14. Mai 2014

Perpignan. Visa pour l'Image 2014


Die Mauer der Schande wird, vom 30. August bis zum 14. September 2014, auf der alljährlich stattfindenden internationalen Fotoausstellung Gegenstand einer Fotoreportage sein. Wo befindet sie sich? Ein kleiner Tip: Die Mauer ist 3 200 Kilometer lang, sie kann also nicht von Israel erbaut sein. Von wem wurde sie errichtet? Haben die deutschen Medien sie jemals in den Nachrichten erwähnt?

Zusammenfassung der Reportage

1993 hat Indien den Bau einer Trennmauer zu seinem Nachbarn Bangladesh begonnen. Zu den natürlichen Grenzen, die von den Flußläufen gebildet werden, kommt von nun an über 3 200 Kilometer eine von der Border Security Force (BSF), den indischen Truppen der Grenzsicherung, streng bewachte Einfriedung aus Beton oder aus eisernem Stacheldraht. Die von Indien offiziell vorgebrachten Gründe zur Rechtfertigung der Errichtung sind der Schutz gegen das Eindringen islamischer Terroristen und die Einwanderung von Bangladesh aus.

Pakistan-Indien-Bangladesh
Die Anzahl der Verhaftungen, der Opfer von Folterungen und von Toten macht aus der Grenze die gefährlichste und die blutigste der Welt. Die von der BSF begangenen Verbrechen bleiben meist ungestraft. Um ihr unabdingbares Einvernehmen mit dem großen Nachbarn Indien zu wahren, der das Land umschließt und erstickt, dulden die Behörden von Bangladesh die Existenz der Mauer und verschleiern das, was sich in den Grenzregionen abspielt. Indem sie die Verbrechen nicht anprangern, machen sie sich darin zu Komplizen, und ihr bewaffneter Arm, die Border Guard Bangladesh (BGB), die Bangladesh Grenzwache, wacht darüber, daß sich kein Zeuge der Einfriedung nähert. Ich konnte diese Reportage dank lokaler Journalisten realisieren, die mich auf sicheren Pfaden geführt haben, aber einer von ihnen wurde von seiner Zeitung in Dacca zurückbeordert und entlassen, weil er einen ausländischen Fotografen behilflich war, Zugang zu etwas zu bekommen, das niemand sehen darf. Das Mobilphone meines Begleiters wurde abgehört. Wir wurden ununterbrochen überwacht.

Fast die Gesamtheit der Opfer sind Bangladeshis, die aus wirtschaftlichen, familiären, gesundheitlichen oder umweltbedingten Gründen versuchen, illegal auf die andere Seite der Mauer zu gelangen. Wie kann man es ihnen vorwerfen, wenn das Land unter allen erdenklichen Übeln leidet: äußerste Armut, riesige Übervölkerung, wiederholte Naturkatastrophen ... Der organisierte Schmuggel stützt sich häufig auf die Korruption der Wachen, die ihre Gewalttätigkeit eher an den "kleinen" Menschenschmugglern auslassen. Das Risiko ist riesig, denn nach den Zahlen, die von den Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte geliefert werden, ist in den letzten fünf Jahren an der Grenze durchschnittlich alle fünf Tage eine Person getötet worden.

Gaël Turine

Übersetzung: Dr. Gudrun Eußner