11. Juli 2011

CSU, die Mitmachpartei. Pendlerpauschale, Schichtzuschläge, Mehrwertsteuer

Am 28. Juni 2011 erhalten CDU, CSU und FDP meinen Artikel Vauban und der Einheitssteuersatz des Paul Kirchhof. Die Reaktion von CDU und FDP bleibt aus, aber die CSU Politik 2.0 antwortet, am 4. Juli 2011:

Sehr geehrte Frau Dr. Eussner,

vielen Dank für Ihre Anmerkungen zum Steuerkonzept Paul Kirchhofs. Als Mitmachpartei sind uns Rückmeldungen aus der Bevölkerung sehr wichtig.

Das akademische Steuerkonzept Paul Kirchhofs scheint durch seine Einfachheit zu bestechen. Ein gutes Steuerkonzept darf jedoch nicht einseitig auf die Frage der Einfachheit reduziert werden. Entscheidend ist vielmehr die Frage nach der Gerechtigkeit und dieser Aspekt kommt beim Vorschlag Paul Kirchhofs leider viel zu kurz. Ausnahmen gewährleisten nämlich die Steuergerechtigkeit im Einzelfall (z. B. Pendlerspauschale, Schicht- und Nachtzuschläge oder der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel).

Wir stimmen Ihnen zu, dass das Steuerrecht vereinfacht werden muss. Einfachheit und Gerechtigkeit müssen aber in Einklang gebracht werden. Als christlich-soziale Partei stehen wir aber zu dem Grundsatz, dass starke Schultern mehr tragen sollten als schwache. Deshalb ist es unser Ziel noch in dieser Legislaturperiode kleine und mittlere Einkommen entlasten.

Mit freundlichen Grüßen
B. K.
Servicecenter

CHRISTLICH-SOZIALE UNION
POLITIK 2.0
CSU-Landesleitung, München

Die Bevölkerung, das bin ich. Zunächst zum Begriff Mitmachpartei. 16 500 Ergebnisse erzielt man bei Eingabe von CSU Mitmachpartei, vier unter Google.de News, Stand 11. Juli 2011, 22:45 Uhr.

Wie kann Horst Seehofer, der Vorsitzende der CSU, diese als Mitmachpartei bezeichnen? Mitmacher, Mitläufer, Mitgegangen-Mitgefangen-Mitgehangen assoziiert man. Man denkt auch an die Redewendung: Was der mitgemacht hat! Bei positiven Assoziationen, Mitmachen Ehrensache beispielsweise oder Jetzt mitmachen und etwas bewegen! wie die Linke ihre Mitgliederwerbung unters Volk bringt, wird immer eines klar: Der Mitmachende ist gefragt als Vollstrecker, der Aufrufende bestimmt und braucht Leute, seine Anweisungen durchzusetzen: "Veränderung kommt nicht von alleine, deshalb brauchen wir viele neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter," ruft die Linke, und Mitmachen Ehrensache erklärt: "Unter dem Motto 'Merhaba Mitmachen Ehrensache' suchen sich Jugendliche am Aktionstag (in den meisten Aktionsbüros in diesem Jahr am 5. Dezember) einen Arbeitgeber und jobben bei ihm. Den Lohn, den sie dafür vom Arbeitgeber bekommen, spenden sie für einen guten Zweck." Na, dann ist ja alles in Ordnung, Jugendliche arbeiten, nicht in einem Job für eigenes Geld, nein, sie spenden es. Wie zynisch muß man sein?

Auf dem Niveau bewegt sich die CSU, sie wählt dazu den gleichen Slogan wie die Linke, und da ist es nicht abwegig, die Dame des Servicecenters der CSU-Landesleitung zu fragen, ob ihr Chef schon in die SPD eingetreten ist, die Übergänge zur SPD, zu den Grünen und zur Linken sind fließend, Artikel im Cicero, "Weiß-blau ganz grün", und der WELT bestätigen die "überaus manierliche schwarz-grüne Annäherung".

Derweil apostrophiert der Donaukurier die CSU nicht als Mitmach-, sondern als Umfallerpartei, ein Titel, der bislang der FDP vorbehalten gewesen ist: "Heute gibt Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) im Landtag eine Regierungserklärung zur Energiewende ab. An gleicher Stelle hatte die CSU noch vor wenigen Monaten die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke verteidigt."

Horst, aufwachen, umfallen, Karriere machen! Frei nach dem 1966 auf Erich Mende gemünzten Schmähruf.

Wer nun meint, das reiche erst einmal mit dem Seehofer Horst, der bekommt noch das vierte Ergebnis der Google News - Suche, die Augsburger Allgemeine öffnet jedem endgültig die Augen, womit die CSU-Wähler heute und in Zukunft zu rechnen haben: "Er [der neue JU-Vorsitzende in Schwaben Hans Reichhart] sieht die CSU als 'Mitmachpartei', in der auf allen Ebenen miteinander geredet werden sollte. Und dabei könne es auch keine 'Denkverbote' geben. Wie in der Diskussion um ein Bündnis mit den Grünen, das von der CSU-Spitze nach wie vor strikt abgelehnt wird. Reichhart: 'Selbstverständlich trennt uns von den Grünen viel, wie etwa in der Sicherheitspolitik. Aber wir haben auch gemeinsame, christliche Ideale.' " Wer hätte es gewußt?

Von dieser geplagten Partei bekommt man die zu ihr passenden Argumente über den Einheitssteuersatz, über "das akademische Steuerkonzept" und  über große Pläne, die nur auf dem Papier stehen - in Klammern Kirchhof. Die Formulierungen sind pejorativ, sie assoziieren: Grau ist alle Theorie, da sitzt der Professor aus Heidelberg in seinem Elfenbeinturm und arbeitet etwas aus, das einer Überprüfung durch die Realitäten nicht standhält. Der Mann weiß nicht, was in der Welt vor sich geht, akademisch eben. Die CSU ist bereits auf SPD-Linie; so argumentiert Gerhard Schröder im Bundestagswahlkampf 2005.

Schon Sébastien Le Prestre, Marquis de Vauban (1633 - 1707) widmet die Hälfte seines 200-seitigen Buches über die Dixme royale, den königlichen Zehnten, der Begründung durch Tatsachenberichte.

In der CSU scheint es nicht bekannt zu sein, daß seit 1994 in der weiten Welt, Tausende Kilometer von Bayern entfernt, aber auch um die Ecke, in der Slowakei, 14 Staaten die Flat Rate Tax eingeführt und damit ihr Steuersystem revolutioniert haben: Estland (26% - 20% ab 2005), Lettland (25%), Slowakei (19%), Hong Kong (15%), Rußland (13%) sowie die US-Bundesstaaten Colorado, Connecticut, Illinois, Indiana, Massachusetts, Michigan, New Hampshire, Pennsylvania und Tennessee. Das Cato Institute bedauert, daß nicht alle Bundesstaaten der USA dem gefolgt sind.

Forbes zitiert aus der neuesten Ausgabe der Datenerhebung des American Legislative Exchange Council Rich States, Poor States über den ab Januar 2001 vollzogenen Wechsel Rußlands von schwindelerregend hohen Steuern, ähnlich denen in Deutschland, zum Einheitssteuersatz und die positiven Folgen:

"In 2000, Russia’s top personal income tax rate was 30 percent and a 40.5 percent payroll tax was applied at all earnings levels. If Russians with even modest earnings complied with the law, the tax collector took well over half of their incremental income. Beginning in January 2001, the newly elected Putin administration shifted to a 13 percent flat-rate income tax and also sharply reduced the payroll tax rate. The results were striking. Tax compliance increased and the inflation-adjusted revenues from the personal income tax rose more than 20 percent annually during the three years following the adoption of the flat-rate tax. Further, the real growth rate of the Russian economy averaged 7 percent during 2001 -2003, up from less than 2 percent during the three years prior to the tax cut."

Aber das muß eine Regierungspartei Deutschlands nicht wissen. Da heißt es über das Steuerkonzept: Es "scheint durch seine Einfachheit zu bestechen". Wie darf man es sich vorstellen? Besticht es durch Einfachheit oder nicht? Der CSU Politik 2.0 liegt die Vorstellung von einem Einheitssteuersatz so fern, daß sie nicht einmal zugeben kann, daß es besticht. Selbst das ist für sie nur Schein. Mit ihr toben die linken MSM und Bloggger, von der Frankfurter Rundschau ("Kirchhof - einfach ungerecht") bis zur ReadersEdition ("Tri Tra Trullala, der Kirchhof der ist wieder da"). Die CSU befindet sich in bester Gesellschaft.

Gerechtigkeit ist ein Stichwort, dessen Definition sich für alle Linken erübrigt. "Entscheidend ist vielmehr die Frage nach der Gerechtigkeit", bescheidet mich die Dame des CSU Servicecenters, und es ist selbstverständlich, daß sie den Begriff nicht erklären muß; denn verstehen wir nicht alle dasselbe darunter, von Anton Ackermann über die CSU bis Josef Ackermann?

Google.de CSU Gerechtigkeit bietet: Mehr Gerechtigkeit bei Gehältern, Qualität und Gerechtigkeit im Bildungssystem, Wieder Steuergerechtigkeit herstellen (sic!), CSU Gerechtigkeit, Soziale Gerechtigkeit usw. Ruft man den Artikel über die Steuergerechtigkeit auf, so meldet sich die Nachricht Fehler 404, Seite nicht gefunden. Derer bedarf's nicht, denn wer die Gerechtigkeit kennt, weiß sowieso Bescheid über alle Gerechtigkeit auf Erden. Damit man aber nicht ganz ohne Antwort bleibt, nennt die Dame des CSU Servicecenters aus der Landesleitung Beispiele, wo der Einheitssteuersatz des Professors Ungerechtigkeit hervorrufen würde: "Pendlerspauschale, Schicht- und Nachtzuschläge oder der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel".

Pendlerpauschale, Schichtzuschläge, Mehrwertsteuer

Ein Blick in den vom Focus im August 2009 veröffentlichten Mietspiegel zeigt, daß in München "für einen Quadratmeter Wohnung zwischen 9,48 und 10,50 Euro berappt werden müssen", das macht für eine Wohnung von 76qm ca. 760€. Der Mietspiegel werde bei Neuvermietungen gern "ausgehebelt". Eine jetzt angebotene 102qm große Zweizimmer-Dachgeschoßwohnung in München soll 1.130€ Miete kosten = 11€/qm.

Schon der Vergleich mit Mieten in der bayerischen Stadt Erlangen, mit 105 000 Einwohnern, zeigt den Unterschied. Der Mietspiegel nennt Quadratmeterpreise von 6,55 bis 7,55€. Eine Neubauwohnung in Nürnberg, bekommt man zum Quadratmeterpreis von ca. 7,60€.

Immonet.de bietet eine 76qm Wohnung in Unterschleißheim für 590€/Monat an. Vergleicht man die Miete mit der mietspiegelkonformen Münchner Wohnung für 760€/Monat, so kostet die ca. 20 Kilometer von München entfernt im Grünen liegende Wohnung mit Garten (siehe Foto) in Unterschleißheim pro Monat 170€ weniger als die in München, im Jahr 2.040€ weniger.

Der Pendlerpauschale Rechner 2011 sagt aus: "Die Pendlerpauschale kann unabhängig von der Art der genutzen Verkehrsmittel für alle Fahrten von der Wohnung zu dem Arbeitsort als Werbungskosten abgesetzt werden. Sie beträgt für jeden Arbeitstag und jeden vollen Kilometer der einfachen Entfernung zwischen dem Arbeitsort und der Wohnung 0,30 EUR."

Für eine im Zentrum von München arbeitende Person aus Unterschleißheim ergibt sich ein Anspruch von 6€/Arbeitstag. Nimmt man urlaubs- und feiertagsbereinigt 44 Arbeitswochen zu je fünf Tagen an, so können 1.320€ an Werbungskosten von der Steuer abgesetzt werden. Was sonst noch eingespart werden kann, lese man beim Pendlerpauschale Rechner 2011.

Was gerecht sein soll daran, daß ein Mieter in Unterschleißheim, 20 Kilometer von München, zusätzlich zu seiner niedrigeren Monatsmiete, zusätzlich zu seiner besseren Lebensqualität im Vorort, zu seinem Balkon oder seiner Gartenbenutzung noch die Pendlerpauschale absetzen kann, das möge mir die CSU erläutern.

Mit Schicht- und Nachtschichtsarbeit, letztere von 20 - 6 Uhr, können ähnliche Rechnungen aufgemacht werden. Schichtarbeiter erhalten Zuschläge zum Lohn, Zuschläge gibt es auch für Sonn- und Feiertagsarbeit.

Was gerecht sein soll daran, daß ein Schicht- und Nachtschichtarbeiter für seine höheren Stundenlöhne prozentual weniger Steuern bezahlen soll, das möge mir die CSU erläutern.

Zum Schluß erwähnt die Dame des CSU-Servicecenters den Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel. Der beträgt für die einen 7, für die anderen 19 Prozent. Die einen, das sind gemäß gutefrage.net alle eßbaren Waren, auch Güter wie Blumen, Bücher, Kunst, Zeitschriften, die Getränke aber sind die andern, belegt mit 19 Prozent. Hierher gehören auch die berüchtigten 7 Prozent Steuern für Hotels. Kommentator Exorutus schickt noch einen Link zum Umsatzsteuergesetz und meint dazu: "Viel Spaß".

Was gerecht sein soll daran, daß Eßwaren, Blumen, Bücher, Kunst und Zeitschriften mit 7 Prozent, Getränke mit 19 Prozent Steuern belegt werden, von den Hotelsteuern nicht zu reden, das möge mir die CSU erläutern.

Dann wüßte ich, was die CSU unter "Gerechtigkeit" versteht. Ich fürchte nach allem, daß ich davon ein anderes Verständnis habe.