Am Freitag hat Varda ihre Stimme verloren. Wo und warum, weiß sie nicht, sonst könnte sie ja eben dort vorbeischauen und die Stimme abholen. Trotzdem zaubert sie ein herrliches Frühstück. Dann bringt Uli mich zum Zentralen Busbahnhof, ich löse für 17,70 Schekel einen Fahrschein nach Tel Aviv, und los geht's. Danke, Varda und Uli!
Was hast du bezahlt? fragt Hanna später. Die Frau am Schalter hat sich bestimmt vertan. Mir ist's recht. Mit dem Taxi fahre ich zu meinem neuen Hotel. Der Taxifahrer hört gerade tolle Musik, sie erinnert mich ein wenig an meinen türkischen Lieblingssänger Zeki Müren, "Zeki abla": Was ist es? Wer singt? Es ist halom matoq, Süßer Traum, von Moshik Afia. Die deutsche Übersetzung suche ich aus meinem Wörterbuch heraus, was gar nicht so einfach ist für eine Anfängerin, die entweder die Druckbuchstaben, oder die Kursivschrift, oder einige Druckbuchstaben und einige Buchstaben der Kursivschrift entziffern kann. Aber was tut frau nicht für einen süßen Traum?
Verlag Könemann 1998, Joseph Trumpeldor, S. 70
Sea Side Motel
Das Hotel hat mir Zigi empfohlen, Serge, das Sea Side Motel, Rehov Trumpeldor Nr. 20. Die Straße ist benannt nach Joseph Trumpeldor, gebürtig in Rußland. 1912 siedelt er nach Palästina über, wird des Landes verwiesen, weil er nicht die osmanische Staatsbürgerschaft annehmen will, kämpft auf der Seite der Alliierten und gründet 1915 die zionistische Maultierbrigade des britischen Heeres. Die meisten Mitkämpfer in der Brigade sind Juden, die von den Osmanen des Landes verwiesen wurden.
Das Motel ist ein preiswertes, ruhiges Etablissement, recht sauber, aber mehr auch nicht. Da ich beabsichtige, die meiste Zeit des Tages unterwegs zu sein und nicht in dem Zimmer zu leben, reicht es. Von der im Link präsentierten Badewanne ist in meinem Zimmer nichts zu sehen. Dort gibt's 'ne Dusche und ein besenähnliches Gerät zum Säubern des Bodens.
Vom Motel führt eine kurze Straße direkt auf die Bograshov. Wer Chaim Boger (Bograshov) ist, liest man in Israel einer Anfängerin [4]: Tel Aviv. Die Frau an der Rezeption meint, auf der Bograshov gebe es eine nette Sushi-Bar. Also, nichts wie hin!
Le'ela, Bait BaNamal. Comme il Faut
Die Besitzer sind Kanadier aus Toronto. Als ich sage, ich hätte Freunde in Montréal, findet sich gleich ein Gast, der daher stammt, aber schon länger in Tel Aviv wohnt. Er war gerade Einkaufen am Namal Tel Aviv, dem Hafen im Norden von Tel Aviv, am Ende der Rehov HaYarkon. Der Laden hieße Le'ela, und dort bekäme man die schrägsten Geschenkartikel überhaupt. Den Namen merke ich mir; denn zum Hafen will ich auf jeden Fall noch einmal, und Mitbringsel benötige ich ebenfalls. Als Erika und Daniel, vom Middle East Info, mit mir am Hafen essen, sehe ich nichts weiter davon.
Was mir auffällt, nicht nur in der Sushi-Bar, sondern in allen Restaurants in Israel wird man mindestens einmal von der Bedienung freundlichst gefragt, ob einem das Essen schmecke. Das machen sie mit allen Gästen, ob Israelis oder Ausländer, und jeden Gast fragen sie so, als wenn er der einzige wäre, als wenn sich alles um ihn drehte. Das sticht schon sehr ab von meinen Erfahrungen in Frankreich, wo jeder Wirt davon ausgeht, daß sein Essen sowieso schmeckt. Nur in erstklassigen Restaurants kommt der Koch bzw. der Restaurantbesitzer gen Schluß des Essens an die Tische und fragt, wie's war. Es gibt auch Restaurants, vor allem in Paris, da fragt der Koch nur die Leute, die er kennt, seine Stammgäste, und lacht und scherzt mit ihnen. Das ist dann sehr erhebend, wenn man dazu gehört, gewissermaßen Freund des Hauses ist. Man darf sich etwas darauf einbilden. Die anderen sind eh nicht wichtig.
Fröhlich verlasse ich die Sushi-Bar und streife durch die Stadt. Es wird in Israel früh dunkel, warum sie ihre Uhr so einstellen, weiß ich nicht, Hanna meint, der "Frommen" wegen. Um 17 Uhr ist's nicht nur dunkel, sondern es fängt an zu regnen, zu schütten. Das ist mein erster Regen nach zwanzig Tagen Aufenthalt in Israel. Es regnet ähnlich heftig wie in Südostasien. Ich eile ins nächstbeste Restaurant und esse etwas, obgleich ich noch gar keinen Hunger habe. Der Name des Restaurants ist nicht erwähnenswert, nicht einmal bei Regen.
Als der Regen aufhört, ziehe ich weiter, zur Dizengoff, wo ich gegen 18:30 Uhr an der Ecke Bar Kokhba ankomme. Die Straße ist benannt nach Shimon Bar-Kokhba, dem Anführer der Revolte gegen die Römer, zwischen 132 und 135.
Der Dunkelheit wegen scheint es schon später zu sein, gestützt wird dieser Eindruck von den Klängen heißer Jazz-Musik, die aus dem Café-Restaurant Amalia dringen. Dort schaffen sich vital einige betagte Herren, es ist ähnlich wie im Peace Hotel von Shanghai. Ich komme mit einem Gast ins Gespräch, der nach 60 Jahren in Israel noch immer sehr gut Deutsch spricht. Er erzählt mir bei einem Glas Rotwein vom Mount Hermon, daß zwei der Jazzmusiker in ihrer Jugend in Israel berühmt gewesen seien.
Als ich ihm sage, wo ich wohne, meint er: Ach, beim alten Friedhof Trumpeldor. Da liegt auch Chaim Nachman Bialik; er lebte von 1873 bis 1934. Er ist Israels Nationaldichter.
Ich habe von ihm noch nichts gelesen. Es ist heftig, was ich als erstes im Internet finde, ein Gedicht über die Pogrome von Kischinew, Be'Ir HaHaregah. "In der Stadt des Schlachtens":
H.N. Bialik, "The City of Slaughter" in Complete Poetic Works of Hayyim Nahman Bialik,
Israel Efros, ed. (New York, 1948): 129-43 (Vol. I).
ARISE and go now to the city of slaughter;
Into its courtyard wind thy way;
There with thine own hand touch, and with the eyes of thine head,
Behold on tree, on stone, on fence, on mural clay,
The spattered blood and dried brains of the dead.
Proceed thence to the ruins, the split walls reach,
Where wider grows the hollow, and greater grows the breach;
Pass over the shattered hearth, attain the broken wall
Whose burnt and barren brick, whose charred stones reveal
The open mouths of such wounds, that no mending
Shall ever mend, nor healing ever heal. ...
Mordecai Naor schreibt, in Eretz Israel, Seite 22, über das Pogrom in Kischinew, vom 19. April 1903: "Dutzende von Juden werden erschlagen, Hunderte verletzt, und an jüdischem Besitz entsteht großer Schaden. Daraufhin verfaßt Chaim Nachman Bialik sein bekanntes 'In der Stadt des Tötens'. Das Pogrom löst in der jüdischen Welt einen Schock aus und verstärkt die Auswanderung von Juden aus Rußland. Ein Teil von ihnen gelangt nach Palästina."
"Gott rief das Töten und den Frühling gemeinsam auf. Der Mörder tötete, die Knospen brachen auf, und die Sonne schien. Alles wird sein wie immer ..."
Das reicht für den ersten halben Tag in Tel Aviv.
12. Januar 2008 - Verbesserungen und Ergänzungen, 12. Juni 2025
Bisher erschienen:
Israel einer Anfängerin: Episodio de la Historia. 17. November 2007Israel einer Anfängerin [2]: Von Barcelona nach Tel Aviv, 20. November 2007
Israel einer Anfängerin [3]: Tel Aviv-Yafo, 24. November 2007
Israel einer Anfängerin [4]: Tel Aviv, 25. November 2007
Israel einer Anfängerin [5]: Neve Tsedek - Rehovot. 26. November 2007
Israel einer Anfängerin [6]: Kfar Saba. 3. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [7]: Maalot-Tarshiha. 7.Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [8]: Maalot-Tarshiha in Perpignan. 9. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [9]: Shlomo Bohbot, Maalot und Tarshiha. 13. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [10]: Rückkehr nach Kfar Saba. 15. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [11]: Auf dem Weg nach Jerusalem. 18. Dezember 2007/16. Januar 2008
Israel einer Anfängerin [12]: Dieses Jahr in Jerusalem! 20. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [13]: Ein Tag in Jerusalem. 26. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [14]: Nächstes Jahr in Jerusalem! 28. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [15]: Wieder in Tel Aviv. 12. Januar 2008