Photo : Pierre Terdjman / Cosmos for Paris Match
Es ist wieder soweit, die Tourismusindustrie von Perpignan kann sich nach dem weniger gelungenen Juli freuen. Es läuft das größte Ereignis des Jahres. Fotografen, ihr Gefolge und Ausstellungsbesucher aus aller Welt sind für zwei Wochen in die Stadt eingefallen, belegen Hotelzimmer, spachteln am Quai Vauban, bringen Bürgern des Roussillon Arbeit und Einkommen, in einer Gegend mit dem höchsten Prozentsatz Arbeitsloser in Frankreich ist das sehr zu begrüßen. Visa, moteur économique.
Was die Ausstellungsbesucher erwartet, habe ich im Artikel Leroy Soleil : Ich bin ein Festival des Photojournalismus angekündigt, und so ist's gekommen. Also mache ich's kurz, lasse die exotischen Kriege in den Entwicklungsländern und den "arabischen Frühling" aus, berichte über lächerliche Engländer, seriöse Franzosen und kümmere mich um diese Frage aus dem Artikel:
Wird einmal die Situation in Israel dargestellt, Alltagsleben oder gar Beschuß durch Kassam-Raketen aus Gaza?
Bereits im Mai gibt die Provinzzeitung L'Independant bekannt, daß in Visa pour l'Image 2011 der 39-jährige Fotograf Peter Dench in England Uncensored. A Decade of Photographing the English den Ausstellungsbesuchern die Lachmuskeln trainieren wird. Ein Foto von als Teddy Boys verkleideten Biertrinkern zur Einstimmung auf das Amusement vor allem der französischen Besucher gibt's anbei, nein diese Fresser gräßlicher Speisen, wie sie schon angezogen sind und sich verhalten. Die ganze Nation ist eine einzige Lachnummer:
England has never exactly been glamorous. Many of the English still insist on embarrassing themselves, wearing laughable clothing, eating terrible food and behaving inappropriately. 'England Uncensored' is a laugh-out-loud romp through this often badly behaved nation, a comprehensive portrait of the first decade of 21st century England. It is not an idealized brochure of a green and pleasant land, but the truth, warts and all.
Es handelt sich um die Übernahme einer Ausstellung aus Derby, England, vom 4. März bis 3. April 2011, und auch der Text wird so übernommen. Die Franzosen kennen keine Hemmungen, wenn es gilt, in aller Schamlosigkeit ihren Erzfeind bloßzustellen. Der Text wird wörtlich ins Französische übersetzt, weil die meisten Franzosen englisch sowieso nicht verstehen: aujourd'hui encore, beaucoup d'Anglais s'obstinent à se rendre ridicules. Noch heute bestehen viele Engländer darauf, sich lächerlich zu machen.
Frankreich dagegen wird in all seiner Großzügigkeit eingefangen vom Fotografen Bertrand Gaudillère. Gezeigt wird der selbstlose Einsatz für einen "sans-papiers", den seit neun Jahren illegal im Lande lebenden 45-jährigen Angolaner Guilherme und seine Familie, davon zwei in Frankreich geborene Kinder, viermal bereits sollte er ausgewiesen werden. Auf den Fotos sieht man seriöse, ernst dreinblickende Franzosen, darunter Abgeordnete des Parti Socialiste.
Eine Situation in Israel wird in diesem Jahr erstmalig vorgestellt - jedenfalls ist mir kein früherer Auftritt bekannt, außer den üblichen steinewerfenden palästinensischen Jungen, die schwerbewaffnete israelische Soldaten attackieren, die Plantschbecken der Palästinenser okkupierende jüdische Jungen und die Chassidim in Jerusalem, Schläfenlöckchen, schwarze Hüte, Mützen mit schwarzen Pelzrändern, etwas linkisch und weltfremd dreinschauend, 'ne Prise Mißtrauen, tanzend. Das wird ab sofort anders. Der 32-jährige französische Fotograf Pierre Terdjman ("Peter Dolmetscher") zeigt Fotos unter dem Titel United we were strong. Vereint wären wir stark. L'union aurait dû faire la force. Die Einheit hätte die Stärke bringen sollen, was impliziert, daß sie nicht erreicht worden ist. Die Voreingenommenheit von Visa pour l'Image beginnt schon mit der Überschrift.
Der Begleittext auf der offiziellen Site von Visa, der gleiche, der auch im Programmheft abgedruckt ist, teilt Israel mit, was es zu tun hat, und zwar auf englisch etwas anderes als auf französisch: Israel, as a nation with a population of 7 million, must now face up to the challenge of integrating all citizens. Nation de 7 millions d'âmes, Israël doit aujourd'hui affronter sa capacité d'integration de tous les Juifs. Einmal muß (!) Israel alle Bürger integrieren, ein andermal alle Juden. Vielleicht hat der Französischübersetzer sich in Anbetracht der in Frankreich unintegrierten Millionen Muslime nicht getraut, so keß zu formulieren?
United we were strong: 18 Fotos des Lebens in Israel, fern von Tel Aviv und Jerusalem, hat der Fotograf auf seine Website gestellt, zwei mit Wasserpfeife vor Sozialbauten rumlungernde Jungen, einen auf der Straße liegenden, durch Kippa als Jude kenntlichen Bettler, Slums, Slums, Slums, mürrisch dreinblickende russische Juden, Armut, Armut, Armut, in Höhlen hausende Menschen, fixende Kaputtniks, Dreck, Dreck, Dreck, elende Araber in Israel. Das sind auch die Fotos, die in Perpignan ausgestellt sind. Zusätzlich gibt's in Perpignan noch das Foto eines zwielichtigen Immobilienhaies. Soweit zu meiner Frage: Wird einmal die Situation in Israel dargestellt, Alltagsleben oder gar Beschuß durch Kassam-Raketen aus Gaza? Letzteres geschieht (noch) ebenfalls fern von Tel Aviv und Jerusalem.
Auf seiner Site sind auch 24 Fotos der Zeltproteste zu sehen, überschrieben mit dem putzigen Titel Yes we tent. Israeli social protests 2011. Diese Fotos sehen die Visa-Besucher sicherlich im nächsten Jahr. Wenn man bedenkt, was allein solch ein Zelt kostet! Sie sehen alle sehr neu aus, alle einander ähnlich, eben vom Kollektiv mit Mengenrabatt gekauft, trotz der teueren Miete in den Wohnungen, sozusagen vom Munde abgespart. Auch die davor und dazwischen aufgebauten Möbel sind keine Billigware. (Fotos 1, 8, 9)
Die Ausstellungsbesucher wissen jetzt eines: Welch ein Glück haben die Franzosen, in ihrem Frankreich zu wohnen. Schlecht, wenn sie gerade wie ich eben von einem Parisaufenthalt zurückkommen, wo ihnen Mengen an Dreck und Elend begegnet sind, die auch nicht mit einer kleinen Flasche stillen Wassers zu 5,80€ (40 Francs), genossen auf der Terrasse des Cafés de la Place, wegzuwaschen sind.