Photo : Xavier de Torres / MAXPPP
Straffrei bleiben alle Beschädigungen und Zerstörungen zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 1. Februar 2013 bei Arbeitskämpfen und bei Demonstrationen gegen Arbeitslosigkeit, für bezahlbaren Wohnraum und anderen sozialen Kämpfen, für die weniger als fünf Jahre Gefängnis fällig gewesen wären. Die Kumpels des Maisausreißers José Bové haben Pech gehabt, ihre sozialen Taten sind ausgenommen, ebenso die soziale Tat der Bedrohung von Amtsträgern und anderen öffentlichen Personen. Die sozialen Kämpfe der "jeunes", der muslimischen Jugendlichen der Vorstädte, für Gleichberechtigung und Respekt werden nicht erwähnt, weder in die Begnadigung ein- noch von ihr ausgeschlossen. Gleichzeitig erhält man einen Eindruck von der Arbeit der Justiz in Frankreich. Begangene Straftaten von vor mehr als fünf Jahren sind von den Gerichten nicht verhandelt? Oder ist derjenige, der im Zuge eines Arbeits- oder sonstigen sozialen Kampfes im Jahr 2007 ein Auto abfackelt, dafür verurteilt wird und einsitzt, jetzt Neese? Oder bekommt er aus Gründen der Gleichheit, égalité, Haftentschädigung? Der Rabauke aus der Müllabfuhr, der in seiner Wut die Mülleimer der ganzen Straße angezündet hat, wird er wieder eingestellt?
Auf der Website des Figaro sowie auf vielen anderen liest man, daß den Parti Socialiste das verlegen mache: L'amnistie sociale gêne le PS et indigne la droite. Den PS macht die Begnadigung verlegen, und die Rechte ist darüber empört. Derweil spielt die Regierung das Zugeständnis an die Kommunisten und die Linksfront des Jean-Luc Mélenchon herunter. Letztere haben den Text erarbeitet, und sie berufen sich auf das Versprechen des Präsidentschaftskandidaten François Hollande. Wie man an dem Zeitraum sieht, sind die Zerstörungen zweier Präsidentschaftswahlkämpfe erfaßt, der von 2007 und der von 2012. Die Abgeordneten des PS fühlen sich bereits gut dabei, die gröbsten Unverschämtheiten aus dem Text gestrichen zu haben. Ginge es nach den Linksradikalen, blieben alle Zerstörungen und Drohungen straffrei.
"Il faut trouver un bon équilibre entre l'État de droit et le besoin de paix sociale", estime Annick Lepetit."Man muß ein gutes Gleichgewicht herstellen zwischen dem Rechtsstaat und dem Bedarf an sozialem Frieden," meint der Pariser Annick Lepetit, Sprecher der Fraktion des PS in der Nationalversammlung, wobei ihm nicht auffällt, daß er damit den Bedarf an sozialem Frieden als nicht zum Rechtsstaat gehörig erklärt. Dieser Art von Frieden ist tatsächlich nicht Teil des Rechtsstaates, er ist ähnlich demjenigen in der Floskel "Islam ist Frieden". So ist denn auch der aus einer algerischen Familie stammende Muslim Abdelmalek Boutih für die Annahme des Textes, der ehemalige Präsident von SOS Racisme, 1999 bis 2003, und ehemalige Nationalsekretär des PS, 2003 bis 2008, Mitglied des PS-Büros und Abgeordneter der Nationalversammlung. Die gegen den Rechtsstaat gerichtete Gesetzgebung beweist das. Der Willkür sind Tür&Tor geöffnet: "Es handelt sich nicht darum, die illegalen Taten auszulöschen, sondern Zeichen der Beruhigung auszusenden." "Il ne s'agit pas d'effacer des actes illégaux, mais d'envoyer des signes d'apaisement." In dem Begriff apaisement steckt la paix, der Frieden, und so arbeiten alle gemeinsam, Linke und Muslime, an der Erreichung ihres jeweiligen Friedens, der nichts, aber nichts gemein hat mit den Werten der Republik.
Krieg wird zu Frieden erklärt, und Frieden zu Krieg.
Jean-Luc Mélenchon schreit es heraus: "Nieder mit der fortdauernden Gewalt gegen uns!" Auf seinem Blog erzählt er mit bewegenden Worten von der ungerechten Behandlung, die Gewerkschafter über sich ergehen lassen müßten. Es versteht sich, daß ihm und seinen Anhängern das nur mit einigen Abstrichen verabschiedete Gesetz nicht ausreicht. Sie wollen alles, sie wollen, daß allen ihren Forderungen Genüge getan wird.
Das Foto der phantasievoll in einer Art Sträflingspullovern auftretenden Protestler zeigt, wie diejenigen, die anderer Leute Besitz beschädigen und zertrümmern - die betroffenen Besitzer sind weniger die Gérard Depardieus und Serge Dassaults dieser Gesellschaft, sondern sehr oft arme Leute -, das der Öffentlichkeit auf ihren Plakaten darstellen: "Schuldig, seine Anstellung gerettet haben zu wollen", "Schuldig, eine DNA-Probe verweigert zu haben", "Schuldig der Solidarität mit den illegalen Einwanderern". "Fordern wir das Begnadigungsgesetz!" "Hollande, die Begnadigung wollen wir jetzt!"
Von Sachbeschädigung, geschweige denn von Angriffen gegen Menschen ist nicht die Rede. Es empören sich die Opfer der Gesellschaft. François Hollande schweigt zu alldem, zur Kampagne, zur Annahme des Textes im Senat, zur Vorlage des Textes in der Nationalversammlung.