So oder ähnlich muß es einer Freundin ergangen sein, die mir heute einen verspäteten Friedensgruß aus München schickt: "Nicht trotz, sondern wegen Auschwitz: Ich bin für Günter Grass." Das mußte gesagt werden. So hängt es einem demonstrierenden Freund toter Juden beim Ostermarsch auf einem Schild um den Hals. Schlamassel Muc hat es archiviert.
Auschwitz, darunter versteht man die Judenvernichtung, die Ermordung von sechs Millionen Juden Europas. Noch Ende der 60er Jahre lernten Schüler unter dem Namen dieses Vernichtungslagers, was ihre Eltern taten, duldeten oder nicht wußten. Erst mit Beginn der 70er Jahre entsorgten die Deutschen die konkreten Bezeichnungen zugunsten eines aus den USA übernommenen Fremdwortes, das den sprachlichen Zugang zu seinem Inhalt verwehrt: Holocaust. Der Demonstrant bzw. die Demonstrantin ist also älter, sonst hätte er/sie vielleicht geschrieben: Nicht trotz, sondern wegen des Holocaust: Ich bin für Günter Grass. Platz genug dafür wäre auf dem Schild.
Günter Grass, das ist der Literaturnobelpreisträger, der passend zu Pessach, in der christlichen Tradition der Ritualmordlegende, den inzwischen sattsam bekannten in Zeilen gefaßten und als Gedicht mit letzter Tinte geschriebenen Text in die Welt hinaus schickt, an die Süddeutsche Zeitung, die New York Times, die Repubblica. Der Freund, die Freundin toter Juden meint den Verfasser dieses Textes.
Nicht trotz Auschwitz ist der Friedensaktivist für das Gedicht und damit für Günter Grass, er betont es ausdrücklich. Wenn er trotz Auschwitz für Günter Grass wäre, hieße das, er gäbe zu, wie Günter Grass unbelehrbar zu sein, er wüßte von den Verbrechen an den Juden, meinte aber, Günter Grass könnte dennoch Juden, die sich vor der Bedrohung aus dem Iran schützen: isra´il bayad az safhe-e ruzgar mahv shawad. Israel should be wiped out of the face of the world, Israel sollte von der Erdoberfläche getilgt werden, in 382 Worten bezichtigen und beschimpfen, sie machten Planspiele zur Vernichtung der Bevölkerung des Irans, behaupteten ein Recht auf atomaren Erstschlag, besäßen ein unkontrolliertes atomares Potential, beabsichtigten, allesvernichtende Sprengköpfe in den Iran zu lenken, gefährdeten den ohnehin brüchigen Weltfrieden, wären Verursacher der erkennbaren Gefahr, wollten nicht auf Gewalt verzichten, lebten in einer vom Wahn okkupierten Region und wären somit selbst vom Wahn okkupiert.
Nein, er/sie ist wegen Auschwitz für das Gedicht. Weil in Europa durch die deutschen Nationalsozialisten und ihre europäischen Helfer sechs Millionen Juden ermordet wurden, sei es die Verpflichtung des Günter Grass und aller Friedensfreunde, vor der israelischen Gefahr zu warnen, die Bundesregierung zu tadeln, daß sie, aus seinem Land! rein geschäftsmäßig, aber ein mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariertes weiteres U-Boot an Israel liefere, das mit seinen Sprengköpfen den ganzen Iran vernichten könne, von dem Israel behaupte, er baue an einer Atombombe, obgleich nichts dergleichen bewiesen sei. Deutschland könne sich somit als Zulieferer eines Verbrechens mitschuldig machen.
Nicht trotz, sondern wegen Günter Grass: Ich bin für Auschwitz.