4. Mai 2025

Israel einer Anfängerin [8]: Maalot-Tarshiha in Perpignan

Auch die Fortsetzung des Berichtes über Maalot-Tarshiha beginnt in der Partnerstadt Perpignan - und dort endet der Bericht heute.


Der Bürgermeister Shlomo Bohbot und seine Delegation folgen am Freitag einem offiziellen Programm ihres Amtskollegen Jean-Paul Alduy; Einzelheiten sind mir nicht bekannt. Zur Delegation gehören zwei Repräsentanten arabischer Kommunen aus der Umgebung von Maalot-Tarshiha und ihre Ehefrauen. Ich lerne sie anläßlich eines Essens mit Freunden der Delegation am Samstagmittag kennen.

Sure 5:56 (51.) O ihr, die ihr glaubt, nehmt nicht die Juden und Christen zu Freunden; einander nehmen sie zu Freunden, und wer von euch sie zu Freunden nimmt, siehe, der ist von ihnen. Siehe, Allah leitet nicht ungerechte Leute. 

Die arabische Beteiligung an der mittäglichen Veranstaltung beginnt damit, daß sich die beiden Paare, ohne zu zögern, an den Rand der Tafel begeben, und so sitzen vier Araber und elf andere, Juden und Gojim, getrennt. Das Verbindungsglied auf der einen Seite des Tisches bildet Shlomo Bohbot, der sich neben seinen Kollegen setzt, auf der anderen Seite setzt sich neben den anderen Araber Simon Robert Melloul, ein Vertreter der jüdischen Gemeinde Perpignans. Die beiden arabischen Frauen, am äußersten Rand der Tafel, sind vollständig getrennt von der Gruppe; sie unterhalten sich miteinander und mit ihren Ehemännern. Die Bedienung ist schleppend, und das beunruhigt vor allem die Araber; denn sie haben einen dichten Terminkalender. Es geht mit dem Zug nach Paris: Ma’assalama! Fi aman allah!

Der Rest der Gruppe hat es ebenfalls eilig; denn im Theater der Stadt soll um 15 Uhr eine Konferenz zum Thema Friedensmöglichkeiten zwischen Juden und Arabern im Nahen Osten stattfinden. Mit knapp einstündiger Verspätung geht's los. Auf dem Podium sitzen außer dem Bürgermeister von Maalot-Tarshiha
Die Araber streben derweil den Freuden des Pariser Lebens entgegen.

Entsprechend ist der Verlauf der Konferenz. Beklagt wird, daß trotz der Nähe Maalot-Tarshihas zur libanesischen Stadt Sour, bekannt auch als Tyr und ebenfalls Partnerstadt von Perpignan - bis nach Tyr sind es nur 25 Kilometer, bei gutem Wetter kann man bis weit in den Libanon schauen! - keine Verbindung besteht. Wen wundert's? Nicht einmal die Araber der israelischen Delegation zeigen den Bürgern Perpignans ihr Einvernehmen mit dem Bürgermeister von Maalot-Tarshiha, sondern sie verstehen sich anscheinend als Touristen in Frankreich. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Northern reality, by Judy Lash Balin, Jerusalem Diaries Website, August 10, 2006

Shlomo Bohbot, der einzige Bürgermeister Israels, der zwei Gemeinden verwaltet, eine jüdische und eine arabische, berichtet von konkreten Aktivitäten seiner auch von Shimon Peres: "Ich will Frieden wie der in Maalot-Tarshiha!", als vorbildlich bezeichneten jüdisch-arabischen Gemeinde, und davon, daß es mit den Arabern in Israel nicht solche Probleme gebe wie mit denen im Westjordanland und in Gaza. Über die Lage während des Libanonkrieges habe ich im Artikel Maalot-Tarshiha im Norden Israels berichtet. [nicht mehr online] Die Bombardierungen der Hezbollah treffen Juden und Araber. Drei arabische Israelis kommen dabei am 3. August 2006 um. Seit dem 12. Juli sind 59 Israelis durch Hisbollah-Angriffe getötet worden. Newsletter der Botschaft des Staates Israel, 4. August 2006.

Nach dem Libanonkrieg gibt es beispielsweise diese Aktivität zur "Praktischen Kunst":

Reste von Katjuschas werden zu einer Skulptur in Maalot. 
Newsletter der Botschaft des Staates Israel, 5. Oktober 2006

Aus den Überresten der Katjuschas, die im Gebiet von Maalot-Tarshiha und im westlichen Galil einschlugen, wurde in diesen Tagen im See Monfort in Maalot eine Skulptur geschaffen. Das Kunstwerk entstand in Vorbereitung auf das 16. Skulpturen-Symposion „Even Ba’galil“, das an den Sukkot-Feiertagen am See Monfort stattfindet. Die Stadtverwaltung von Maalot-Tarshiha hatte die Bevölkerung aufgerufen, die Überreste der Katjuschas zu bringen und an dem Bau der Skulptur teilzunehmen, die „Baum des Friedens“ heißen soll. (Haaretz.com, 4.10.06)

Symposium "Practical Art". Environment Sculptures in the use of Public

Solcher Humbug stirbt nicht etwa aus, sondern er wird weltweit perfektioniert:

Public Sculptures as an Informal Educational Tool Towards Local Society
Conference: Proceedings of the Third International Conference of  Arts, Language and Culture 
(ICALC 2018). By Dr. Rosli Zakaria, Research Gate, January 2019

Auch in Kuala Lumpur herrscht Angst vor der Leere: "Eine Studie wurde mit 50 öffentlichen Skulpturen im gesamten Stadtzentrum von Kuala Lumpur durchgeführt. ... Bemerkenswerterweise nimmt das Bewußtsein, daß leere öffentliche Räume mit öffentlichen Skulpturen gefüllt werden sollten, rasant zu."

Die Podiumsteilnehmer in Perpignan tragen nichts als Illusionen über die Möglichkeiten der arabisch-israelischen Aussöhnung bei. Nicolas Lebourg demonstriert sein profundes Wissen über Johann Gottfried Herders Volksgemeinschaft "sol, sang, langue", Blut & Boden und Sprache, über den Autor der Gartenlaube und Erfinder des Begriffes Antisemitismus Wilhelm Marr bis zur Anzahl der Staaten der Welt 1925: 60 und in der Gegenwart: 194. 

Johann Gottfried Herder hält bekanntlich Voltaire für blind und das Frankreich der Aufklärung für arrogant. Alain Finkielkraut schreibt es schon im ersten Beitrag seines Buches, von 1987, La défaite de la pensée, auf der Seite 19: "Und, nach Herder spiegelt die Blindheit Voltaires die Arroganz seiner Nation wieder."

Der deutsche Schriftsteller und Dichter steht für all das, was in Deutschland anschließend aus diesem Volksgeist, dem gesunden Volksempfinden, der "kollektiven Seele" wird: Biedermeier, Gartenlaube, Spießertum, Nationalismus, Antisemitismus, Nationalsozialismus, zwei Weltkriege, nahezu vollendete Vernichtung der europäischen Juden. Dem Publikum wäre zu vermitteln gewesen, inwiefern die Politideologie Islam mit ihrer Lehre von der Umma, der Gemeinschaft der Muslime, ähnliche Ergebnisse zeitigt. Die Gründung Israels wäre auf dem Hintergrund der Verdreifachung der Staaten zu bewerten, vielleicht hätte man zur Einordnung der Gründung Israels in geschichtliche Zusammenhänge auch darüber berichten können, daß anläßlich der Abtrennung Ost- und Westpakistans von Indien mehr als elf Millionen Menschen, fünf Millionen Hindus und sechs Millionen Muslime, umgesiedelt worden und eine Million bei den begleitenden Gewalttätigkeiten zu Tode gekommen sind.

Die Rolle des Islams in der Region aber wird von niemandem angesprochen. Die Suren aus dem unverrückbar und für alle Zeiten von Allah dem Mohammed offenbarten Koran zur Regelung des Zusammenlebens von Muslimen und Juden sind kein Thema. Wären sie es, wäre rasch klar, daß diejenigen Muslime, die ohne Not freundschaftlich mit Juden zusammenarbeiten, als Verräter des Islams betrachtet werden; denn die reine Lehre lautet so, wie man es im einst wie heute gültigen Hamas Covenant, vom 18. August 1988 lesen kann:

The time will not come until Muslims will fight the Jews (and kill them); until the Jews hide behind rocks and trees, which will cry: 0 Muslim! there is a Jew hiding behind me, come on and kill him! This will not apply to the Gharqad, which is a Jewish tree (cited by Bukhari and Muslim).

Die Sure 9 At-Taubah, die Buße, Verse 29-33, weiß über Juden und Christen:

"29. Kämpfet wider jene von denen, welchen die Schrift gegeben ward, die nicht glauben an Allah und an den Jüngsten Tag und nicht verwehren, was Allah und sein Gesandter verwehrt haben, und nicht bekennen das Bekenntnis der Wahrheit, bis sie den Tribut aus der Hand gedemütigt entrichten. 30. Und es sprechen die Juden: »Esra ist Allahs Sohn.« Und es sprechen die Nazarener: »Der Messias ist Allahs Sohn.« Solches ist das Wort ihres Mundes. Sie führen ähnliche Reden wie die Ungläubigen von zuvor. Allah, schlag sie tot! Wie sind sie verstandeslos! 31. Sie nehmen ihre Rabbiner, und Mönche neben Allah und den Messias, den Sohn der Maria, zu Herren an, wo ihnen doch allein geboten ward, einem einzigen Gott zu dienen, außer dem es keinen Gott gibt. Preis ihm, (er steht hoch) über dem, was sie neben ihn setzen. 32. Verlöschen wollen sie Allahs Licht mit ihrem Munde; aber Allah will allein sein Licht vollenden, auch wenn es den Ungläubigen zuwider ist. 33. Er ist's, der entsandt hat seinen Gesandten mit der Leitung und der Religion der Wahrheit, um sie sichtbar zu machen über jede andre Religion, auch wenn es den Ungläubigen zuwider ist."

Shlomo Bohbot, Mitglied der 13. Knesset, von 1992-1996, für die Arbeiterpartei Avoda, ist in Marokko geboren und als 12-jähriger Junge nach Israel gekommen. Er spricht neben Französisch fließend Arabisch, und er meint, alle Einwohner Israels sollten von Kindesbeinen an Hebräisch und Arabisch lernen, um so die Verständigung zu verbessern. Und wenn sich die Araber Israels dann noch mehr als Minderheit vorkämen, wenn alle Juden den arabischen Part auch noch übernähmen?

Gegen Ende des offiziellen Teiles der Podiumsdiskussion trifft ein Imam aus Perpignan ein. Dann ist Pause, und ich unterhalte mich mit alteingesessenen Juden Perpignans, die mit mir hadern, als ich ihnen mitteile, Jitzchak Rabin, Moshe Dayan, Yigal Allon, Meir Amit und andere Größen des Sechstagekrieges wären in Palästina geboren. Was? Nein! Entsprechend können sie auch meiner Einschätzung nichts abgewinnen, daß im Sechstagekrieg die nötigen Entscheidungen von denjenigen getroffen werden, die von klein auf mit den palästinensischen Arabern zu tun haben, und die das Verhalten und die Reaktionen der Araber instinktiv erfassen können. Levi Eschkol und Abba Eban kommentieren das dann, der eine mit jiddischen Sprüchen und der andere in neun Sprachen.

Nach der Pause soll ein kleines Orchester aus Südkatalonien auftreten und musizieren. Dazu steht mir der Sinn nicht mehr, ich verabschiede mich vom Ehepaar Shlomo und Keren Bohbot und schleich mich nach Hause ...

9. Dezember 2007 - Verbesserungen und Ergänzungen, 4. Mai 2025

Bisher erschienen:


Israel einer Anfängerin: Episodio de la Historia. 17. November 2007
Israel einer Anfängerin [2]: Von Barcelona nach Tel Aviv, 20. November 2007
Israel einer Anfängerin [3]: Tel Aviv-Yafo, 24. November 2007
Israel einer Anfängerin [4]: Tel Aviv, 25. November 2007
Israel einer Anfängerin [5]: Neve Tsedek - Rehovot. 26. November 2007
Israel einer Anfängerin [6]: Kfar Saba. 3. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [7]: Maalot-Tarshiha. 7.Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [8]: Maalot-Tarshiha in Perpignan. 9. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [9]: Shlomo Bohbot, Maalot und Tarshiha. 13. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [10]: Rückkehr nach Kfar Saba. 15. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [11]: Auf dem Weg nach Jerusalem. 18. Dezember 2007/16. Januar 2008
Israel einer Anfängerin [12]: Dieses Jahr in Jerusalem! 20. Dezember 2007