondern ad calendas graecas, mindestens jedoch bis 2030, verschoben, berichtet das Provinzblatt L'Indépendant: TGV Montpellier-Perpignan : le projet aux oubliettes. TGV Montpellier - Perpignan: das Projekt in der Versenkung. Seit letzten Herbst arbeitet im Auftrag der Regierung eine Commission Mobilité 21 unter der Präsidentschaft des PS-Abgeordneten Philippe Duron an der Evaluierung von 70 Projekten der Verkehrsinfrastruktur. 245 Milliarden Euro sollen sie kosten. Die Finanzierung der meisten dieser Projekte ist nicht gesichert, bei einigen fehlen Milliarden Euro. Mobilité 21 wirft sich zum Schiedsrichter auf und verurteilt damit die Grenzgebiete nach Spanien und Italien zu Zonenrandgebieten, wie die Bundesrepublik sie von 1953 bis 1989 kannte, nur daß es keine Förderung der Zonenrandgebiete gibt.

Das fehlende Glied in der Kette hier bei uns ist die Strecke Montpellier - Perpignan, auf die alle seit Jahren warten. Es gibt einen TGV-Bahnhof, Ladengeschäfte, zu Dreivierteln nicht oder nicht mehr in Betrieb, wie der Supermarkt von Carrefour, eine Zweigstelle der Société Générale, die sicher auch bald schließen wird, einige unerschrockene Ladenketten, die wahrscheinlich zum Nulltarif gemietet haben, es ist eine einzige Ödenei, vor der des Nachts die Gitter herabgelassen werden. Anfang nächster Woche wird die Kommission die bittere Wahrheit verkünden: Perpignan liegt am Arsch der Welt, das Baskenland und Rhône-Alpes ebenfalls. Frankreich bleibt für sich, Kontakte zur Außenwelt könnten die Bürger verwirren. Es fehlt die schnelle Verbindung in den Norden Frankreichs, vor allem nach Paris, und das Roussillon und sein Nachbardepartment Aude werden weiter verarmen. Was schert es die Pariser der Île-de-France, daß hier bei uns die Arbeitslosigkeit noch rasanter steigt als in Flambys übriger Republik? Was schert es die Eisenbahner, die sich gegen jede Reform stellen, und kaum ist der Plan für sie ausgesprochen, mit Streik drohen?

Als Krönung der Grund für die Entscheidung der Commission Mobilité und die Nennung der Verantwortlichen für das Desaster, dem Indépendant gesteckt von Kollegen, die sich mit dem Thema befassen. Das ist nicht die versammelte Inkompetenz der französischen Regierung, sondern: "Ces lignes transfrontalières ne verront le jour que si l'Europe se décide à sortir du dogme allemand et à lancer un véritable plan de relance..."

Diese grenzüberschreitenden Strecken werden das Licht der Welt nur dann erblicken, wenn Europa sich dafür entscheidet, von dem deutschen Dogma abzulassen und einen wirklichen Plan des Aufschwungs einzuleiten.

Die Schuld am Niedergang Frankreichs und seiner Randgebiete trägt Deutschland. Gibt es ein besseres Argument für die deutsche Regierung, aus dem Euro auszusteigen? Ich jedenfalls begehre, nicht schuld zu sein am Niedergang Frankreichs!

Update: Ligne TGV Montpellier - Perpignan : une génération d'espoirs déçus dans les P.-O.

Es ist kaum zu glauben, aber die meisten Kommentare zum Artikel des Indépendant: "TGV-Strecke Montpellier - Perpignan: eine Generation enttäuschter Hoffnungen" zeigen, daß alle Welt froh ist über die Absage an das Projekt, zeigen die Begeisterung der Leser, in ihrem stillen Winkel ungestört zu bleiben. Der Schellfisch haddock, vielleicht ein angelsächsischer Rentner, meint: "Insgesamt gut ... dieser TGV ist einem völlig gleichgültig ... wenn ich richtig lese ... vollkommen. Wenn ich angekommen bin, dann um mich hier anzusiedeln im Dorf Perpignan (oder daneben), um die Stunden der Staus zu vergessen und den Schlafstädten auszuweichen und den Industriezonen. ... Die Ruhe hat ihren Preis ... mir paßt das."

Die Association Corbières gibt eine Art offizieller Erklärung heraus: "Da die Schaffung neuer Schienenstränge mit für die durchfahrenen Gebiete  allen Schädigungen ohne den geringsten Vorteil betreffend Haltestellen oder der Arbeitsplätze lokal nicht tolerierbar ist, laßt uns also hoffen, daß die Stimmen der wirtschaftlichen Vernunft und der Umweltintegrität (Foto: 22 Windräder in Villesèque des Corbières verschönern die Landschaft) gehört werden, die sich von allen Seiten erheben für die alleinige Modernisierung der bestehenden Linien.

Der erste Kommentar Perpignan trou du c-l du monde. Perpignan, am Ar... der Welt, ist ein einsamer Treffer, und der letzte Kommentator möchte eine Grenze hinter Salses-le-Château. Da ist nämlich Katalonien zu Ende, ehemals Spanien, und Frankreich liegt weit, weit weg.

Update. So sollte es werden mit den Schnellzügen in Europa. Korridor Nr. 6 : Almería-Valencia/Madrid-Zaragoza/Barcelona-Perpignan-Marseille- Lyon-Turin-Milan-Verona - Padua/Venice - Trieste/ Koper-Ljubljana-Budapest-Zahony
R.I.P.