Man mußte die Wachen umgehen: [Sébastien Le Prestre, Marquis de] Vauban schickte also seine Kutscher und Kammerdiener in der mit seinen Wappen geschmückten Karrosse zur Porte Saint Denis, um die kostbaren gedruckten Blätter abzuholen. Als er sie so zu sich nach Hause gebracht hatte, wandte der Marschall sich umgehend an eben die Dame, die Witwe Fétil [eine Pariser Buchbinderin], die bereits vier Jahre vorher sein Manuskript [über die Dixme royale] in Saffianleder gebunden hatte.
Vauban hat es eilig, er beschäftigt sich ganz mit seinem Unternehmen. Der Militär ist konkrete und schnelle Ergebnisse gewohnt. Er bringt am 31. Dezember 1706 die besagte Witwe Fétil zu sich nach Hause. Ihr wird ein erster "in ein Scheuertuch eingewickelter Packen" von vierundzwanzig in Kalbsleder zu bindenden Exemplaren übergeben.
Als diese gebunden und von der besagten Buchbinderin umgehend zu Vauban gebracht worden sind, werden ihr weitere, ebenfalls noch in Kalbsleder zu bindende vierundzwanzig Exemplare übergeben, aber zusätzlich noch sechs in rotes Saffianleder ...
Colas, Vaubans treuer Kammerdiener, setzt die Buchbinderin durch häufige Besuche unter Druck und versichert ihr die Ungeduld seines Herrn. Das Kommen und Gehen der Packen zum Binden häuft sich. Die Witwe Fétil wird zugeben, daß sie bis zur letzten schicksalhaften Lieferung, vom 24. März 1707, um fünf Uhr abends, davon in einigen Wochen fast 264 Exemplare gebunden hat ...
Vauban hat zu der Zeit das Verbot erfahren.
Denn die Ereignisse haben sich seit dem 31. Dezember 1706 überschlagen, wo sich die verwerfliche Beziehung zwischen dem alten Soldaten und seiner Buchbinderin geknüpft hat.
Der Marschall hat im Zuge der heimlichen Lieferungen der Witwe Fétil von Woche zu Woche die Exemplare seiner Dixme royale [des Werkes über den Einheitssteuersatz, des Königlichen Zehnten] verteilt, die meisten in Kalbsleder gebunden, aber einige in rotes Saffianleder, wie man gesehen hat. Die letzteren für den König bestimmt, für seine Minister, für einige einflußreiche Persönlichkeiten? Für den König, weiß man nicht, für einige Minister, das ist wahrscheinlich, für mehrere Würdenträger am Hofe, das ist sicher.
In Versailles ist die Wirkung auf alle Fälle verheerend. Denn obgleich Vauban dem Druck der Buchhandlungen widerstanden hat, bleibt nichtsdestotrotz, daß die Verteilung von an die 300 gedruckten Exemplaren seiner "Dixme royale" an die hervorragenden Verbindungen ihres Autors den Skandal hervorriefen.
"Das Buch von Vauban machte großes Getöse," schrieb [der Politiker und Schriftsteller] Saint-Simon, "geschätzt, gelobt, bewundert von der Öffentlichkeit, getadelt und gehaßt von den hohen Finanzbeamten, verabscheut von den Ministern, bei denen er Wut entfachte. Besonders [der Staatssekretär der Marine] Graf [Jérôme Phélypeaux de] Pontchartrain machte einen schrankenlosen Lärm um ihn, und [Finanzminister Michel] Chamillart vergaß seine Sanftmut und Mäßigung. Die Finanzbeamten wetterten, und das Gewitter wurde zu derartigen Exzessen getrieben, daß der Marschall, wenn man ihnen geglaubt hätte, in die Bastille überstellt wäre, und sein Buch sich in den Händen des Henkers befände."
Selbst wenn es erwiesen ist, daß Saint-Simon übertreibt, die "Affäre" ist nicht einer aufgebrachten "Öffentlichkeit" übergeben worden und versetzt kein Klatschblatt in Schrecken, der Geschichtsschreiber bezeugt die Aufregung in den Korridoren der Macht.
Vauban stört.
Der alte Marschall setzt seinen Ruhm in der öffentlichen Meinung und sein Ansehen beim König für aufrührerische Angelegenheiten ein. Er propagiert über die Steuerreform alte Refrains, die die etablierte Ordnung in Frage stellen, und das sogar, da der Krieg das Königreich bedroht!
Der Hof regt sich tatsächlich auf. Er schätzt den im Alter fortgeschrittenen König als bei dem Thema reizbar ein.
Die von Vauban in seiner "Dixme royale" als "Blutsauger" angeprangerten Steuerpächter könnten aktiv werden. Aber die fortlaufende Drohung der Wiederaufnahme des Krieges rechtfertigt die Beibehaltung der anerkannten Ordnung, um wenigstens die Finanzierung der Armee zu gewährleisten.
Finanzminister Chamillart kann nicht gleichgültig bleiben. Diese weniger farblose Persönlichkeit, als man ihr nachsagt, ist gut angesehen bei Hofe. Klerikal und katholisch, gefällt er Madame de Maintenon. Höfling und Schmeichler, versteht er es, wie man sagt, im richtigen Augenblick gegen den König in dessen Billardspielen zu verlieren.
Aber vor allem endete es so, daß er Vauban auf Grund von persönlichen und familiären Gründen nicht mehr ausstehen konnte, obwohl er ihm doch lange Zeit der Notwendigkeit geschuldete öffentliche Ehrerbietung für seine militärischen Talente bewiesen hatte.
Sein Schwiegersohn ist der Marquis [Louis d'Aubusson] de la Feuillade, der eine Militärkarriere eingeschlagen hat und die Aufgabe anvertraut bekommen hatte, Turin einzunehmen. Das Unterfangen wendet sich im September 1706 zur Katastrophe. Vauban hatte vor dem verhängnisvollen Abschluß der Belagerung vorgeschlagen, um die Lage zu retten, hinzukommen und ihn zu beraten, ohne ihm jedoch formal sein Kommando streitig zu machen.
Der Marquis hatte den diskreten Vorschlägen der Unterstützung des alten Marschalls seine Überheblichkeit entgegengesetzt ... Die Belagerung endete erbärmlich, der Schwiegersohn des Ministers strich schließlich eine bittere Niederlage ein.
La Feuillade läßt seinen berühmten Schwiegervater an seinem Haß auf Vauban teilhaben.
Schließlich findet Chamillart, dem die finanzielle Lage des Königreiches als dramatisch bekannt ist, der nicht weiß, woher er Gelder nehmen soll, und der sich empört, sobald Kritik laut wird, im Verbot der "Dixme royale" die Unterstützung der Finanznomenklatura.
[Sébastien Le Prestre, Marquis de Vauban stirbt am 30. März 1707]
Alain Monod : Vauban ou la mauvaise conscience du roi
Préface de Pierre Joxe
Riveneuve éditions, 2008, pp. 140 - 143
Übersetzung: Dr. Gudrun Eussner
[Klammern] und Links von mir ergänzt.
Weitere Informationen über den Einheitssteuersatz in meinem Archiv:
Steuergesetze in Deutschland: Weich aber unfair! 9. September 2005
Vauban und der Einheitssteuersatz des Paul Kirchhof. 28. März 2007
Vauban und der Einheitssteuersatz des Paul Kirchhof. 28. Juni 2011
Einheitssteuersatz. Der Austritt aus dem Mittelalter. 8. Juli 2011
CSU, die Mitmachpartei. Pendlerpauschale, Schichtzuschläge, MwSt. 11. Juli 2011