"Das reicht!" meint Innenminister Emanuel vom Tal, der den 11. November für den Tag hält, an dem die Werte der Republik geehrt werden und "das Gedenken an unsere Toten". Von einem Augenblick der Einigkeit ist in Frankreich keine Rede mehr, selbst der nationalbewußte Front National versteht die Demonstranten, ist aber gegen die Proteste. Auf der Startseite des Frisörs tobt die Empörung.
Der Fehler aber liegt in der Einschätzung des Innenministers und all derer, die jetzt empört sind; denn Staatspräsident Franz Holland selbst ehrt nicht die Werte der Republik und die Toten des WKI, sondern er benutzt die Feierlichkeiten, endlich das Gefühl eines Sieges über Deutschland zu empfinden. Bei den Feierlichkeiten zum 8. Mai ist die zweite Gelegenheit, aber ob Franz die noch erlebt? Am 8. Mai 2012, frisch gewählt, aber noch nicht im Amt, hat er seinen ersten großen Auftritt gemeinsam mit dem eben abgewählten Nikolaus Sarkozy, der ihn fürsorglich am Arm leitet. Einzelheiten kann man nachlesen im Artikel Frankreich feiert den Sieg über Deutschland. Auch der Feierlichkeiten zum 14. Juli wird dort angemessen gedacht. "Aber in Wahrheit ist alles ganz anders gewesen. In Wahrheit hat es einen Sturm auf die Bastille gar nicht gegeben."
Am Mittwoch, den 4. Mai 2011, ist der letzte Poilu, der letzte Frontsoldat der Alliierten des WKI, der am 3. März 1901 geborene Brite Claude Choules, im Alter von 110 Jahren in Australien verstorben, der letzte von an die 70 Millionen während des Krieges mobilisierten Soldaten. Um die noch lebenden Frontsoldaten der Alliierten kümmert sich Frankreich nicht weiter, erst wenn sie sterben, dringt es bis zu einem Volontär vor, der schreibt das von einer Nachrichtenagentur ab. Der am 24. Dezember 1897 geborene, aus Italien stammende Lazare Ponticelli (Foto), der letzte französische Poilu, verstirbt bereits am 12. März 2008, ebenfalls 110-jährig, da ist Nikolaus Sarkozy eben Staatspräsident geworden. Spätestens nach dem 4. Mai 2011 hätte seine Regierung Überlegungen anstellen können über die zukünftige Art des Gedenkens, wenn es nicht vordringlich um den ins Land stehenden Wahlkampf zur Präsidentschaft 2012 gegangen wäre.
Franz Holland hält nichts vom Gedenken an die Union sacrée, die Heilige Einheit aller Franzosen, des ganzen Volkes, unabhängig von politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugung, wie vom Staatspräsidenten Raimund Poincaré am 4. August 1914 zum Kampf gegen Deutschland verlangt und nach einigen Debatten bis zum linkesten Linken der CGT und der SFIO aufgenommen, sondern er entkleidet die Feierlichkeiten aller Grundwerte, er sieht das technisch, mechanisch: faire bloc. Der Sieg über Deutschland kommt nach seiner Auffassung zustande, weil die Franzosen sich undefinierbar zu einem Block zusammenschließen. Jetzt sollten sie das ebenfalls, nicht zu militärischen, sondern zu Wirtschaftskämpfen. Er betrachtet das Zusammenleben in Europa nicht als einen Gewinn für alle EU-Mitgliedsstaaten, sondern als Krieg um den Platz Frankreichs in der Welt. Er will nicht konkurrieren, sondern kämpfen und siegen. Gegen wen wohl will er die Kämpfe gewinnen, wenn er den unmittelbaren Bezug zum Sieg im WKI herstellt?
Steffen von Montety, dem Leitartikler des Frisörs, fällt es auf, und er titelt: Du bon usage de la métaphore. Vom guten Gebrauch der Metapher. Der Leitartikel ist nur für Abonnenten. Die Kampagne zum Hundertsten Jahrestag des WKI wird in Frankreich unter dem Motto "Einheit machen" stehen, nein, nicht Einmachen, sondern "Einheit machen", faire bloc. Ganz Frankreich eine Blockpartei!
Der ehemalige Stabschef des Heeres General Elrick Irastorza, der die Vorbereitungen zum hundertsten Jahrestag des WKI leitet, sieht das anders: Avec les Allemands, nous sommes au-delà de la réconciliation. Mit den Deutschen sind wir über die Versöhnung hinaus. Das wird Franz Holland nicht gern hören; denn mit solchen Defaitisten ist kein Kampf gegen Deutschland um die Vorherrschaft zu gewinnen. Für Deutsche aber ist es beruhigend zu wissen, daß hochrangiges französisches Militär das anders sieht als sein Oberkommandierender.
Auf Seite 11 des Frisörs folgt dann ein ganzseitiger Artikel über den WKI: 14-18, la guerre inattendue ? 14-18, der unerwartete Krieg? Autor ist Jakob vom Heiligen Viktor, der den Lesern von der Ermordung des Erzherzogs von Österreich François-Ferdinand berichtet, ja, richtig, der Habsburger heißt Franz-Ferdinand, aber in Frankreich wird Ausländern und Gegnern ihr Name aberkannt, sie werden von der französischen Sprache vernichtet, daß möglichst nichts mehr von ihnen übrigbleibt. Wie wäre es mit Angèle Merkel oder Angélique Merkel? Die wäre dann auch schon zur Hälfte beseitigt, wie Franz-Ferdinand. Wie wäre es im nächsten Artikel mit François-Fernandel? Dann wäre er ganz weg.
Wenn Jakob vom Heiligen Viktor aber seine Distanz dokumentiert, dann tut er das, in dem er das deutsche Wort "Kaiser" nicht als Empereur übersetzt. Man könnte Wilhelm II., in Frankreich meist mit ebenfalls verballhorntem Vornamen als Empereur Guillaume II anzutreffen, mit den französischen Empereurs verwechseln, mit den Napoleons I bis IV. Wenn aber Raimund Poincaré drei Tage nach Amtsantritt eine Einladung zum Abendessen in die Deutsche Botschaft annimmt? C'est la première fois depuis 1871 qu'un président de la République daigne honorer l'ambassade du Kaiser ! Das ist das erste Mal seit 1871, daß ein Präsident der Republik sich herabläßt, die Botschaft des Kaisers zu beehren! Zwischen dem Staatspräsidenten Frankreichs und dem Kaiser Deutschlands liegen Welten, die eine ganz oben, die andere ganz unten: l'ambassade du Kaiser!
Und so habe ich beschlossen, in diesem Artikel an Namen einzudeutschen, was mir vor den Griffel kommt, die Zeitung, die solcher Enteignung Vorschub leistet, gleich mit. François-Ferdinand? Franz Holland. Le Figaro? Der Frisör. Das ganz neue Machtgefühl, es ist alles unser, die Übernahme von Franz Holland ist allerdings nicht unbedingt eine Bereicherung.