"Der Harem war eine Schule für Mitglieder der osmanischen Dynastie"
Erdogans Frau preist Vorzüge des osmanischen Harems, FAZ, 10. März 2016
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Wenn man wie ich Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts monatelang bei Freunden vom Deutschen Archäologischen Institut in Istanbul lebte, mit Blick von Cihangir über den Bosporus, damals noch ohne die Bosporusbrücken, aber mit Tausend Schiffen, Booten und Kähnen, dann konnte man Geschichten hören!
Die Odalisken, die weißen Haremsdamen, waren Beutestücke aus dem Djihad oder auf dem Sklavenmarkt erworbene Mädchen aus Tscherkessien, Georgien und anderen Gegenden des russischen Reiches, geraubte junge Mädchen, auch Geschenke der Zaren an den türkischen Sultan waren darunter. Die meisten von ihnen sahen ihren Gebieter, den Sultan, niemals. Er wußte nicht einmal von ihrer Existenz. Diese Frauen, die "Jungfrauen im Wartestand", waren die niedrigsten in der Hierarchie der Frauen, rechtlose Sklavinnen, die dem umfangreichen Sultanshaushalt zu dienen hatten.
Die Hierarchie der Frauen war: Odalisken (Jungfrauen), Konkubinen ("one night stands"), ikballar (Favoritinnen) und kadınlar (Ehefrauen).
Die Frauen der türkischen Sultane wurden wie alle Frauen unter dem Islam von den Männern fürs Kinderkriegen und zu ihrer sexuellen Befriedigung benutzt. "Der Harem war die Reglementierungsinstitution der dynastischen Reproduktionspolitik", bezeichnet Elçin Kürsat-Ahlers das lapidar und treffend. "Die Haremsfrauen hinterließen keine Schriften", schreibt sie. Das stimmt also nicht ganz. Dennoch ist die Lektüre ihres Beitrages sehr empfehlenswert [nicht mehr online].
Die Kinder der nicht anerkannten Konkubinen und Sklavinnen hatten keinerlei Rechte. Die oft mächtigen Ehefrauen wurden verdächtigt, daß sie ihrem angetrauten Sultan nicht loyal wären, sondern ihren Herkunftsfamilien, was nicht abwegig ist, handelte es sich doch immer um arrangierte Ehen zur Machterweiterung beider Parteien. Deshalb waren die Thronfolger oftmals Söhne der Favoritinnen.
Man muß es sich so vorstellen, wie die Wahhabiten und Moslembrüder, die Nachkommen und Anhänger des Dr. Said Ramadan, die konvertierten Muslime Spaniens und die ihrer Ehre verpflichteten Türken aus Berlin-Neukölln es heute für angebracht halten. Nur, daß es bei der jungfräulichen Reinheit und der Polygamie außer für die arabischen Scheichs zunächst ohne den kostspieligen Zusatz der Favoritinnen, Konkubinen und Sklavinnen bleiben müßte. Aber das zu ändern und den früheren Zustand annähernd wieder herzustellen, daran kann im Zeitalter der Arbeitslosigkeit noch gearbeitet werden.
Zu Sultan Ahmed III Zeiten (1673 bis 1730) war das Los der Haremsdamen zusätzlich schlimm, weil der schwul war und überhaupt keinen Sinn entwickelte für deren Leben. Er zog aus dem Topkapı Serail aus und hinüber nach Asien. Die Frauen in ihren Verliesen blieben sich selbst überlassen. Dafür aber war er Dichter und Kalligraph. Selbstverständlich dichtete er in persisch.
Die Frauen des Harems hatten in den Zimmern gerade Platz, um sich auszustrecken zum Schlafen. Zum Leben hatten sie pro Tag etwa 50 Cent. Da aber die Natur ihr Recht forderte, gab es allerlei Geschäfte, um beispielsweise mit einem Mann Kontakt zu bekommen. Dazu wurden die allmächtigen Eunuchen bestochen. Wenn daraus eine Schwangerschaft entstand, hoben die Frauen eine Planke des Zimmers und versteckten das bei der Geburt von ihnen getötete Kind unter ihr. Das mußten sie ihres eigenen Überlebens und dessen der für die Haremsordnung verantwortlichen Eunuchen willen machen.
Die Sultane liebten zur Demonstration ihrer Macht über die unterworfenen Völker besonders weiße Eunuchen aus christlichen Gegenden, Tscherkessiens, Georgiens, Armeniens, Ungarns und auch aus dem Habsburger Reich. Schwarze Eunuchen waren ebenfalls beliebt, sie kamen aus Ägypten, Abessinien und dem Sudan und wurden auf den arabischen Sklavenmärkten am Mittelmeer verkauft.
Wenn´s ans Kastrieren ging, blühte einmal mehr die islamische Heuchelei. Da Kastrieren vom Islam verboten ist, nicht aber das Halten von kastrierten Sklaven, wurden dazu Dhimmis, ägyptische Christen und Juden herangezogen. Sie hatten die Arbeit schon auf dem Wege der Sklaven zu den Märkten zu erledigen. Die drei Arten der Kastration waren "sandali", die Totalamputation des männlichen Geschlechtsteiles mit einem rasierklingenscharfen Schnitt, wobei viele der Opfer starben, die Penisamputation, wobei das sexuelle Verlangen erhalten blieb, oder die Hodenamputation. Schwarze Sklaven waren fast immer unter der ersten Kategorie, sie dienten im Harem.
Zur Blütezeit des osmanischen Reiches gab es an die 800 schwarze Eunuchen im Harem. Weiße Eunuchen waren unter den beiden anderen Kategorien. Sie dienten den osmanischen Regierungen im Innendienst, der Palastbürokratie, der Eunuchenschule für weiße Eunuchen, dem Krankenhaus und als Zeremonienmeister. Der "Kapı Ağası", der weiße Chefeunuch, kontrollierte Nachrichten, Anfragen und Petitionen an den Sultan. Er war der einzige, dem es gestattet war, persönlich zum Sultan zu sprechen. Ab 1591 war der Chefeunuch ein Schwarzer, weil die weißen in Zusammenarbeit mit den Haremsfrauen zu intrigant wurden. Es gab während der osmanischen Herrschaft zwischen 300 und 900 weiße Eunuchen im Serail.
Aber zurück zum Harem: die Mitarbeiter des Deutschen archäologischen Instituts fanden also die mumifizierten Leichen der Neugeborenen und auch Briefe der unglücklichen Frauen: Allmächtiger, wenn ich hier jemals wieder herauskomme, dann verspreche ich ... etc.
In den 60er Jahren war das Topkapı Museum ein einziges Durcheinander: "kadınlar hamamı gibi", wie im türkischen Frauenbad. Da konnte man das letzte Hemd von Genç Osman II (1603 bis 1622) bewundern, der von seinen revoltierenden Janitscharen im Verlies des Yedikule, des Schlosses der sieben Türme, erstochen wurde: acht gegen einen. Er hatte vier Jahre regiert und war achtzehn Jahre alt, als man ihn ermordete. Da man einem Toten das Hemd nicht über den Kopf ziehen darf, lag es, am Rückenteil der Länge nach aufgeschnitten, blutbefleckt jahrhundertelang in einer Truhe, zwischen mit Gold- und Silberfäden durchwirkten mottenresistenten Kaftanen, von denen einige mit einigen Prachtstücken chinesischen Porzellanes ebenfalls ausgestellt waren.
Genc Osman war auch Dichter. Er schrieb wie alle gebildeten türkischen Männer persisch. Sein Künstlername war Farisî=persisch.
Als ich dann 1985 wieder ins Top Kapi Museum kam, war alles wunderbar aufgeräumt, vom blutdurchtränkten Totenhemd keine Spur, gedämpftes Licht und ästhetische Dekoration überall, und der Museumsführer erzählte am Orte des ehemaligen Harems, am munter plätschernden Brunnen, meinen Kollegen aus den asiatischen Entwicklungsbanken und mir die Geschichte vom üppigen luxuriösen Leben der Haremsdamen. Mir platzte der Kragen, und ich meinte, ich kennte die Geschichte aber anders. Da verließ er mit der Gruppe rasch den Ort, nachdem er mich - na, wenn Blicke töten könnten!
Ich vergaß: die deutschen Forscher durften seinerzeit den Harem nicht mehr betreten. Sie hatten Schande über die Türken gebracht. Was aus den Briefen wurde, wer weiß?
11. März 2005 - Links aktualisiert am 15. März 2006
Quellen, vom 15. März 2005 und 15. März 2006, unter dem Artikel