15. Dezember 2015

Frankreich. Regionalwahlen 2015


Eine Fülle von Analysen und Meinungen wird in den nächsten Tagen geliefert, hier ein Versuch, über die Struktur der Parteienlandschaft zu zeigen, was auf die Franzosen, besonders aber auf diejenigen rechten und linken Wähler zukommt, die in zwölf von dreizehn Regionen zähneknirschend die Nicht-Frontisten gewählt haben, um das Nullsummenspiel "Wir oder Die" zu retten. Korsika ist eine Ausnahme, die das Elend der Parteien Frankreichs ins strahlende Licht des Mittelmeeres taucht.

Es geht im Hexagone um drei politische Formationen: Rechte, Linke und Front National.

Während der Front National (FN), 27,1% der Stimmen im zweiten Durchgang, die zu erledigenden "Die", eine Partei mit einer von allen Mitgliedern und Sympathisanten unterstützten Vorsitzenden sowie mit einem von diesen mehrheitlich gutgeheißenen Parteiprogramm ist, sieht es in den beiden anderen Formationen anders aus. Beide sind Konglomerate, in denen die Vorsitzenden der Hauptkomponenten Nicolas Sarkozy und François Hollande nicht unumstritten sind; nicht einmal in ihrer eigenen Partei, den Républicains (LR) und dem Parti Socialiste (PS), können sie sich auf Einmütigkeit verlassen.

Einen Eindruck von der Lage in der Parteienlandschaft mag die Tabelle der politischen Schattierungen im Senat 2004 geben, la Grille des nuances politiques, in der für die Zugehörigkeit der Kandidaten 15 und für die der Listen 16 aufgezählt und definiert sind.

  • Von den 15 sind sieben links, eine regionalistisch, fünf rechts, eine berufs- oder personenbezogen oder nicht einsortierbar, eine dem FN und eine der extremen Rechten, unabhängig vom FN, zuzuordnen.
  • Von den 16 Listen sind sieben links, eine nicht einsortierbar, eine regionalistisch, fünf rechts, eine dem FN und eine der extremen Rechten, unabhängig vom FN, zuzuordnen.

Die sich selbst als rechts bezeichnende und so auch von den Medien genannte Formation, 40, 24% der Stimmen im zweiten Durchgang, besteht hauptsächlich aus Les Républicains (LR), den Republikanern, der Union des Démocrates et Indépendants (UDI), der Vereinigung der Demokraten und Unabhängigen [von wem oder von was unabhängig?], dem Mouvement Démocrate (MoDem), der demokratischen Bewegung, sowie einigen spontan entstandenen Abweichlergrüppchen, wie den Divers droite (DVD), Rechten, deren Spitzenkandidaten keiner Partei zugehören, aus einer eben ausgeschlossen oder beurlaubt sind.

Wenn man die drei mit deutschen Parteien vergleichen sollte, so könnte man, läßt man die Luftblasen in ihren Auftritten weg, vereinfacht sagen, daß die Programme von LR und UDI in der CDU und der FDP abgedeckt werden, der MoDem sich einmal in der CDU und ein anderes Mal in der SPD wiederfände, eine Art profilloses Zünglein an der Waage, darin nicht zu vergleichen mit der FDP in ihren schlechtesten Zeiten.

Gründer und Vorsitzender des MoDem ist François Bayrou, von der linksrechten Mitte, der José Bové für Führungskräfte. Ich habe ihn in zahlreichen Artikeln porträtiert.

Mit François Bayrou sind wir beim Personal der Komponenten der Formation. Da liest man seit dem Wahlsieg des François Hollande, am 15. Mai 2012, von Schlachten und Schlammschlachten zwischen den potentiellen Präsidentschaftskandidaten der Républicains Nicolas Sarkozy, Alain Juppé, François Fillon und, in geringerem Maße, Bruno Le Maire. Hin und wieder werden Gerichte bemüht, meist gegen Nicolas Sarkozy, Alain Juppé hat seine rechtskräftige Verurteilung bereits elf Jahre hinter sich. Über diese Inkompetenz in Person gibt's einiges auf meinem Blog. Ebenso über Nicolas Sarkozy, unter anderem über ihn und seinen Kumpan, den Emir von Katar, das Duo Infernal. Nicolas Sarkozy und Alain Juppé kommen in die engere Wahl für die Präsidentschaft, ab 2017. Der Präsident der UDI ist Jean-Christophe Lagarde.

Die Parteien der Rechten werden vor allem bestimmt durch die persönlichen Ambitionen ihrer Führungskader; sie sind in erster Linie Vertreter weltweiter Geschäftsbeziehungen und strategischer Interessen. Ihre Mitglieder und Wähler würden sicherlich nicht ihr Kreuzchen woanders machen, wenn LR und UDI eine Partei bildeten. Der MoDem würde sich bei einer Zusammenlegung aufspalten in einen Teil, der zum rechten und einen, der zum linken Lager ginge. Für Jean-Christophe Lagarde und erst recht für François Bayrou wäre das ein Abstieg in unbedeutendere Ränge, wenn nicht das Aus.

Um die Daseinsberechtigung von LR, UDI und MoDem nachzuweisen und damit deren Vorsitzenden ein unverwechselbares gediegenes Profil zu verpassen, schaffen Funktionäre und Mitarbeiter der drei Parteien in ihren Apparaten immer neue, konkurrierende Unterschiede der politischen Linien herbei, immer neue Weiterentwicklungen von Programmen, von denen sie selten eines zur Zufriedenheit der Bürger erfüllt haben, sie beschreiben Seiten mit Listen über zukunftsweisende Projekte, und jede der drei Parteien stellt sich dar als das beste Bollwerk gegen den Front National. Dazu müssen die LR einiges tun, die Flanke nach rechts zu schließen. Eine Maßnahme ist die Ausschaltung der LR-Funktionärin Nadine Morano, die General Charles de Gaulle zitiert, der heute aus seiner Partei, aus der die LR hervorging, gewiß augeschlossen würde: "Wir sind ein jüdisch-christliches Land [...] weißer Rasse". Nadine Morano möchte, daß Frankreich Frankreich bleibt und nicht muslimisch wird.

Im Artikel, vom 30. September 2015, Charles de Gaulle. Parteiausschluß kann man dazu lesen.

Nun zur Linken, 32,12% im zweiten Durchgang, sie setzen sich hauptsächlich aus dem Parti Socialiste (PS), den Europe Écologie Les Verts (EELV), dem Parti Radical de Gauche (PRG), dem Parti de Gauche, dem Parti communiste français (PCF) sowie zahlreichen weiteren linken Splittergruppen, der Lutte ouvrière (LO), den Divers gauche, analog den Divers droite, etc. zusammen. Parti de Gauche und PCF bilden den Front de Gauche, deren gemeinsamer Spitzenkandidat ist der ex-Lambertist/Trotzkist Jean-Luc Mélenchon, vom Parti de Gauche. Man sieht, dem PCF ist heuer nichts mehr heilig.

Mit deutschen linken Parteien kann man den PS, die EELV und den Front de Gauche vergleichen. Sie entsprechen in etwa der SPD, den Grünen und der Linken.

Anders als bei den rechten Gruppen sind bei den linken zuerst ideologische Differenzen ausschlaggebend; unmittelbar folgen persönliche Ambitionen ihrer Führungskader und ihres engeren Kreises. Der PS besteht aus einem klassisch linken und einem linksliberalen Flügel; letzterer vertritt außer eigenen auch weltweite Geschäftsbeziehungen und strategische Interessen Frankreichs. Die übrigen ergehen sich in Völkerfreundschaft.

Das Geschäftsinteresse aller Linken besteht neben der Sicherung eines üppigen Gehaltes aus der politischen Tätigkeit vor allem darin, möglichst viele Stimmen aus allen nicht-rechten Wählerkreisen auf die jeweilige Partei zu vereinen. Sie brauchen anders als die Rechten keine unterschiedlichen Programme zu erfinden, eine jede Gruppierung besteht allein deshalb.

Daher kommt ihr Einsatz für kommunitäre und Randgruppen, vor allem für die Muslime. Mit einem tatsächlichen Interesse am Wohlergehen dieser und sämtlicher Randgruppen der Gesellschaft hat das auf den Führungsebenen der linken Parteien wenig zu tun. Den Einsatz überläßt man seinen Anhängern und Wählern, die dazu logistisch und finanziell unterstützt werden.

Nun noch ein Wort zum Sonderfall Korsika.

Dort räumen Gilles Simeoni und seine nationalistische Partei Femu a Corsica mit 35,3% der Stimmen den Sieg für sich ab. Wo diese Partei politisch anzusiedeln ist, ergibt sich aus einem Blick aufs Wahlergebnis: Der PS erzielt 28,5% LR 27,1% und der FN 9,1%.

Es ist zu befürchten, daß weder die rechte noch die linke Formation des Hexagone daraus Konsequenzen zieht. Da gehen sieben Regionen an die sich feiernde Rechte, "Euer mutiger Kampf hat unseren Kandidaten zu sehr schönen Siegen verholfen," liest man auf der LR-Website, fünf an die abgestrafte Linke, deren führende Partei, der PS, sich noch in seiner Agonie nicht um sich, sondern um den Feind FN schert: Ladet das Schwarzbuch des FN herunter und teilt es mit uns, und das Nullsummenspiel hat wieder funktioniert. Das politische Projekt ist und bleibt, den FN abzuwehren.

Man wird darauf warten, daß der FN von allein aus der politischen Landschaft verschwindet. Das wird nicht geschehen; denn dort bleibt man nicht untätig, vor allem, was die Überprüfung des vom FN-Vizepräsidenten Florian Philippot entworfenen linksradikalen Wirtschaftsprogramms angeht, es ist nämlich in allen Bereichen archi-nul, völlig ungeeignet. Die fürs Nullsummenspiel mißbrauchten Wähler der Rechten und der Linken aber werden zu den Präsidentschaftswahlen scharenweise zu Hause bleiben. Wen interessiert dann noch, wer im zerfallenden Frankreich Präsident wird.

Michel Houellebecq ist 2017!