4. Juni 2013

Aleviten in der Türkei. Dokumentation

Geschichten und Legenden

Alles, was bekannt ist, sind Geschichten und Legenden, die mündlich überliefert wurden, bis sie einige Jahrhunderte nach seinem Tod von einem Bektaş-Derwisch in einem Buch mit dem Titel Velayetname niedergeschrieben wurden. Man glaubt, daß Hacı Bektaş Veli vom Kaliphen Ali abstammte (Aleviten heißen solche, die Ali auf dem Wege nachfolgen), und sein Geburtsdatum wird unterschiedlich mit 1209 und 1247/48 angegeben.

Die Aleviten in der Politik der Osmanen

Auch die Yeniçeriler, die Janitscharen, standen unter dem geistigen Einfluss des Hacı Bektaş Veli. Ein Teil der im Osmanischen Reich lebenden Schiiten spalteten sich zu der Zeit ab in einen vom Islam abgekoppelten Alevismus und berief sich u.a. auf Bektaş. Manche Geschichtsforscher sehen in der Entstehung des Alevismus eine von den Osmanen geförderte Schwächung der Schia, deren Widerstandsgeist gegen ein unrechtmäßiges Kalifat durch Entstehung der Aleviten erheblich geschwächt wurde!

Seyyit Ali Sultan (1310? - 1402?)

Seyyit Ali Sultan wird in den Bektaschikreisen als einer der großen Heiligen verehrt. ... Es gibt zwei heute bekannte Velayetnames, Heiligenschriften, beide enthalten Informationen über Seyyit Ali Sultan, Kızıldeli. Eine wird ihm direkt zugeschrieben, sie erklärt, wie Rumeli, Europa, durch Vierzig Helden erobert wurde, die dem in einem Traum gegebenen göttlichen Befehl des Propheten Mohammed folgend aus Chorasan kamen. In diesem Velayetname wird Ali Sultan beschrieben als ein Krieger-Heiliger, der seine göttliche Macht benutzte, um von den 'Ungläubigen' Land zu erobern, um das Reich der wahren Religion Islam auszuweiten. Das stellt einen exzellenten Prototyp von Ghazi-Derwischen dar, die aktiv beteiligt waren in der frühen osmanischen Expansion in byzantinisches Land.

Die Helden, die Seyyit Ali Sultan und seine Gefährten sind, die als Heilige angesehen werden, kämpfen auf dem Schlachtfeld, erobern Festungen, senken Furcht in die Herzen der 'Ungläubigen', und konvertieren schließlich 'Ungläubige' [Sure 4:(89)] mit Gewalt. Während der Eroberung der Festung Murtad (Murtad Ova, 35 km nordwestlich von Ankara) beispielsweise, wird über den Kampf des Tahir mit einem Ungläubigen berichtet. Tahir trifft den Ungläubigen und wirft ihn nieder. Dann kniet er sich auf die Brust des Ungläubigen [Sure 2:(193)] und lädt ihn [mit dem Schwert unterstützt] ein zur Annahme der wahren Religion Islam. Nachdem der Ungläubige angenommen hat und zum Islam konvertiert ist, befreit ihn Tahir.

Diese Art von Ereignissen finden sich häufig im Velayetname. Das besondere an dieser Geschichte ist, daß im Falle, der Ungläubige akzeptiert den Religionswechsel nicht, hätte unser Krieger-Derwisch ihn ohne zu zögern getötet. Die übernatürliche Kraft des Vollbringens von Wundern (keramet) wurde unter den Sufis angesehen als eines der signifikanten Zeichen des Veli, des Heiligen.

Von den Bektaschis gelenkte Janitscharen ermorden reformerische Sultane

... Zweitens blockierte die anhaltende Stärke einiger Institutionen in der osmanischen Gesellschaft Bemühungen, sozial dysfunktionale Elemente zu ändern. Beispielsweise die ulema (die religiöse muslimische Hierarchie, Gerichte und Schulen) waren mächtig genug, Änderungen in Gesetzen oder Erziehung zu verhindern. Und die Infanterie der Janitscharen war in der Lage, Reformer zu ermorden, die die osmanische Armee reformieren wollten: ihre Opfer waren auch die Sultane Osman II, 1622, und Selim III, 1807.

Verbot des Bektaschi-Ordens und Beginn der Unterdrückung der Aleviten

richtig ist, das die janitscharen von den bektaschis ausgebildet wurden. der grund, warum die janitscharen niedergeschlagen wurden, ist der, das ihnen die disziplin abhanden gekommen ist. sie waren sogar kurz davor zu rebellieren. ausserdem waren sie nicht mehr effizient genug, gegen die moderneren waffen des westens. fortan wurde der orden der bektaschis verboten und seitdem begann auch die epoche der unterdrückung der aleviten. ... [nicht mehr online]

Chronologie des Osmanischen Reiches. 87 Seiten. Springer Link

Aleviten kämpfen im WWI gegen die armenischen Milizen

Innerhalb der Führungskader und Gefolgschaft des Komitees für Einheit und Fortschritt waren die sich in ihren Lehren und Riten dem Alevitentum weitgehend ähnelnden (vgl. Birge 1937: 16) und 1826 nach der Beseitigung der Janitscharen verrandeten Bektaschiten überrepräsentiert (vgl. Öz 1997: 35) oder zumindest häufig anzutreffen ... Aleviten und Bektaschiten kämpften (im Ersten Weltkrieg) auf Seiten des unionistisch geführten Osmanischen Reiches gegen die von den Alliierten unterstützten armenischen Milizen. Dafür gab es zwei Gründe: Erstens, die reaktive Verhaltensweise auf ihre graduelle Entdiskriminierung und auf ihre Regierungsbeteiligung bei der Jungtürkenherrschaft und zweitens, die für alle osmanischen (sunnitischen und alevitischen) Muslime bestehende gemeinsame äußere russische und armenische Bedrohung.

Aleviten und Bektaschis gehören zur politischen Elite Atatürks

Sieht man von der Jungtürkenära und von der religiösen Unterweisung der Janitscharen durch den Bektaschi-Orden ab, waren die Aleviten (und nach 1826 auch Bektaschiten) im Osmanischen Reich über Jahrhunderte hinweg Verfolgung und Vernichtung ausgesetzt. Aber im Herrschaftsbereich der von Atatürk geführten Regierung der Großen Nationalversammlung der Türkei (Türkiye Büyük Millet Meclisi, TBMM) waren sie dagegen an der politischen und administrativen Elite beteiligt: Das religiöse Oberhaupt der Bektaschiten und Aleviten, Celebi Cemalettin Efendi und später dessen Sohn Veliyettin Celebi (Ulusoy), waren jeweils Vize-Präsident des türkischen Parlaments und damit Atatürks Stellvertreter. Zum ersten Mal waren auch ranghohe Alevitenführer in einer türkischen Nationalversammlung vertreten (vgl. Sener 1994: 71f.). Diese Partizipation der Elite der konfessionellen Minderheit der Aleviten kann die These ihrer graduellen Emanzipation innerhalb der Nationalbewegung stützen.

Die Rolle der Aleviten im Ersten Weltkrieg

Einen markanten Einschnitt in das Verhältnis von Ostaleviten, Bektaschiye und Staat bedeutete der Erste Weltkrieg. Während die zentrale Bektaschi-Organisation mit ihrem für die Dorfaleviten zuständigen Oberhaupt (Çelebi) Cemaleddin Effendi offen mit dem Kriegsregime kollaborierte und für Enver Pascha die Kriegstrommel schlug, widersetzten sich die meisten Ostaleviten unter Anleitung der Dersim-Seyite jeglicher Zusammenarbeit. 1915/16 zeigten zahlreiche kurdische Alevitenstämme in ihrem Wirkungsgebiet aktiven Widerstand gegen die Eliminierung “ihrer” Armenier, indem sie Schlepperdienste organisierten oder, in Einzelfällen, armenische Bekannte mit Waffengewalt aus den Deportationskolonnen befreiten.

Aleviten kämpfen gegen armenische Verbände

Die Widerstandsbewegung griff bei ihrer Organisierung auch auf bisher bestehende Netzwerkstrukturen der auch von (oft Balkanstämmigen und ) Aleviten-Bektaschiten unterstützten Unionisten zurück: Die in Istanbul im Untergrund arbeitende, nachrichtendienstliche Tätigkeiten für die Widerstandsbewegung leistende, zu ihr nach Anatolien Humanressourcen und Waffen schmuggelnde Mim-Mim-Gruppe bestand größtenteils aus Aleviten und Bektaschiten (vgl. Sener 1994: 47; Öz 1997: 35). Das Amt des Präsidiums des Atatürk treuen türkischen Geheimdienstes wurde von einem Bektaschiten besetzt (vgl. Sener 1994: 74). ...

In Ostanatolien wurden neben sunnitischen auch wieder alevitische Kurden- und Zaza-Clanmilizen gegen armenische Verbände eingesetzt (vgl. Sener 1994: 58).

Widmung

Diese Dokumentation widme ich den Wissenschaftlern und ihren Familien, die in der zweiten Hälfte der 60er Jahre in Istanbul am Deutschen Archäologischen Institut (DAI), in der Sira Selviler, der Zypressenstraße, gearbeitet haben, den Familien Prof. Weber, Prof. Dr. Otto Feld, Dr. Dietrich Huff, Wolfgang (?) Schiele, Fotograf aus Etiler, seiner Frau und seinen Töchtern Susi und Caroline, und vor allem Horst Zeschke. Ich danke für die Gastfreundschaft und die vielen Informationen der Byzantinisten, Frühchristen, Architekten und des Bibliothekars. In Bodrum, dem ehemaligen Halikarnassos, wurde in einem insgesamt gemieteten Restaurant gefeiert, gegessen, musiziert und getanzt. In Priene fielen alle ins Grabungshaus des DAI ein. Ah Bu Dünya!

Wer hätte zwischen roten Anemonen bessere Vorträge über eine byzantinische Kapelle halten können als Dr. Otto Feld, mit seinem Spazierstock gestikulierend, wer über theodosianische und justinianische Scherben besser als Prof. Dr. Weber, wer über die Schiffe im Istanbuler Hafen, als die beiden Söhne von Prof. Dr. Hans Weber: Was wollt ihr werden? Kapitän! Mit Dr. Otto Feld ging's zum Chinesen, der hieß mit muslimischem Namen Yusuf Chin, oder alle trafen sich in Tarabya, wo zufällig auch Zeki Müren mit seinen Freunden einfiel und für alle ganz kostenlos sang, Zeki abla: Yabancı olduk şimdi!

Wer hätte eine aufregendere Sammlung vom Istanbuler Bücherbasar sein eigen genannt als Horst? Jüdische Emigranten versetzten, um zu überleben, ihre Bücher, die nach dem Krieg niemanden interessierten. Horst besaß die Erstausgaben der Dritten Walpurgisnacht, des Weißbuchs über die Erschießungen des 30. Juni 1934, von Willy Münzenberg, und des im Juli 1933 in Paris erschienenen Braunbuchs über Reichstagsbrand und Hitlerterror. Für 3 Lira, umgerechnet eine DM, kaufte er einen schmalen und dafür umso längeren Stich der Stadt Hamburg. Wert war er das Tausendfache. Den inzwischen 150 Jahre alten Kelim, ein Abschiedsgeschenk meiner letzten Reise, besitze ich heute noch: Teşekkür ederim! Iyi yolculuk!