Liebe Freunde!
Meine Herrin ist mürrisch. Das wißt Ihr schon? Ihr kennt sie nicht anders? Aber ich darf es doch nochmal blöken, oder? Worum es diesmal geht? Wir verreisen, von 42° 41' 0" Nord, 2° 53' 0" Ost, nach 38° 43' 0" Nord, 9° 8' 0" West, und ich darf mit. Jetzt weiß ich endlich, warum ich gestern noch hastig geschoren wurde, obgleich von warmer Witterung am Mittelmeer nicht die Rede sein kann. Ich wurde gegriffen, in einen Sack gesteckt, und ab ging's zur Schur. Der Scherer setzte mich hin, ich fürchtete, mir ginge es an die Klauen, aber nein, die elektrische, frisch geölte Schafschermaschine mit dem scharfen Scherkopf raus, und gleichmäßig, von meinem Kopf nach hinten, und von meinem Bauch zum Rücken, alles mußte weg. Ein schönes zusammenhängendes Vlies blieb übrig und lag, mein Mantel! zu Füßen des Scherers. Gemeiiin!
"Du wirst noch sehen, daß du froh sein kannst, bei der Hitze nicht in der Wolle herumzulaufen, diesmal siehst du nach der Schur auch nicht aus wie gerupft, so daß ich mich deiner nicht schämen muß," quittiert sie mein nörgeliges Geblöke. "Kümmere dich lieber darum, daß wir rechtzeitig aufstehen, wir müssen um 7 Uhr aus dem Haus, also, wo sind die Wecker?" Das ist wieder mal typisch, ich soll die Wecker in der Wohnung suchen. "Wie sehen die denn aus?" blöke ich schüchtern. Ich darf jetzt nichts falsch machen, sonst läßt sie mich hier bei etwas Heu, welken Möhren und abgestandenem Wasser. "Wecker", ruft sie genervt, "einer steht direkt neben deinem Pferch, das runde Ding da, mit dem schwarzen Rand. Es ist mir schon klar, daß dich die Zeit nicht interessiert, wenn du blökst, kriegst du dein Futter, wenn's dunkel wird, schläfst du, und manchmal scharrst du des Morgens in der Frühe so laut mit deinen paar Hufen, daß ich aus dem Bett falle. Es fehlt nur noch, daß du Rivalenkämpfe übst."
Menschen haben nichts übrig für die Bedürfnisse der Tiere, sie denken nur an sich. Ich kann mir solches nicht leisten, weil ich immer angepaßt sein muß, um nicht in den Kochtopf oder an den Spieß zu kommen. Ich suche Wecker, ich finde vier. "Was, soviele Wecker gibt's bei uns?" staunt meine Herrin, drei von ihnen sind sogar Reisewecker, ich könnte einen mitnehmen." Einen der Reisewecker nimmt meine Herrin verträumt in die Hand, ein quadratisches kleines Ding ohne Deckel, irgendwann irgendwo verloren. "Auf dem standen die Zeitzonen," seufzt sie, "da konnte ich sehen, wieviel später es schon in Asien ist, und wieviele Stunden ich geschenkt bekam, wenn ich nach Hause flog. Das war damals nicht ein Klick, und aus dem Internet kamen die Informationen." Dann erzählt sie zum gefühlten zwölften Mal die Geschichte, wie sie rund um den Globus geflogen war, einmal von Ost nach West, Deutschland, USA, Kanada, Asien, Deutschland, beim anderen Mal von West nach Ost, Deutschland, Asien, Lateinamerika, Deutschland. Ich warte schon darauf, daß sie wieder anfängt mit den zur Winterszeit in Korea mit Stroh eingewickelten Bäumen, aber dann sagt sie barsch: "Wir müssen prüfen, ob die Wecker noch funktionieren!" Sie stellt sie in eine Reihe und die Zeiger der Weckzeit auf zehn Uhr. "Wieso das denn, Herrin," wage ich einzuwenden, "wir müssen doch mindestens um ein Viertel nach sechs aufstehen, du willst bestimmt mein Fell noch bürsten, daß es glänzt, und deine Haare hätten es auch nötig. Schmierst du dir da wieder so Gel rein wie Guttenberg?" Ihre Augen ziehen sich zu schmalen Schlitzen zusammen: "Bei deiner Frechheit überlege ich, ob ich dich zu Hause lasse, aber wahrscheinlich machst du ohne Aufsicht noch mehr Dummheiten, als wenn ich dabei bin. Wir wollen doch nur prüfen, ob die Wecker wecken, und das tun wir am Abend, um 22 Uhr." Ich blöke resigniert: "Aber du stellst die Wecker doch auf zehn Uhr?" Sie japst nach Luft: "Siehst du irgendwo auf den Zifferblättern 22 Uhr? Du hast noch niemals darauf geachtet, daß die Zeiger in 24 Stunden zweimal über die Zahlen streichen? Für was eigentlich interessierst du dich, außer fürs Fressen?"
Dann beginnt sie zu kramen. "Welches nur soll mit? Welches nehme ich denn mit?" murmelt sie und geht durch die Buchreihen auf den Regalen. Ich helfe ihr und weise mit meiner Klaue auf Joseph Roth: Das Spinnennetz. "Wenn er erst reich war wie Effrussi, kaufte er sich einen Theodor Lohse", flüstert sie, "nein, ich will im Urlaub endlich einmal nichts zu tun haben mit Judenhaß, Israelfeindschaft, Islamisierung, mit Nazi-Kindern von Nazi-Eltern, aber der Umfang des Buches würde schon passen, such' doch ein anderes Taschenbuch, nicht mehr als 150 Seiten, aber lustig!" Da schlägt meine Stunde. Wie wäre es, wenn meine Herrin sich einmal ordentlich über mich Schaf informierte, und ich zeige ihr Schafe als Haustiere, von Hans Alfred Müller. Darin blättert sie nämlich immer nur, wenn sie nachweisen will, daß ich in den Pferch gehöre und mich ruhig zu verhalten habe.
Inzwischen ist es zehn Uhr, abends, und von den vier Weckern läutet ein einziger, einer ist sogar sofort stehengeblieben, weil die Batterie leer war. Der Blick meiner Herrin verfinstert sich: "Was, nur ein Wecker funktioniert? Und wenn der es am Abreisetag um sechs Uhr nicht tut, und wenn wir den Bus verpassen und das Flugzeug, und wenn wir hierbleiben müssen?" Ich habe Mitleid mit meiner Herrin, stupse sie leicht an und zeige ihr das Taschenbuch, das sie mitnehmen sollte: Vida del Lazarillo de Tormes y de sus fortunas y aduersidades, die Geschichte von seinem Leben und von seinen Leiden und Freuden, von ihm selbst erzählt. "Das soll lustig sein?" rügt sie, "und in dem Land, in das wir fliegen, spricht man nicht spanisch. Also, nimm das Buch und zottele davon." Nie ist ihr etwas recht, das ich tue, vorschlage, bemerke, auch nicht das, was ich unterlasse.
Sie wirft eine neue Batterie in den stehengebliebenen Wecker, und siehe da, der weckt auch, so haben wir zwei. Da schüttelt sie plötzlich den Kopf: "Ach, bis zur Ankunft am Urlaubsziel lese ich Zeitungen, und dann kriege ich aus Berlin den neuen Sarrazin mitgebracht. Das reicht." Ich brauche den Euro sowieso nicht, den kann ich nicht fressen, aber ich frage doch, wie der Buchtitel gemeint ist: "Herrin, ich lese, daß Kritiker behaupten, Thilo Sarrazin wäre für die Abschaffung des Euro." Sie wird wütend: "Diese Banausen, das steht nicht dort. Er meint, daß Europa ihn nicht braucht, etwa so, wie eine Französin ein Tuch von Hermès. Das heißt doch auch nicht, die Damen BCBG sollten ihre Tücher abschaffen, oder?" Ich sinniere darüber nach und komme zu keinem Ergebnis.
Vielleicht bin ich nach unserer Rückkehr schlauer. Ihr könntet Euch während unserer Abwesenheit vielleicht unsere Musik-Seite antun, da gibt es viele Kleinode, zuletzt von meinem Liebling Erich Wolfgang Korngold, gesungen von René Kollo und Joseph Schmidt. Ihr seht, ich gönne auch Euch ein wenig Urlaub. Genießt das Angebot, freut Euch des Lebens!
Blök!
Euer Reiseschaf
"Du wirst noch sehen, daß du froh sein kannst, bei der Hitze nicht in der Wolle herumzulaufen, diesmal siehst du nach der Schur auch nicht aus wie gerupft, so daß ich mich deiner nicht schämen muß," quittiert sie mein nörgeliges Geblöke. "Kümmere dich lieber darum, daß wir rechtzeitig aufstehen, wir müssen um 7 Uhr aus dem Haus, also, wo sind die Wecker?" Das ist wieder mal typisch, ich soll die Wecker in der Wohnung suchen. "Wie sehen die denn aus?" blöke ich schüchtern. Ich darf jetzt nichts falsch machen, sonst läßt sie mich hier bei etwas Heu, welken Möhren und abgestandenem Wasser. "Wecker", ruft sie genervt, "einer steht direkt neben deinem Pferch, das runde Ding da, mit dem schwarzen Rand. Es ist mir schon klar, daß dich die Zeit nicht interessiert, wenn du blökst, kriegst du dein Futter, wenn's dunkel wird, schläfst du, und manchmal scharrst du des Morgens in der Frühe so laut mit deinen paar Hufen, daß ich aus dem Bett falle. Es fehlt nur noch, daß du Rivalenkämpfe übst."
Menschen haben nichts übrig für die Bedürfnisse der Tiere, sie denken nur an sich. Ich kann mir solches nicht leisten, weil ich immer angepaßt sein muß, um nicht in den Kochtopf oder an den Spieß zu kommen. Ich suche Wecker, ich finde vier. "Was, soviele Wecker gibt's bei uns?" staunt meine Herrin, drei von ihnen sind sogar Reisewecker, ich könnte einen mitnehmen." Einen der Reisewecker nimmt meine Herrin verträumt in die Hand, ein quadratisches kleines Ding ohne Deckel, irgendwann irgendwo verloren. "Auf dem standen die Zeitzonen," seufzt sie, "da konnte ich sehen, wieviel später es schon in Asien ist, und wieviele Stunden ich geschenkt bekam, wenn ich nach Hause flog. Das war damals nicht ein Klick, und aus dem Internet kamen die Informationen." Dann erzählt sie zum gefühlten zwölften Mal die Geschichte, wie sie rund um den Globus geflogen war, einmal von Ost nach West, Deutschland, USA, Kanada, Asien, Deutschland, beim anderen Mal von West nach Ost, Deutschland, Asien, Lateinamerika, Deutschland. Ich warte schon darauf, daß sie wieder anfängt mit den zur Winterszeit in Korea mit Stroh eingewickelten Bäumen, aber dann sagt sie barsch: "Wir müssen prüfen, ob die Wecker noch funktionieren!" Sie stellt sie in eine Reihe und die Zeiger der Weckzeit auf zehn Uhr. "Wieso das denn, Herrin," wage ich einzuwenden, "wir müssen doch mindestens um ein Viertel nach sechs aufstehen, du willst bestimmt mein Fell noch bürsten, daß es glänzt, und deine Haare hätten es auch nötig. Schmierst du dir da wieder so Gel rein wie Guttenberg?" Ihre Augen ziehen sich zu schmalen Schlitzen zusammen: "Bei deiner Frechheit überlege ich, ob ich dich zu Hause lasse, aber wahrscheinlich machst du ohne Aufsicht noch mehr Dummheiten, als wenn ich dabei bin. Wir wollen doch nur prüfen, ob die Wecker wecken, und das tun wir am Abend, um 22 Uhr." Ich blöke resigniert: "Aber du stellst die Wecker doch auf zehn Uhr?" Sie japst nach Luft: "Siehst du irgendwo auf den Zifferblättern 22 Uhr? Du hast noch niemals darauf geachtet, daß die Zeiger in 24 Stunden zweimal über die Zahlen streichen? Für was eigentlich interessierst du dich, außer fürs Fressen?"
Dann beginnt sie zu kramen. "Welches nur soll mit? Welches nehme ich denn mit?" murmelt sie und geht durch die Buchreihen auf den Regalen. Ich helfe ihr und weise mit meiner Klaue auf Joseph Roth: Das Spinnennetz. "Wenn er erst reich war wie Effrussi, kaufte er sich einen Theodor Lohse", flüstert sie, "nein, ich will im Urlaub endlich einmal nichts zu tun haben mit Judenhaß, Israelfeindschaft, Islamisierung, mit Nazi-Kindern von Nazi-Eltern, aber der Umfang des Buches würde schon passen, such' doch ein anderes Taschenbuch, nicht mehr als 150 Seiten, aber lustig!" Da schlägt meine Stunde. Wie wäre es, wenn meine Herrin sich einmal ordentlich über mich Schaf informierte, und ich zeige ihr Schafe als Haustiere, von Hans Alfred Müller. Darin blättert sie nämlich immer nur, wenn sie nachweisen will, daß ich in den Pferch gehöre und mich ruhig zu verhalten habe.
Inzwischen ist es zehn Uhr, abends, und von den vier Weckern läutet ein einziger, einer ist sogar sofort stehengeblieben, weil die Batterie leer war. Der Blick meiner Herrin verfinstert sich: "Was, nur ein Wecker funktioniert? Und wenn der es am Abreisetag um sechs Uhr nicht tut, und wenn wir den Bus verpassen und das Flugzeug, und wenn wir hierbleiben müssen?" Ich habe Mitleid mit meiner Herrin, stupse sie leicht an und zeige ihr das Taschenbuch, das sie mitnehmen sollte: Vida del Lazarillo de Tormes y de sus fortunas y aduersidades, die Geschichte von seinem Leben und von seinen Leiden und Freuden, von ihm selbst erzählt. "Das soll lustig sein?" rügt sie, "und in dem Land, in das wir fliegen, spricht man nicht spanisch. Also, nimm das Buch und zottele davon." Nie ist ihr etwas recht, das ich tue, vorschlage, bemerke, auch nicht das, was ich unterlasse.
Sie wirft eine neue Batterie in den stehengebliebenen Wecker, und siehe da, der weckt auch, so haben wir zwei. Da schüttelt sie plötzlich den Kopf: "Ach, bis zur Ankunft am Urlaubsziel lese ich Zeitungen, und dann kriege ich aus Berlin den neuen Sarrazin mitgebracht. Das reicht." Ich brauche den Euro sowieso nicht, den kann ich nicht fressen, aber ich frage doch, wie der Buchtitel gemeint ist: "Herrin, ich lese, daß Kritiker behaupten, Thilo Sarrazin wäre für die Abschaffung des Euro." Sie wird wütend: "Diese Banausen, das steht nicht dort. Er meint, daß Europa ihn nicht braucht, etwa so, wie eine Französin ein Tuch von Hermès. Das heißt doch auch nicht, die Damen BCBG sollten ihre Tücher abschaffen, oder?" Ich sinniere darüber nach und komme zu keinem Ergebnis.
Vielleicht bin ich nach unserer Rückkehr schlauer. Ihr könntet Euch während unserer Abwesenheit vielleicht unsere Musik-Seite antun, da gibt es viele Kleinode, zuletzt von meinem Liebling Erich Wolfgang Korngold, gesungen von René Kollo und Joseph Schmidt. Ihr seht, ich gönne auch Euch ein wenig Urlaub. Genießt das Angebot, freut Euch des Lebens!
Blök!
Euer Reiseschaf