15. Februar 2019

Ende des Riesenvogels A380

Ein gekürztes Geblöke vom Schaf, vom 16. Juni 2006, als Grabrede

Das krachende Scheitern des "Major Tom". Von Christoph Schwennicke, Cicero, 15. Februar 2019

Airbus: Vom Clearstream zum Dreamliner oder: Vom Möttker zum Alptraum

Liebe Freunde!

Ich weiß, ich weiß! Ihr habt schon wieder Angst um mich, weil ich außer hin&wieder 'ne Weisheit nichts blöke. Meine Herrin stopft mir das Maul mit frischen Möhren und duftendem Heu.

Ich befrage den Ferni: "Tanzen ist Träumen mit den Beinen!" Das ist weise. "Na," sagt meine Herrin bissig, "solange du nicht mit dem Schwanz träumst, du Heidschnuckenbock!" Gemein!

Ich komme ob ihrer Großzügigkeit aus dem Staunen nicht heraus. "Du kannst dich ein wenig bilden, ich habe die Aktualitätenseite und den Wirtschaftsteil des Indépendant aus dem Café mitgebracht; die wollte sowieso keiner lesen, weil Frankreich bescheinigt wird, daß es im Land zügig weiter bergab geht mit Politik und Wirtschaft," meint sie streng und wirft das Papier in meinen Pferch: "Lies!"

Ich lese, blök! Die französische Wissenschaft und Industrie müssen damit leben, daß ihre Forscher 'ne Green Card beantragen und ihre Genforschungen in den USA weiterführen, und jetzt wird ihnen der desolate Stand der Luft- und Raumfahrt bei EADS zusätzlichen Brain Drain bringen.

Alles fängt so vielversprechend an. Am 27. April 2005 sind die Medien live dabei, als EADS der Welt und vor allem der Konkurrenz Boeing den Airbus A380, das Wunder der Luftfahrttechnik, präsentiert. Die Entwicklung des Riesenflugzeugs wird sogar als Argument für ein "Ja" zur europäischen Verfassung, am 29. Mai 2005, hochgejubelt. Die französische Regierung macht ihrer Bevölkerung weis, daß der Airbus A380 dank der Europäischen Verfassung möglich ist, während die kommunistische Humanité den Flieger sprechen läßt: "A380 stimmt mit 'Nein'."

L'A380 vote "non". Par Jean Navals, technicien d’Airbus à la retraite. 
Humanité, 27 avril 2005 [nicht mehr online]

Nach der Luftschau bestellen die Fluggesellschaften der Welt 150 Exemplare des Airbus A380. Singapore Airlines, Die Emirates Airlines und die australische Qantas sind die ersten Kunden, Singapore Airlines soll das erste Exemplar im März 2006 geliefert bekommen. Dieser Termin kann nicht eingehalten werden, sondern er wird aufs Jahresende verschoben. Am 15. Februar 2006 verliert das Flugzeug bei einer Serie statischer Tests einen Flügel. Darüber berichten die französischen Medien nichts: personne n'en parle, niemand spricht darüber. Im Gegenteil, in den Korridoren von Airbus werden Witze über den Konkurrenten Boeing und seine schwachen Leistungen gerissen, wie meiner Herrin bekannt wird. Googlet auf den französischen Seiten A380 perd aile, und Ihr findet außer zwei oder drei medienkritischen Sites niemanden, der den Verlust des Flügels bemerkenswert findet.

L'A 380 perd une aile en silence. Le stublog de steel, 24 février 2006

"Herrin," blöke ich daraufhin frech, "neulich habe ich dir die Anekdote von der Klofrau erzählt, und du warst gar nicht angetan davon. Ich wiederhole sie; denn sie paßt immer noch: 'Bei EADS sitzen die Ingenieure bei offener Tür in ihrem Atelier und debattieren heftig; bei statischen Tests ist vom neuen Airbus 380 ein Flügel abgefallen. Da kommt die Klofrau den Gang entlang und hört die Klage der Verzweifelten. Sie tritt ins Atelier und rät: Das ist doch ganz einfach, Sie müssen die Ansatzstelle perforieren! - ??? - Ja, das Klopapier reißt auch nie an der Perforation!'"

Das Lachen kann dem Schaf vergehen, da es weiß, daß bei EADS noch so einiges los ist. "Woher weißt du's denn?" fragt meine Herrin spitz, "wenn nicht aus meinem Artikel über Clearstream?" [im Orkus verschwunden] Da muß ich ihr recht geben. Bei EADS wirkt bis vor kurzem, als er schmählich entlassen wird, Jean-Louis Gergorin, der berüchtigte Clearstream-Louis, der seine und die des Jacques Chirac politischen und geschäftlichen Gegner mit gefälschten Listen ausschalten will, aus denen hervorgehen soll, daß diese Gegner beim Finanzinstitut Clearstream Konten mit Schmiergeldern unterhalten. Der Louis ist seit dem Jahr 2000 geschäftsführender Vizepräsident für strategische Koordination und Mitglied des Exekutivrates des Konzerns EADS, in dem die Familie Lagardère über ihre Aktiengesellschaft Désirade Großaktionär ist. Sie und die staatliche französische Gesellschaft Société de Gestion de Participations Aéronautiques (SOGEPA), besitzen zu gleichen Teilen insgesamt 30,19 Prozent der Aktien von EADS, Europas größtem und weltweit zweitgrößtem Aeronautik-Konzern. Noch im April 2006 erklärt Wirtschafts- und Finanzminister Thierry Breton, daß sich der Staat nicht von seinem Besitz an EADS trennen werde.

Das schreibt meine Herrin Anfang Mai 2006, da ist es noch nicht bis zu ihr vorgedrungen, daß Arnaud Lagardère einen Anteil von 7,5 Prozent verkauft hat, also die Hälfte seines Aktienpaketes. Das tut er im April 2006, und er weiß angeblich nichts von einem kommenden Kurssturz. Auch Daimler-Chrysler reduziert seinen Anteil an EADS. Insidergeschäfte wird man später nur dem Co-Vorstandschef Noël Forgeard und einigen Managern vorwerfen, die im März (!) 2006 ihre Stock-Options, ihre Aktienoptionen für Führungskräfte, verscherbeln: Vehement trat Lagardère der Vermutung entgegen, in der Erwartung des Kurssturzes im April die Hälfte seiner 15 Prozent EADS-Anteile verkauft zu haben, schreibt die Financial Times Deutschland, am 15. Juni 2006. Jetzt erklärt sich auch die Äußerung des Finanzministers.

Der UMP-Abgeordnete der Nationalversammlung Jacques Myard bezichtigt Arnaud Lagardère und Manfred Bischoff, die beiden Vorsitzenden des Aufsichtsrates von EADS, der Insidergeschäfte, und fordert einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Wie solche Ansinnen bei vollständigem Desinteresse der Regierung enden, haben meine Herrin und ich im Falle des UMP-Abgeordneten Didier Julia gesehen.

"Die Aktien des Thierry Breton will sowieso keiner mehr haben," erwidert meine Herrin darauf kalt, "es ist das Geld der französischen Steuerzahler, sie erleiden Verluste in Millionenhöhe." Wieso besitzt ein Staat Aktien eines Industrieunternehmens, das Aufträge des Verteidigungsministeriums erhält? Es ist ein einziger Sumpf, ostwestfälisch: Möttker. Erinnert Ihr Euch, wie die französischen Journalisten und Politiker sich über die Verhältnisse in den USA aufregen, über Bechtel, Halliburton, Lockheed, Enron?

"Die Deutsche Bank hat von 'Kauf' auf 'Hold' runtergeschaltet, aber ich wäre für 'Sell', was noch nicht heißt, daß einer überhaupt das Papier will," blöke ich; denn ich lese inzwischen nicht nur im Indépendant, sondern auch in anderen französischen und deutschen Medien, beispielsweise im Handelsblatt, das gespickt ist mit Artikeln über den Niedergang von EADS. Schaut nur auf die Startseite des Blattes. Heute, am 5. Oktober 2007, müßtet Ihr allerdings EADS Insidergeschäfte in die Suchfunktion eingeben. Es lohnt sich [immer noch. Stand: 16. Februar 2019].

Von den Entwicklungen bei EADS ist nicht nur Frankreich betroffen, sondern auch die deutsche Daimler-Chrysler-Gruppe, die britische Rüstungsfirma BAE Systems, und das spanische Staatsunternehmen SEPI, die Anteile an EADS besitzen. Sowohl die Familie Lagardère als auch Daimler-Chrysler haben ihr Engagement bei EADS verringert, was kein Vertrauen erweckt an der Börse. Ko-Aufsichtsratsvorsitzender von EADS ist der Deutsche Manfred Bischoff, der demnächst Präsident von Daimler-Chrysler werden soll. Die Gründe für den Rückzieher teilt Arnaud Lagardère nicht mit, er habe seine Entscheidung bereits 2005 getroffen, berichtet er der Le Monde. Da ist der Flügel noch dran, und auch die anderen Schwierigkeiten sind ihm angeblich nicht bekannt zu der Zeit. Die Ausmaße der Baisse hätten ihn überrascht. Im Konzern kennt sich anscheinend niemand aus, von den Aufsichtsratsvorsitzenden Arnaud Lagardère und Manfred Bischoff über die Vorstandschefs und die Abteilungsdirektoren bis zur Putzfrau, die ich aber nicht beleidigen will, vielleicht liest sie ja den Wirtschaftsteil ihrer Zeitung, weiß schon lange mehr, hält aber keine Stock-Options, die sie verkaufen könnte, die arme Frau.

Der Totalausverkauf hätte die Börsenaufsicht sofort auf den Plan gerufen, wie die Medien zu der Zeit berichten. Da hätte auch Jacques Chirac nicht helfen können.

Die BAE Systems will ihren Anteil von 20 Prozent am Airbus ebenfalls und zwar umgehend verkaufen und "beschleunigt ihren Ausstieg", schreibt das Handelsblatt. Die Briten, nicht gerade bekannt als Busenfreunde der Franzosen, hat man wohl nicht rechtzeitig informiert, so daß sie auf ihrem Aktienpaket sitzenbleiben. Ich kann sie sehr wohl verstehen, daß sie es eilig haben; denn der Schaden wird noch größer: Die Aktienwerte von EADS-Großaktionär Daimler-Chrysler sanken ebenso wie die des Airbus-Zulieferers und Triebwerkherstellers MTU Aero Engines.

Der Airbus A380 ist nicht das einzige Sorgenkind, Schwierigkeiten entstehen auch beim Airbus A350, der Konkurrent des Dreamliner von Boeing werden soll. Die Konstruktionspläne müssen verändert werden, sie genügen dem Bedarf der Fluggesellschaften nicht. Singapore Airlines bestellt nun schon den Dreamliner, die japanische All Nippon sowieso. Der Airbus A340 ist ebenfalls in der Kritik; er verbraucht zuviel Sprit, was die Kunden dazu bringt, auf Boeing umzusteigen. 400 Bestellungen gibt es schon, und der Jungfernflug findet im Frühjahr 2007 statt.

EADS chute de plus de 26%, die EADS-Aktien fallen um mehr als 26 Prozent, schreibt L'Indépendant, EADS erleide eine der schlimmsten Baissen, die eine Gesellschaft des CAC 40, des "französischen Dax", je erlitten hat: -26,32% auf 18,73 Euro. Gewinnverluste von jährlich mehr als 500 Millionen Euro gegenüber dem Plan für 2007 bis 2010 werden erwartet, eine gepfefferte Rechnung. EADS: Sechs Milliarden Euro verflogen in einigen Stunden.

Das ist am 14. Juni 2006. Als wenn es noch nicht genug wäre mit Lieferverzug, schweren Vorwürfen der Aktionäre und der Gesellschaft Emirates Airlines, die mit fliegenden Fahnen zu Boeing überlaufen will, macht auch der Co-Vorstandschef von EADS Noël Forgeard von sich reden. Ihm werden Insider-Geschäfte vorgeworfen. Er und einige andere leitende Angestellte von EADS hätten, berichtet die Autorité des marchés financiers (AMF), die Kontrollbehörde der Finanzmärkte, im März 2006, bevor die schlechten Nachrichten bekannt sind, eine große Anzahl ihrer Stock-Options verkauft, Noël Forgeard in Höhe von 2,5 Millionen Euro. Seine drei Kinder hätten jedes 1,4 Millionen Euro eingesteckt. Auch die Direktoren der EADS-Abteilungen Raumfahrt, Personal, Marketing und Sicherheit hätten Stock-Options verkauft. Die Fälle werden nun untersucht, und der Sprecher der EADS behauptet, Noël Forgeard habe zur Zeit, als er die Aktien verkaufte, keinerlei Informationen über die Verzögerung des Baus von A380 gehabt, der Zufall geht oft seltsame Wege. Auch Arnaud Lagardère weiß angeblich nichts über die Zustände in seinem Konzern und verkauft die Hälfte seines Aktienanteils unabhängig davon.

Schwarze Wolken am Himmel von Airbus. vau, Amsterdam, Neue Zürcher Zeitung, 15. Juni 2006

"Das muß schaf sich mal vorstellen," blöke ich, "im März 2006 ist zum Co-Vorstandschef der EADS nicht vorgedrungen, daß am 15. Februar 2006 dem Flugzeug ein Flügel abfällt. Oder ist ihm die Bedeutung dieses Unfalls für die Auslieferung des Airbus A380 nicht klar? Es heißt Lieferverzug von mindestens einem halben Jahr. Nun ist sein Vorstandssessel in Gefahr. Auch für Arnaud Lagardère, Manfred Bischoff und andere Manager kommt der Kurseinbruch aus heiterem Himmel!"

"Hast du nun genug geblökt?" fragt mich meine Herrin. "Wenn ja, dann schlag' doch vor, was zu tun ist!" - "Na, ganz einfach: Die European Aeronautic Defence and Space Company schließt ihr Airbus-Atelier, und wir alle fliegen nur noch mit dem Dreamliner." Boeing! Boeing!

Blök!
Euer Schaf
Börsenspekulant
16. Juni 2006



Liebe mit EADS-Aktien geschlagene Freunde!

Bis heute schreibt die französische Presse nichts über die Panne des am 15. Februar 2006 vom A380 abgerissenen Flügels. Das aber ist das sonnenklare Anzeichen für eine mindestens halbjährige Verschiebung der Lieferung, woraus die weiteren Probleme bis hin zum Kurssturz notwendig folgen. Von den Entwicklungsproblemen des A350 und dem im Benzinverbrauch zu teuren A340 ist dabei noch gar nicht die Rede.

Jedermann wußte, daß der Zeitplan für die Lieferung des A380 nicht eingehalten werden konnte, sagen die Mitarbeiter von Airbus der Libération.

"Tout le monde savait qu'on ne tiendrait pas les délais". Par Gilbert Laval,
Libération, 17 juin 2006 [nicht mehr online]

Dieses Insiderwissens wegen sollen Noël Forgeard, seine drei Kinder und fünf Direktoren von EADS drei Wochen später ihre Stock-Options verkauft haben. Es sieht für die Finanzwelt so aus, daß Arnaud Lagardère eine Schamfrist bis April 2006 verstreichen läßt. Er kann allerdings nur die Hälfte seiner Anteile verkaufen, sonst würde die AMF sofort aus ihren Träumen gerissen.

EADS Executive Calls His Sale of Shares Coincidental. By Nicola Clark, 

Heute steht im Figaro, daß bereits Ende 2005 der ehemalige deutsche Co-Vorstandsvorsitzende Rainer Hertrich ein Projekt "au coût alarmant", von alarmierenden Kosten, kritisiert. Es geht dabei um den A380, das Lieblingsprojekt des Noël Forgeard. In EADS finden über die Strategie ständig Auseinandersetzungen zwischen den Franzosen und den Deutschen von Daimler-Chrysler statt, die bislang 30 Prozent hielten, aber mit Arnaud Lagardère zeitgleich ebenfalls 7,5 Prozent ihrer Anteile verkaufen. Wenn Ihr wißt, liebe Kleinaktionäre, daß Noël Forgeard ein Intimfreund von Jacques Chirac ist, der bis heute in Treue fest zu ihm steht, dann ahnt Ihr, wie die Mißwirtschaft zu erklären ist. EADS ist ein Nest der Korruption, sonst wären auch solche kriminellen Handlungen wie die des Jean-Louis Gergorin nicht möglich.

Noël Forgeard, dessen Wunsch es immer gewesen ist, die Alleinherrschaft an der Spitze von EADS anzutreten, schiebt jetzt alle Probleme auf die Deutschen, vor allem auf die Produktion in Hamburg. Angriff meint er, ist die beste Verteidigung: die Deutschen sind schuld. Diese, in Gestalt des deutschen Co-Vorstandsvorsitzenden Thomas Enders und sämtlicher deutscher Manager in EADS, schweigen dazu noch höflich. Da kommt noch reichlich auf uns zu; denn das Verhalten des Noël Forgeard ist zur Lösung der Probleme des Konzerns wenig hilfreich. Gegenwärtig erweckt der Konzern den Eindruck, daß er so versumpft ist wie die gesamte Chiraquie.

"EADS lebt [und stirbt] im Rhythmus der deutsch-französischen Spannungen"
EADS vit au rythme des tensions franco-allemandes. Par Christine Ducros, Le Figaro, 16 juin 2006

Blök!
Euer Schaf
deutscher Heidschnuckenbock
17. Juni 2006 - 5. Oktober 2007
Gekürzt und mit aktualisierten Links versehen, am 16. Februar 2019