2. März 2015

Boris Nemzow. Ruhm und Ehre, Ruhm und Ehre!


Da ich grundsätzlich kein Altpapier kaufe, lese ich jeden Morgen die Lokalzeitung L'Indépendant und den überregionalen Figaro in meinem Café. Heute bin ich besonders gespannt, ob sich meine Vermutungen über die Zahl der gestrigen Trauermarschierenden bewahrheiten. Ich gehe davon aus, daß es in beiden Zeitungen 70 000 wären.

Bingo! Bingo! Bingo!

L'Indépendant : In der Überschrift sind's "mehrere Tausend", im fetten Anreißer darunter sind's 70 000, im Text dann nebenbei: gemäß Auskunft eines [!] der Organisatoren. "Die Polizei ihrerseits hat von annähernd 21 000 berichtet." Anna Duritskaya trauert. Dann folgen Stimmen der trauernden Oppositionellen: "Er sah so gut aus!" meint eine Anhängerin. "Der politische Terror wird sich intensivieren," fürchtet ein Mann."Er kämpfte unerschrocken gegen die Korruption," weiß ein anderer.

Das ist allerdings neu. Man google Boris Jelzin Korruption: "Nach US-Zeitungsberichten sollen zwölf ehemalige und amtierende russische Regierungsmitglieder sowie Geschäftsleute Gelder in Höhe von rund 15 Milliarden Dollar über die US-Banken Bank of New York und die Republic National Bank gewaschen haben. Dabei sollen sie auch Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) und des Nahrungsmittelprogramms der USA für Russland veruntreut haben," weiß das Manager Magazin, am 3.Januar 2000. Da war Boris Nemzow im Westen noch nicht in Mode. Auch der SPIEGEL ist dem Altpapierhaufen der Geschichte noch nicht so nahe wie heute, als er sich am 29. November 2007 über die Zeiten des Boris Jeltzin und seines Ministers für Treibstoff und Energie [sic!] ausläßt. Der Blogger The Accidental Russophile kommentiert, am 2. Dezember 2007, unter anderem die Aussagen zu Boris Nemzow. Lesenswert, auch Kommentare wie diese:

  • Personally, I wish Nemtsov would just go away. I can't stand the fucker. He looked so freaking ridiculous with his "Free Garry Kasparov" sign, as if Kasparov were Nelson Mandela. The whole lot of those guys are such a bunch of hypocrites, considering what Yeltsin did to the KPRF in 1996. "Democracy is when people I like are in power."
  • Awhile back, a certain NY based academic noted Nemtsov's ties to the dubious Russian oligarch money grabbing of the last decade. Prior to that, BN was thought to be a potential future leader.
USA versus Russland, was wirklich geschah.

Nun aber zurück zu Wladimir Wladimirowitsch, der heuer nicht endet mit seinen Schandtaten. Er läßt, so berichtet mein Lokalblatt, Alexeï Gontcharenko bzw. Oleksiy Honcharenko einen ukrainischen Abgeordneten, verhaften, der in Moskau trauermarschiert. Der Grund seiner Verhaftung, die gemäß Volodimir Groisman bzw. Volodymyr Groysman, Sprecher des ukrainischen Parlaments, wegen der Immunität des Abgeordneten nicht gestattet ist? Er trägt ein nicht genehmes T-Shirt:

Gemäß Bemerkungen auf seiner Facebook-Seite wurde er allein deshalb verhaftet, weil er ein T-Shirt trug mit Nemzows Konterfei  und darunter der Aufschrift 'Helden sterben nie'.

According to remarks published on his Facebook, Alexei Goncharenko was simply detained for wearing a T-shirt with portrait of Nemtsov, above the words ‘Heroes Never Die'.

Stahlgewitter - Ruhm und Ehre der Waffen-SS. La gloire et l'honneur de la Waffen-SS: "Helden sterben nie vergebens." Das Adverb "vergebens" hat Alexeï Gontcharenko weggelassen. Meint er, der Tod des Boris Nemzow wäre vergebens?

Da beide Nachrichten des Indépendant nicht online sind, schaue ich zum Thema der nie sterbenden Helden nach in der Libération:

Die Nachricht wird begleitet von einem Foto, auf dem er ein T-Shirt mit dem Foto des Boris Nemzow trägt mit der Aufschrift "Die Helden sterben nicht", einem der Slogans der pro-westlichen Demonstrationen des Maidan von Kiew, im vergangenen Winter.

Le message accompagne une photo sur laquelle il porte un t-shirt avec la photo de Boris Nemtsov et l’inscription «Les héros ne meurent pas», l’un des slogans des manifestations pro-occidentales du Maïdan à Kiev l’hiver dernier.

Nebenbei soll die russische Staatsanwaltschaft gegen den Abgeordneten ermitteln wegen seiner Rolle in dem Massenmord an 40 pro-russischen Aktivisten, die am 2. Mai 2014 lebendigen Leibes in Odessa verbrannt wurden.


Aber das mit dem T-Shirt ist eine Schande! Einer solchen Bekundung wegen wird ein unbescholtener ukrainischer Bürger in Moskau verhaftet? Wer denkt da nicht an die Verhaftung und Wegführung vom Tatort, Ostern 2013, wegen Störung der öffentlichen Ordnung, im Pariser Jardin du Luxembourg, des Familienvaters mit dem T-Shirt gegen die Abschaffung der Ehe und Familie? Solches muß geahndet werden, Verwarnungen werden reihenweise ausgesprochen, aber Stahlgewitter - bei Youtube wird "Waffen-SS" durch "deutsche Wehrmacht" ersetzt - und die Ermordung von ukrainischen Bürgern?

Le Figaro berichtet, nicht online, im Artikel Quinze ans d'opposition opiniâtre à Poutine. Fünfzehn Jahre hartnäckiger Opposition gegen Putin, daß der russische Schriftsteller und Politiker Eduard Limonow meine: Er wird gesehen als einer der Verantwortlichen für die Verarmung des Volkes. Il est vu comme un responsable de l'appauvrissement du peuple. Und zu den ergriffenen und wütenden Trauernden in Moskau berichtet Marie Benatar, es wären nach Angaben des Innenministeriums 16 000, aber 70 000 nach den Organisatoren. Der Untertitel im Altpapier vermerkt: des dizaines de milliers, zig Tausende. Such Er sich etwas aus!

Und zum Schluß setzt's noch eine Äußerung, aus der man entnimmt, wer immer Schuld hat: "Die Behörden haben ihn nicht direkt töten lassen, aber sie sind verantwortlich für das Klima des Hasses."

Das müßte allen Juden und Israelis bekannt vorkommen.