Ich sitze wie immer in meinem Pferch, vorm Ferni. Heute langweile ich mich einmal mehr, weil tagsüber pas de signal, kein Empfang. Das geht nun schon eine Weile so. Plötzlich, irgendwann am Spätnachmittag, geht's dann comme si de rien n'était. Meine Herrin tritt ein, tut so, als wenn sie mich nicht sähe, und schaut sinnierend auf den Samsung. Die "Drei Sterne" sind ihr wichtiger als ich.
Als ich mit den Klauen scharre, sagt sie: "Schaf, weißt du, daß ich schon in deren Firma war, bei Samsung Electronics? Da war Staatspräsident Park Chun Hee eben erschossen, ich wohnte im Lotte-Hotel, im 23. Stock, und vor dessen Eingang, ohne daß ich das Geringste mitkriegte, beschossen sich Anhänger und Gegner des Präsidenten." "Nein," blöke ich beeindruckt, "und du lebst noch."
Plötzlich lacht sie laut auf. "Herrin, ist was lustig am Samsung?" - "Nicht am Samsung, sondern an dem ganzen Morgen!" Sie kriegt sich kaum ein. - "Was ist denn passiert?"
"Schaf, du ahnst es nicht! Wie jeden 1. Mai in Frankreich gibt es keine Zeitungen, und so gehe ich nicht erst zum Bahnhof, um für meine Brasserie de la gare, in der ich jeden Morgen frühstücke, den Figaro, Aujourd'hui und die Dorfzeitung L'Indépendant zu kaufen, sondern direkt zum Frühstücken."
"Es gibt leider keine Croissants," sagt Gastwirtin Ida, "unser Lieferant hat geschlossen."
"Artikel 3133-4 des Arbeitsgesetzbuches: 'Der 1. Mai ist ein Feiertag und ein arbeitsfreier Tag'.“
"Hält sich ein Arbeitgeber nicht an diese Vorschriften, muß er mit einer Geldbuße von 750 Euro pro betroffenem Arbeitnehmer rechnen, bei minderjährigen Arbeitnehmern beträgt die Strafe 1.500 Euro."
"Es gibt aber zahlreiche Ausnahmen, beispielsweise für Krankenhäuser, Transport, Cafés, Hotels und Gaststätten sowie für lebenswichtige Versorgung. Brot und Croissants im Café gehören nicht dazu," blöke ich empört. "Auch Blumenläden nicht," ergänzt meine Herrin. Am 1. Mai werden auf Straßen und Plätzen sowie auf den Märkten, wie es Sitte ist, Maiglöckchen angeboten. Den Blumenhändlern ist das bei Strafe verboten. Schaf, du bist in Frankreich!"
"Und was hast du gemacht," blöke ich, hast du gefrühstückt?" Meine Herrin verdreht die Augen: "Ich sage zu Ida, daß ich es im Bahnhof versuche, am Zeitungsstand gibt's gewöhnlich auch Backwaren und Kaffee für die Reisenden; vielleicht ist deren Versorgung ja notwendig. Als ich ankomme, werde ich empfangen mit den Worten: 'Du weißt doch, daß es keine Zeitungen gibt!' - Ich will ja auch keine Zeitungen, sondern ich möchte ein Croissant kaufen.' Die beiden Mädelz kriegen sich nicht ein vor Lachen. Ich erstehe ein eben dem Backofen entronnenes Teil und ziehe ab, in die Brasserie. 'Ein Glück,' sagt Ida und bereitet den Espresso dazu."
"Herrin, das ist doch prima," blöke ich beruhigt. "Ja, aber das ist noch nicht alles! Gerade habe ich mein Croissant verspeist, kommt der Enkel der Gastwirte, auf den Armen ein Karton mit Croissants und Pains au chocolat und einer mit Baguettes. Da ich kein Brot zu Hause habe, weil ich fest damit rechne, daß Brot zu den wichtigen Nahrungsmitteln zum Überleben gehört und ich es im Supermarkt, im Bahnhofstunnel Passage de Salvador Dalí, kaufen kann, bin ich erfreut, daß Ida mir eines der Brote verkauft; denn Gastwirt Thierry erklärt: Der Supermarkt hat geschlossen."
"Und was ist mit den Maiglöckchen, die du neben den Samsung gestellt hast? Soll ich die fressen?" blöke ich ratlos. "Untersteh dich! Die habe ich aufm Markt erstanden, muguets oui, pain non!"
deutscher Heidschnuckenbock