24. April 2025

Israel einer Anfängerin [4]: Tel Aviv


Nach meinen 12 Stunden Schlaf gibt's im Hospiz von Yafo kein Frühstück mehr, die messianischen Christen sind schon beim Singen und Beten. Ich zaudere nicht lange, sondern bewege mich wieder auf der Rehov Eilat, diesmal in die andere Richtung, zur Allenby, zur King George V und zur Dizengoff. Die Gegend wird immer heller und freundlicher, je weiter ich mich von Jaffa entferne. Ich komme an zahlreichen Ladengeschäften und am Haganah Museum vorbei.

Auf der George V sichte ich ein schönes Café, es heißt schlicht Café Meir, nach Meir Dizengoff. Bevor ich eintrete, muß erst einmal meine Zeitung her, die ich im obersten Stockwerk des Dizengoff Einkaufszentrums erwerbe. Auf meine Frage nach der neuesten Jerusalem Post antwortet die Verkäuferin mit einer Gegenfrage: "Wollen Sie sie kaufen?" Das habe ich schon gelernt, daß Juden auf Fragen oft eine Gegenfrage stellen, aber daß solches auch beim Kauf einer Zeitung gilt, wer hätte es gedacht? Es stellt sich heraus, daß man sich in dem Laden auch setzen kann, um die Zeitung am Ort zu lesen, sie kostet immerhin neun Schekel, das sind 1,57 Euro, für israelische Verhältnisse viel Geld für so wenig Papier, aber auch für französische, ein Figaro kostet in Frankreich 1,20 Euro [heute 3,90 Euro], man bekommt qualitativ Gleichwertiges und dabei quantitativ mehr.

Auf der Terrasse des Cafés Meir gibt's die Speisekarte in Hebräisch und Englisch. Zahlreiche Frühstücksvariationen sind aufgeführt, vom gekochten Ei bis zu einem Gericht mit lustigem Namen: Shakshuka. Das bestelle ich, was immer das sein mag. So halte ich es in fremden Ländern, probiert wird ein mir unbekanntes Gericht. In fast allen Fällen habe ich damit Glück. Leshakshek heißt hebräisch schütteln, lerne ich später. Der Belgische Rundfunk (BRF) weiß, daß Shakshuka aus Tunesien stammt [nicht mehr online]: Shakshuka ist durch den Mittelmeerraum in östlicher Richtung vorgedrungen und auch in das kulinarische Repertoire des Nahen Ostens eingegangen. Besonders begeistert wurde es von den Israelis angenommen. Da es einen hebräischen Namen trägt, könnte es vielleicht von den Juden Tunesiens mitgebracht worden sein?

Im Café Meir schaue ich mich unauffällig um, ob ich vielleicht Jeckes sehe und höre. So werden die in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf der Flucht vor den Nazis in Palästina eingewanderten deutschen Juden genannt. Ende der 30er Jahre stellen sie fast ein Drittel der jüdischen Bevölkerung Palästinas:


Jeckes. Die deutschsprachigen Juden in Israel. Stiftung neue Synagoge Berlin. Centrum Judaicum

Der Spitzname war verächtlich gemeint, weil die Männer selbst im heißen Klima des Orients nach bürgerlich-deutscher Kleiderordnung angezogen waren. Sie gingen niemals ohne Jackett und Krawatte auf die Straße. Gemeint war aber auch ihre bis zur Pedanterie reichende Korrektheit in den täglichen Dingen des Lebens. Sie wirkten wahrlich fremd im allgemeinen Habitus der Levante.

"Aus Überzeugung hier, oder aus Deutschland?" Ist einer der zahllosen Witze über sie.  

Wo sind sie jetzt, die Jeckes? Das Wort jeck ist auch bekannt aus dem Kölner Karneval, und im Holländischen ist es ebenfalls vertreten. Nicht vertreten sind Jeckes im Café Meir, aber einige Damen parlieren französisch, mit unterschiedlichen Akzenten, Hanah würde jetzt sicherlich sagen, sie stammten von "südlich der Pyrenäen", was nicht etwa heißt aus Spanien, sondern aus Nordafrika.

Aber genug gelesen und Leute betrachtet, jetzt geht's weiter die Straßen entlang, von der George V kommend in die Bograshov, bis ich zur Pinsker komme; in die biege ich einfach mal ein, weil mir Jehuda Leib "Leon" Pinsker ein Begriff ist. Er ist einer der Wegbereiter des Zionismus.

Bograshovs Name sagt mir zu der Zeit nichts. Jetzt, da ich den Reisebericht schreibe, will ich es ändern, aber das ist nicht leicht, weil unter dem Begriff Bograshov bei Google seitenlang die Vorzüge der an der Rehov Bograshov zu findenden Galerien, Cafés, Restaurants und Läden angepriesen werden. Auf dem Blog von MNUEZ, mnuez.blogspot.com, [heute nur noch zugänglich für "geladene Gäste"] werde ich endlich fündig. Unter dem Titel "Germans schmermans" ereifert, am 22. November 2005, er/sie sich sehr über Geschäftsbeziehungen von Israelis mit Deutschen:

"Ich stimme vollständig überein mit der Ansicht von Begin, den KZ-Überlebenden und der Mehrheit in Israel, den Juden und der Knesset (David Ben Gurion erlegte Koalitionsdisziplin auf) 1952. Wir Juden haben uns selbst und unsere betrogenen, beraubten und ermordeten Leute entehrt, als wir irgendein anderes Geschäft mit ihnen machten, als das Geschäft der Vergeltung. Wenn Ihr Zugang zu den Knesset-Protokollen habt (in Israel dürfte es nicht schwierig sein, an sie heranzukommen), lest noch einmal die Rede von Chaim Boger (Bograshov), die Reparationen betreffend. Was er damals sagte, trifft heute zwar nicht mehr insgesamt zu, aber die alleinige Tatsache, daß seinerzeit nur ein einziger Kamerad bereit war, die schlimmsten Mörder seines Volkes auf die Art, wie er's tat, zu hassen, zeigt uns, wie krank wir Juden sind."

Chaim Boger (Bograshov) ist ein Knessetabgeordneter der Zweiten Knesset, 1951 bis 1955. Er gehört zu den General Zionists, wie zionistische Gruppen in Palästina benannt werden, die zu keiner politischen Partei gehören. 1931 konstituieren sie sich als Partei mit entschieden liberal-kapitalistischer Ausrichtung. Die General Zionists wenden sich, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, gegen den britischen "Uganda-Vorschlag" zur Schaffung einer jüdischen Heimat in Ostafrika. Bei dem vom Kolonialminister  Joseph Chamberlain angebotenen Gebiet handelt es sich tatsächlich um das Guas-Ngishu-Plateau in Kenia. Als Partei treten sie in den Wahlen zu den ersten vier Knessets auf.

In der Rehov Pinsker entdecke ich eine einladende Café-Terrasse, bei Zigi's, Privet Parties. Mit Serge, dem Besitzer, komme ich ins Plaudern, und bald sind wir beim Thema Unterkunft. Er verspricht mir, sich für die letzten Übernachtungen meiner Reise um ein besseres Hotel zu kümmern. Das Versprechen hält er.

Ich gehe zurück nach Jaffa, überquere dabei den Shuk HaCarmel, den üppigen Carmel Markt, wo ich etwas erwerbe, das aussieht wie eine bayerische Brezel aber leider keine ist, kehre noch in einen Pub ein, um ein israelisches Bier vom Faß zu trinken, und dann ist's auch schon Abend.

Erika und Daniel kommen aus Jerusalem und laden mich zum Dinner ein. Daniel unterhält die sehr informative Site Middle-East-Info.org, und wir stehen seit langem in Verbindung. Daniel legt auf seiner Site dar und untermauert mit Tatsachen, daß die fundamentalistischen Muslime den Glaubenskrieg zur Erlangung der Weltherrschaft führen, und daß Terrorismus vor allem politisch motiviertes Töten von Zivilisten ist.

Das wird auch im Buch von Sylvain Besson La Conquête de l´occident. Le projet secret des islamistes. Die Eroberung des Westens, eindrucksvoll belegt. Das Buch gibt es seit seinem Erscheinen, am 7. Oktober 2005, [bis heute] weder in Englisch noch in Deutsch. Das "Projekt", in Arabisch, ist vom 1. Dezember 1982. Seit der Zeit können alle wissen, was die Muslimbrüder wollen; es will aber kaum einer wissen: "Die Islamisierung Europas findet nicht statt", erklären Patrick Haenni und Samir Amghar, zwei linke francophone Soziologen. 

Es geht um "Die schmutzigen Geheimnisse einer Hetzkampagne", behauptet David D. Kirkpatrick, im New Yorker, vom 27. März 2023. Muslimbruder Youssef Nada "wurde zu einem wichtigen Spender und internationalen Gesandten der Bruderschaft. Er bezeichnete sich selbst gern als Außenminister der Bewegung." Als völlig harmloser Geschäftsmann, wurde er demnach ein Opfer von Hosni Mubarak.

Das "Projekt" der Muslimbruderschaft, vom 1. Dezember 1982
Artikel vom 21. März 2008, mit Ergänzungen. Links aktualisiert. 9. Mai 2024

Davon ist aber zum Glück einmal nicht die Rede, Erika und Daniel fahren mit mir zum Namal Tel Aviv, dem Hafen im Norden Tel Avivs, am Ende der Rehov HaYarkon. Dieser 1936 angelegte Hafen, in dem heute keine Schiffe mehr ankern, ist der erste jüdische Hafen in Palästina. Jetzt ist dort Tag und Nacht ein reges Treiben, Geschäfte, Galerien, Clubs und jede Menge Cafés und Restaurants. Ich werde später noch einmal darauf zurückkommen. In einem von diesen essen wir gepflegt von den wunderbaren Vorspeisen und dann einen sehr frischen lecker zubereiteten Fisch. Dazu trinken wir israelisches Bier. Mehr weiß ich, ehrlich gesagt, nicht von den Speisen zu berichten, es ist alles so aufregend, und die Unterhaltung währt bis gegen Mitternacht. Ich schleiche mich mit einem Nachtschlüssel über den Balkon ins Hospiz, das um 23 Uhr seine Tore verrammelt.

Demnächst mehr. Gute Nacht, nighty night und leila tov einstweilen!

25. November 2007 - Verbesserungen und Ergänzungen, 24. April 2025

Bisher erschienen:

Israel einer Anfängerin: Episodio de la Historia. 17. November 2007
Israel einer Anfängerin [2]: Von Barcelona nach Tel Aviv, 20. November 2007
Israel einer Anfängerin [3]: Tel Aviv-Yafo, 24. November 2007
Israel einer Anfängerin [4]: Tel Aviv, 25. November 2007
Israel einer Anfängerin [5]: Neve Tsedek - Rehovot. 26. November 2007
Israel einer Anfängerin [6]: Kfar Saba. 3. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [7]: Maalot-Tarshiha. 7.Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [8]: Maalot-Tarshiha in Perpignan. 9. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [9]: Shlomo Bohbot, Maalot und Tarshiha. 13. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [10]: Rückkehr nach Kfar Saba. 15. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [11]: Auf dem Weg nach Jerusalem. 18. Dezember 2007/16. Januar 2008
Israel einer Anfängerin [12]: Dieses Jahr in Jerusalem! 20. Dezember 2007