9. November 2024

Offener Brief an den Berlin-Korrespondenten des Figaro David Philippot

 Dies ist mein Beitrag zum 35. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin!

Nicht alle Ossis haben für die Freiheit gekämpft.
Ilko-Sascha Kowalczuk: «Tous les Allemands de l’Est ne se sont pas battus pour la liberté»
Par David Philippot, Le Figaro, 8 novembre 2024

Sehr geehrter Herr Philippot,

wenn ich Ihre Artikel lese, merke ich, daß Sie im Gegensatz zu manch anderem Berlin-Korrespondenten des Figaro Deutsch können, deshalb schreibe ich Ihnen auf Deutsch. 

Sie ahnen es nicht, wie oft mich Ihre Kollegen Nicolas Barotte und Patrick Saint-Paul amüsiert haben, aber den Gipfel hat der ehemalige Sibirien-Korrespondent Pierre Avril abgeschossen!

Wer ich bin, lesen sie in Kurzfassung hier und hier

Am Tag des Mauerfalls war ich in Berlin, wenn auch nicht am Ort des weltbewegenden Ereignisses. Ich habe in Perpignan, wo ich seit 22 Jahren wohne, einige originale Mauerreste, eingeschweißt in einer Kunstharzkugel, also nicht solche, die später nachgemacht und für teures Geld verkauft wurden, beispielsweise nach Japan eine ganze Schiffsladung. Wenn man alle tatsächlichen und angeblichen Mauerreste zusammensetzt, ergibt sich eine noch viel längere Mauer, als sie war.


Sie haben wie auch Ihre Kollegen so oft, ein sicheres Händchen, einen Linken sich über den "Freiheitsschock" äußern zu lassen; einen Ossi von der AfD dazu Stellung nehmen zu lassen, dazu reicht der Platz auf der Seite 20 nicht. Woher ich weiß, daß er ein Linker ist, ohne eine Zeile des Autors gelesen zu haben? Daher, daß man beim Aufruf seines Namens bei Google lernt, daß er im heute Journal groß rauskommt, sich die Hans-Böckler-Stiftung seiner annimmt, der Rotfunk NDR und alle linken und linksradikalen Printmedien ihm ein Forum bieten. Die taz - das ist die mit dem lustigen kleinen Abdruck einer Tatze im Logo - titelt so:

Ilko-Sascha Kowalczuk über den Osten „Wer Nazis wählt, ist ein Nazi“

Wenn man dann Ihren Artikel liest, staunt man, daß es einen "großen Haß der Ossis auf die westlichen Werte" gäbe, und daß die Ossis es ablehnten, "für sich selbst verantwortlich zu sein", daß Wladimir Putin für sie eine Projektionsfläche abgäbe, und daß zwei von drei Bewohnern Sachsens meinten, es gäbe "Leben ohne Wert". Sind da auch ehemalige Wessis und/oder ihre Nachkommen befragt worden, die inzwischen seit zwei Generationen da wohnen? Bedenken Sie bitte, der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf war mal Sachsens Ministerpräsident, und zwar ein guter und erfolgreicher; er ist sogar in Dresden gestorben!

Als Krönung des Urteils über die AfD wird noch ein sächsischer Mediziner erwähnt, der nicht nur AfD-Mitglied ist, sondern der auch, im September, aus seinem Amt als Vorsitzender der kassenärztlichen Vereinigung entfernt wurde, weil er das "Unsagbare sagbar" machte, nämlich erklärte, es gäbe "humanitären Eugenismus".

Sie erinnern sich aber sehr wohl, sehr geehrter Herr Philippot, daß in Frankreich das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert wurde, und in den nächsten Wochen bei Zustimmung einer großen Mehrheit von in einem Bürgerrat manipulierten und weichgeklopften Franzosen ein Gesetzentwurf zur Euthanasie in der Nationalversammlung verabschiedet werden soll?

Was die "westlichen Werte" angeht, so ist die Eugenik eine Erfindung aus den USA. Weder Adolf noch Walter noch Erich und ihre Wissenschaftler haben die Eugenik erfunden, und erst recht nicht Alice, Tino, Björn und Klaus:

U.S. Scientists' Role in the Eugenics Movement (1907–1939): A Contemporary Biologist's Perspective
By Steven A. Farber. 
. 2008 Dec;5(4):243–245. doi: 10.1089/zeb.2008.0576

Hitler's American Model: The United States and the Making of Nazi Race Law. James Q. Whitman
How American race law provided a blueprint for Nazi Germany

Zur heutigen Anwendung der Eugenik fragen sie doch bitte die Verfechter der milliardenschweren Reproduktionsmedizin, ihre politischen Vertreter sitzen in der FDP. Ihr Vorsitzender Christian Lindner und die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr führen die Kampagne an. Da gibt's sogar "nicht kommerzielle Leihmutterschaft". 

Ja, ikke ha ma beölt! Nein, nicht darüber, sondern daß mir der Historiker Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk erzählt, die Ossis wollten Mercedes fahren, aber den Trabi weiter bauen.

Mit freundlichen Grüßen nach Berlin! Dr. Gudrun Eussner, Perpignan