19. April 2015

Günter Grass und der Schmerz


Im Indépendant meint Serge Bonnery, Günter Grass (16. Oktober 1927 - 13. April 2015) hätte uns eine Lektion erteilt: La leçon de Grass. Er bezieht sich auf ein Interview, das der Nobelpreisträger von 1999, am 21. März 2015, der spanischen Zeitung El País gegeben hat, gewissermaßen als sein Vermächtnis.

Leider stellt L'Indépendant eine solche Perle nicht online. Günter Grass haucht mit letzter Stimme: "Diese Geschichte verfolgt uns ... bis dahin, daß sie uns quält. Es ist sogar noch heute schwierig zu lernen, mit dem unheilbaren Wundmal von Auschwitz auf dem Gesicht der Menschlichkeit zu leben."

Cette histoire nous suit ... au point qu'elle nous hante. Il est difficile, aujourd'hui encore, d'apprendre à vivre avec la cicatrice inguérisable d'Auschwitz sur le visage de l'humain.

Für spanisch lesendes Publikum liefert L'Indépendant den Link zum Interview, das Juan Cruz führt, der Stellvertretende Chefredakteur des dem PSOE nahestehenden Blattes, und so findet man das Elend des "unbequemen Zeugen des 20. Jahrhunderts" Günter Grass: Der Schmerz ist der Hauptgrund, der mich hat arbeiten und schaffen gemacht.

Günter Grass: “El dolor es la principal causa que me hace trabajar y crear”

Juan Cruz berichtet, daß am Abend des 13. April 2015 auch der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano (3. September 1940 - 13. April 2015) gestorben ist, und am nächsten Tag Vilas Sarang (1942 - 14. April 2015), einer der bedeutendsten modernen Schriftsteller Indiens. Die Brüder im Geiste Grass&Galeano hat es am 13. April 2015 dahin gerafft.

"¿Nace una estrella?" (Wird ein Stern geboren?), Osama bin Laden, ein neuer Star oder nur ein zweitklassiger Schauspieler? fragt Eduardo Galeano drei Jahre vor dem 11. September 2001, als an der Berufung des Osama bin Laden zum islamischen Glaubenskrieger schon kein Zweifel mehr bestehen kann. Für solche Treffsicherheit wird er vom Monde Diplomatique, am 8. Mai 2004, zur großen Feier des 50-jährigen Bestehens des Kampfblattes aller linken und nationalistischen USA-Feinde im Pariser Sportpalast begrüßt. Im Artikel Bernard Cassen und Ignacio Ramonet - zwei Nationalisten im Kampf gegen die USA kann man lesen, welchen "Stimmen des Widerstandes" diese Ehre zuteil wird. Es sind die versammelten Israelfeinde. Der Juden- und Israelhasser Günter Grass samt seiner letzten Tinte hätten gut dazu gepaßt.

Aber zurück zum Interview, zur "überwältigenden Vermischung von Politik und Poesie". Es beginnt mit der "Blechtrommel", es geht um ihn als Zeichner und Maler, und man kann seufzen: Wäre er doch dabei geblieben! Es folgt Günter Grass als Dichter und Schriftsteller, der sich nicht unter dem Einfluß von Martin Heidegger, sondern von Albert Camus sieht, mehr Dasein als Wesen, mehr Sisyphos statt "Sein zum Ende".

Und schon ist er bei der Politik, bei Phrasen aus der Mottenkiste des Zeitgeistes über ein undefiniertes "Wir", das erstmalig Verantwortung trage, das die Fähigkeit zur Zerstörung der Menschheit besitze, bei Phrasen über soziales Elend und Klimawandel, eine Konferenz folge der anderen, aber "es geschieht nichts." Por primera vez somos responsables.

Der Interviewer setzt nach: "Und die Probleme häufen sich." Hinzu kämen die Übervölkerung der Erde und der Atommüll, ergänzt der Dichter. Dann droht er für den Herbst 2015 das Erscheinen seines neuen Buches an, kurze Texte zeigten darin die intensive Beziehung von Prosa und Poesie. Die hat die Leserschaft bereits im Gedicht "Was gesagt werden muss" zu spüren bekommen. Wenn es darum geht, vor einem Krieg Israels gegen den Iran zu warnen und keine U-Boote mehr an Israel zu liefern, wird die Prosa des Günter Grass lyrisch.


"Während meines ganzen Lebens, und bis heute, blieb das [der Schmerz] gleich. Und das Unglaubliche ist, daß Deutschland eine Geschichte ohne Ende ist, weil der Holocaust und der Völkermord, diese schrecklichen Verbrechen, eine Geschichte darstellt, die niemals endet. Gegenwärtig sehen wir es in Griechenland: Wir stehen noch einmal  dem Problem des von den deutschen Soldaten während der Besatzung verursachten Grauens gegenüber. ... Diese Geschichte folgt uns und verfolgt uns."

So leidet ein Deutscher am Holocaust, wird zum Charlie. Der Status als traumatisiertes Opfer der Verbrechen des Dritten Reiches wird ihm zur Verpflichtung, als Mahner und Richter aufzutreten und diejenigen zu maßregeln und anzuprangern, die nicht seinen Vorstellungen entsprechend handeln.

Nicht alle Leser des País sehen das so:

jose luis Montes, 14.4., 13:12
Grass war in keinem Wehrdienst verpflichtet, gegen die Russen zu kämpfen. Günter Grass hat sich freiwillig anwerben lassen zu den fanatisierten Waffen-SS, in einer Division, die bis in die letzten Kriegstage in den Ruinen von Berlin kämpfte. Es ist eine Beleidigung der Intelligenz, daß er uns weismachen will, er hätte keinen einzigen Schuß abgegeben.

jose luis Montes, 14.4., 13:12
Grass no estuvo en ninguna milicia obligado a luchar contra los rusos.Gunter Grass se alistó, voluntario,en las fanatizadas Waffen SS en una división que luchó hasta los últimos días
de la guerra en las ruinas de Berlín. Es un insulto a la inteligencia que nos pretendiera colar
que no pegó un solo tiro..

Am 13. April 2015 haben Lügen und Leiden ein Ende. R.I.P. Günter Grass.