18. Juli 2012

Frankreich. Die Linke und ihr Verhältnis zur Arbeit


Die Minister und Ministres délégués, Unterminister für spezielle Arbeitsbereiche, der Regierung Frankreichs wissen nicht, was Arbeit ist, keiner und keine von ihnen. Bevor einer aufkreischt: Was Arbeiten heißt, das wissen sie sehr wohl, und da könnte der eine oder andere seufzen: "35 Überstunden sind genug!" Sie haben aber keine Ahnung von der Rolle der Arbeit in der Wirtschaft einer Gesellschaft und damit auch nicht von der Rolle des Geldes und des Kapitals.

Die Lebensläufe der für die Arbeit in Frankreich zuständigen Regierungsmitglieder, des Präsidenten François Hollande, seines Premierministers Jean-Marc Ayrault, des ehemaligen Studienrates für Deutsch, seit Anfang der 70er Jahre Teilzeit- und ab 1986 Berufspolitiker, des Ministers für Wirtschaft, Finanzen und Außenhandel Pierre Moscovici (54 Jahre alt), mit einer 23-jährigen Doktorandin der Philosophie verpartnert und ansonsten zeitlebens Parteifunktionär, des Ministers für Redressement productif, für produktive Sanierung bzw. Wiederbelebung, Arnaud Montebourg, bei de.Wiki unzutreffend und viel zu konkret als Industrieminister bezeichnet, sowie des Ministers für Arbeit, Beschäftigung, Berufsausbildung und sozialen Dialog Michel Sapin geben Auskunft darüber, daß keiner von ihnen weiß, wovon er spricht, wenn es um Arbeit geht. Schon die Väter von Michel Sapin und Arnaud Montebourg sind Staatsbeamte, der eine bei Wiki nur als cadre supérieur, hoher Staatsbeamter, der andere als Steuerbeamter notiert. Beide Minister sind vom Anfang ihrer Karriere an Funktionäre des Staates, der eine im Tribunal administratif de Paris, einem für Streitigkeiten der Bürger mit Staat und Verwaltung zuständigen Gericht, der andere am Institut d'études politiques de Paris (IEP), Sciences Po. Die wenige Zeit im wirklich wahren Leben arbeitet Arnaud Montebourg als Anwalt in medienwirksamen Prozessen. Über den seinerzeit 33-jährigen mit algerischstämmiger Mutter ist die Libération schon 1995 begeistert. Für die Entfernung des korrupten Alain Juppé, heute wieder großer Star in der UMP, kann man ihm allerdings dankbar sein.

Am 16. April 2011 meint der Außenminister Alain Juppé auf dem Arab Spring Forum, in Paris: What is happening in Egypt is an example of democratic change. Was in Ägypten geschieht, ist ein Beispiel demokratischen Wechsels. So daneben ist lange nicht, dann lieber fiktive Stellen im Rathaus von Paris, die haben international eine weniger katastrophale Wirkung!

Aber zurück zur jetzigen Regierung. Auch die Bezeichnungen der Ressorts beweisen, daß nicht einmal Klarheit darüber besteht, welche Aufgaben gemeint sind. Was ist produktive Sanierung, oder ist vielleicht Sanierung der Produktion gemeint? Der Minister für Arbeit, Beschäftigung und Berufsausbildung ist auch Minister für Sozialen Dialog, eine Erfindung der Europäischen Kommission. Hier werden Begriffe unterschiedlicher Wertigkeit aufgereiht. Sozialer Dialog ist eine Tätigkeit, sie findet überall statt, sogar im Präsidialamt, in Deutschland gibt es eine Ministerin für Arbeit und Soziales, letzterer Begriff ist schwammig genug. Nicht das Reden darüber, sondern die Bewältigung sozialer Probleme ist angesagt. In Frankreich ist die Quasselbude bereits im Titel des Ministeriums festgeschrieben.

Die Regierung Frankreichs schafft es sogar, die klassischen Ministerien zu verwässern: Innen, Justiz, Außen, Verteidigung und Finanzen. Damit könnte es in jedem (!) Staat genug sein, alle anderen Ministerien sind hochgejubelte Behörden und Institutionen zur Versorgung von Parteifreunden mit Posten, manche von ihnen wären sofort ersatzlos zu streichen. In der Bundesrepublik Deutschland hat es nur einmal, ausnahmsweise und mit umstrittenem Erfolg ein Superministerium für Wirtschaft und Finanzen gegeben, unter Professor Karl Schiller. Schon vor 43 Jahren, 1969, ging es um die deutsche Währung. Er glaubte noch, dass die Politik die Wirtschaft steuern könne, schreibt die FAZ zu seinem 100. Geburtstag. Das glaubt ganz Frankreich bis heute und kombiniert Wirtschaft, Finanzen und Außenhandel, wobei Außenhandel ein Teil der Wirtschaft ist, beide vom Finanzministerium unabhängige Aufgaben wahrnehmen und diesem Rechenschaft schulden. In Frankreich wird der Finanzminister zum Büttel der Wirtschaft. Jérôme Cahuzac, Unterminister für den Haushalt, ist dem Wirtschaftsminister Pierre Moscovici weisungsgebunden. In jedem Staat, der etwas auf sich hält, ist der Finanzminister die oberste Instanz, in den USA, in Deutschland, Rußland, in England gibt es den Chancellor of the Exchequer, den Schatzkanzler bzw. Finanzminister. Er ist der zweitmächtigste Mann der Regierung, nach dem Premierminister. Der britische Chancellor of the Exchequer, beschränkt sich darauf, einmal im Jahr, in seiner Haushaltsrede, seine Vorstellungen über die Wirtschaftspolitik zu erläutern. Die Wirtschaft ist der Aufgabenbereich des Departments for Business, Innovation and Skills.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hätte die Regierung Frankreichs gern ebenso mit in ihrem Sinne geregelten Fragen der Wirtschaftspolitik belastet, woran Jean-Claude Trichet als ihr Präsident lange gearbeitet hat. Und damit zurück zur Arbeit!

Davon versteht die Regierung Frankreichs nichts. Schon zu Zeiten des Präsidenten Jacques Chirac und seines Premierministers Lionel Jospin, in der Cohabitation, beweist sie die Abwesenheit jeden Verständnisses dafür, was Arbeit ist. Mit der Loi Aubry, dem in Europa einzigartigen Gesetz über die Arbeitszeitverkürzung auf 35 statt 39 Stunden, zeigt der Parti Socialiste die Unfähigkeit, wirtschaftliche Zusammenhänge zu begreifen. Seine Aktivitäten beschränken sich ähnlich wie bei den nun anstehenden Steuererhöhungen auf lineare Projektionen, vom 12-Studen-Tag zum 6-Stundentag immer geradeaus! Gegenwärtig ist man beim 7-Stunden-Tag, aber die Regierung hat ja noch fünf Jahre Zeit. Welche Philosophie dahinter steht, möge man auf der Website der Sozialistischen LinksPartei Österreichs nachlesen, es geht um die Aufteilung der vorhandenen Arbeit auf alle ArbeitnehmerInnen.

Die vorhandene Arbeit wird als eine Quantität angesehen, um die Menschen im arbeitsfähigen Alter konkurrieren. Damit möglichst viele teilhaben können, sollte jeder einzelne Beschäftigte weniger Stunden arbeiten. Da die Arbeit getan werden muß, stellen die Unternehmer mehr Personal ein. Es handelt sich um Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, die Unternehmer tragen die Mehrkosten. In Deutschland, dem wirtschaftlich stärksten Land der Eurozone, ist die 35-Studen-Woche in den Stahl-, Elektro-, Druck- sowie holz- und papierverarbeitenden Industrien tariflich vereinbart, sie wird aber in allen Wirtschaftszweigen überschritten, 2008 auf 41,2 Wochenstunden. Auch in Frankreich, im Schlußlicht, arbeitet man durchschnittlich 38,4 Stunden/Woche, was durch die von der Regierung des Nicolas Sarkozy eingeführte Steuerbefreiung bei Überstunden gefördert worden ist, Motto: Wer mehr arbeitet, soll auch mehr verdienen.

Denjenigen, die eine solche Arbeitszeitverkürzung erkämpft haben, allen voran die Gewerkschaften und ihre politischen Vertreter in den linken Parteien, wissen nicht oder wollen nicht wissen, daß das mit der Arbeit so nicht läuft. Nicht nur, daß die Arbeitgeber Wege finden, ihre Beschäftigten mehr arbeiten zu lassen, ob die Mehrarbeit nun besteuert wird oder nicht, sie werden auch andere Mittel finden, nicht zusätzlich Personal einzustellen, da die Personalkosten ständig ansteigen. Rationalisierung, Auslagerung der Produktion in kostengünstigere Länder bis hin zur Schließung der Produktion sind andere Möglichkeiten.

Der zweite Irrtum besteht darin, die Arbeit als eine vorhandene Quantität anzusehen, die es aufzuteilen gelte. Arbeit aber erzeugt Arbeit, wo nicht gearbeitet wird, wird keine weitere Arbeit erzeugt. Ein Abteilungsleiter, der viel arbeitet, braucht mehr Mitarbeiter. Mit den Überstunden ist bewiesen, daß Arbeit vorhanden ist, daß das Unternehmen floriert. Nun aber sollen die steuerfreien Überstunden in Frankreich besteuert werden, auch noch rückwirkend, ab 1. Januar 2012. Es ist schon krank, wie François Hollande alle Maßnahmen seines Vorgängers innerhalb kürzester Zeit rückgängig macht. Er würde am liebsten die vergangenen fünf Jahre ersatzlos streichen. Dabei ist Steuererhöhung das einzige, was die sozialistische Regierung mangels Verständnis der Arbeit kann. Die Folge wird sein, daß die Bereitschaft zu Überstunden zurückgeht und damit auch die wirtschaftliche Entwicklung. Die Regierung aber träumt von riesigen Mehreinnahmen: La fin du dispositif "heures sup" va rapporter gros à l'État. Das Ende der Maßnahmen zu den "Extrastunden" wird dem Staat volle Kassen bescheren.

Wer sagt es ihnen nur, daß so nichts erreicht wird, sondern daß Strukturreformen angesagt sind? Die aber können die regierenden Sozialisten nicht in Angriff nehmen, weil ihnen das Rüstzeug dazu fehlt. Sie denken in monolithischen Blöcken, ihr Verhältnis zur Wirtschaft und zur Arbeit definieren sie aus den Demonstrationen und Streiks, bei denen sie mitgewirkt, oder die sie unterstützt haben. "Nieder mit ... ! Tod dem ...!" Selbst dabei sind sie immer Staatsfunktionäre, nie etwas anderes gewesen. Der Staat bildet solche opponierenden Kader eigens aus und fort. An den Universitäten unterhält er dafür Instituts du travail, Arbeitsinstitute, in denen Gewerkschafter gemeinsam mit den linken Akademikern der jeweiligen Universität den Nachwuchs heranbilden.

Staat = état = lateinisch civitas oder res publica. Bürgerrechte, ius civitatis erwachsen der Bevölkerung Frankreichs aus der Zugehörigkeit zum Staat. La République, auf den Lippen geführt in jeder Rede, res publica = öffentliches Gut, öffentlicher Besitz, Reichtum, das Staatsvermögen, es gehört allen. Sie aber interpretieren l'État im Sinne von status, womit sie ihren eigenen meinen. Es ist die heutige Form von L'État c'est moi. Der Staat bin ich. Daher auch residieren sie in Prunk- und Prachtbauten, in Statussymbolen, in denen ihnen nichts zu den Bürgern des Landes einfallen kann. Behaupten sie nicht täglich mit Jean-Jacques Rousseau, daß die Gesellschaft, die Umgebung die Menschen präge? Darum braucht der sozialistische Präsident 38 Minister, nach anderen Quellen sogar 34 und 17 Unterminister, die alle arbeiten, und von denen keiner etwas von Arbeit versteht. Wer nichts von Arbeit versteht, der versteht auch nichts vom Geld und vom Wirtschaften, was am Beispiel der "freiwilligen" Reduzierung der Ministergehälter um 30 Prozent zu zeigen ist: Notre nouveau gouvernement.pdf (Annex 1).

So richtig demonstriert die Regierung aber ihre Inkompetenz in Fragen von Wirtschaft und Arbeit in der Spiegelfechterei mit Peugeot SA. L'État intensifie son bras de fer avec PSA, titelt der Figaro. Der Staat [sic!] verstärkt das Kräftemessen mit PSA. Da sitzt der Minister für produktive Sanierung Arnaud Montebourg mit den Gewerkschaftsvertretern des Unternehmens im Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Außenhandel um den Tisch und gibt vor, etwas ausrichten zu können, wie auch der ESM/Stabilitätspakt soll auch hier neu verhandelt werden. CGT-Boß Bernard Thibault spricht derweil den geschichtsträchtigen Satz "Man muß dieses Werk in Aulnay erhalten".

In Frankreich sind sieben bis acht Prozent der Beschäftigten in Gewerkschaften organisiert (in Deutschland knapp 19 Prozent), davon 80 Prozent im öffentlichen Dienst. Die Gewerkschafter von Peugeot SA gehören zu den knapp zwei Prozent in der Privatwirtschaft tätigen Gewerkschafter. Sie werden nicht nur von ihrer Regierung, sondern auch von ihren Kollegen im Stich gelassen, oder beabsichtigt Arnaud Montebourg, sich medienwirksam mit den Kollegen von Peugeot SA und Tausenden von angekarrten Unterstützern vor den Werktoren in Aulnay-sous-bois aufzubauen?

Davon verstünde er etwas, von Wirtschaft und Arbeit dagegen versteht er nichts.