24. Oktober 2015

Flüchtlingskrise? Welche Flüchtlingskrise?


Achtung! Dies ist keine Satire, auch kein Bühnenschauspiel, sondern ein Bericht aus den Ostpyrenäen, einem der ärmsten Departements Frankreichs. Dunkeldeutsche sollten sich ein Beispiel nehmen an der Selbstlosigkeit zweier Ortschaften!

Update. Hurra! Nach Luxemburg werden eben 30 Flüchtlinge überstellt!

Onze réfugiés syriens et irakiens dans les P.-O., von Frédérique Michalak, ist der Titel des Artikels, um den es hier gehen soll. Elf syrische und irakische anerkannte Flüchtlinge in den Ostpyrenäen. Der Artikel ist nicht online, die Lokalzeitung L'Indépendant stellt aber heute zum Beweis der Hilfe, die seitens der Türkei den Flüchtlingen zuteil wird, ein Video über die "wunderbare Rettung eines von einem türkischen Fischer wiederbelebten syrischen Babies" auf ihre Startseite.

Gibt man bei Google "onze réfugiés syriens et irakiens" ein, so erhält man nicht die Information, um die es heute geht, sondern da retten, am Morgen des 18. Oktober 2015, es ist keine Woche her, israelische Segler der Yacht Poseidon, aus Ashdod, vor der Küste Griechenlands elf syrische und irakische Flüchtlinge, darunter vier lebende Kinder, vorm Ertrinken. Dazu gibt es bei Google ausschließlich von francophonen israelischen Medien fünf Beiträge.

Solche Fälle sind der Presse Frankreichs keine Nachricht wert.


Die elf Flüchtlinge erreichen ihr Bestimmungsziel, die Kommunen Pézilla-la-Rivière, 3330 Einwohner, und Argelès-sur-Mer, 9 901 Einwohner, am 16. Oktober 2015, dem Tag der Eröffnung der Gedenkstätte von Rivesaltes, des ehemaligen Internierungslagers, durch den Premierminister Manuel Valls. Die Sozialisten Frankreichs sind Meister der Inszenierung:

S'habiller d'un rien, C'est pa-pa, c'est parisien...

In der Hölle von Rivesaltes, titelt die FAZ. Seit 1939 internierte dort die französische Regierung nacheinander oder gleichzeitig Spanier, Juden, Zigeuner, Harkis, das sind algerische Soldaten, die auf Seiten Frankreichs kämpften, französische Kollaborateure, deutsche Soldaten. Sicher habe ich mindesten zwei in Frankreich unerwünschte Gruppen vergessen. Im Indépendant liest man täglich von übergangenen oder nicht eingeladenen Personen, ein Jude, ein Zigeuner, ein deutscher Soldat sowie der Präsident des Großraums Perpignan, zu dem Rivesaltes gehört; er ist in der UDI, der falschen Partei, und um das Mahnmalprojekt haben sich die Bürgermeister von Perpignan eh nie geschert.

Alle Redner sind sich einig, daß die Flüchtlinge, die heute aus dem Kriegsgebiet fliehen, kein solches Schicksal erleiden sollen wie ihre Vorgänger im Lager von Rivesaltes. Die Bürgermeister Pierre Aylagas, Parti Socialiste, er ist gleichzeitig Abgeordneter der Nationalversammlung, und Jean-Paul Billés, Liste d'Union-Communale Pezilla 2020 undefinierbarer politischer Zuordnung zur rechtslinken Mitte, handeln nach dem Motto der Bundeskanzlerin Angela Merkel, wie sie es zuletzt noch einmal auf dem 23. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall, am 21. Oktober 2015, unter außergewöhnlichem Applaus bekräftigt hat, daß es sich nicht um Massen, gar Invasoren handele, sondern um einzelne, die in unsere Gesellschaft kommen. Ihre Worte werden bis in den letzten Winkel Frankreichs gehört und verstanden: Lernen, mit dem Zustrom der Flüchtlinge umzugehen!

Der Bürgermeister von Argelès erinnert daran, in welchem bemitleidenswerten Zustand 1939 die Flüchtlinge des spanischen Bürgerkrieges empfangen wurden, von den übrigen Opfern erwähnt er keines. Für seine Kommune sei die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge heuer selbstverständlich. Welche Ausmaße an Kollaboration mit den deutschen Nazis und ihren Verbrechen zu der Zeit herrschen, liest man in meinem Artikel und den darin angegebenen Links über den Vorhof der Vernichtung, in dem die Schweizer Krankenschwester Friedel Bohny-Reiter 1941 bis 1942 tätig war.

Der Zustrom besteht für Pézilla-la- Rivière aus einem Vater, 45 Jahre alt, von Beruf Geologe, und seinem Sohn, 13 Jahre alt, aus einem Vorort von Damaskus. Die Hälfte dieser Familie sei in Syrien geblieben, und so fürchtet der Geologe Repressalien, des Regimes; von Bashar al-Assad, ergänzt die Redaktion des L'Indépendant. Es heißt nichts anderes, als daß die Mutter des Jungen und ein weiteres Kind, wahrscheinlich ein Mädchen, in Syrien geblieben sind. "Diese Leute sind sehr mutig," meint dazu der Bürgermeister von den beiden, die ihre halbe Familie im Stich gelassen haben.

Bleiben noch neun Flüchtlinge aus Bagdad. Von deren Familie wird nicht vollständig berichtet. Es handele sich um ein Ehepaar mit fünf Kindern, der Vater sei "in seinem Land ein recht bekannter" Schauspieler; das ergibt nach Adam Riese sieben Personen.

Wer sind die beiden fehlenden Flüchtlinge? Die Großeltern? Die Zweitfrau? Tanten und/oder Onkel?

Die irakische Familie wird im Zentrum von Argelès untergebracht, damit die Kinder es nicht so weit zur Schule haben. Nach den Herbstferien, am 2.November, geht's los damit. Die Eltern anderer Kinder, die des Morgens zu Fuß oder mit dem Schulbus zur Schule kommen, wird's freuen: Welch eine Fürsorge!

Der Staat verteilt Almosen:

Zum Schluß kommt Frédérique Michalak zum finanziellen Teil der auch in anderen Landesteilen zu lobenden Großzügigkeit: Die beiden Kommunen erhalten nicht nur die Unterstützung des örtlichen Roten Kreuzes, sondern auch des CCAS. Worum es sich dabei handelt, scheinen die Leser zu wissen. Ich google und finde das durch öffentliche Zuwendungen alimentierte Centre communal d'action sociale, das in den Orten Frankreichs eingerichtete Kommunale Zentrum für soziale Maßnahmen. Präsident der jeweiligen Einrichtung ist der Bürgermeister. Sein Verwaltungsrat besteht aus Abgeordneten der Kommune und aus vom Bürgermeister bestimmten Vertretern von auf sozialem Gebiet tätigen Vereinigungen von Familien, Behinderten, Rentnern und alten Menschen.

Das nationale CCAS verwaltet einen Haushalt von 2,6 Milliarden Euro, es hat 120 000 Mitarbeiter in jedem noch so kleinen Dorf. Hier werden u.a. Anträge von Bedürftigen auf Unterstützung der Lebenshaltung und der medizinischen Versorgung bearbeitet. Es leuchtet unmittelbar ein, welche Macht den Bürgermeistern aus dieser Funktion zufällt.

Auch in Argelès-sur-mer und in Pézilla-la-Rivière arbeiten Zweigstellen des CCAS. Deren Bürgermeister betonen ausdrücklich, daß die Aufnahme der elf Flüchtlinge nicht zu Lasten der eigenen bedürftigen Bevölkerung geregelt würde.

Deutsche Nörgler mögen sich ein Beispiel an den beiden Kommunen Frankreichs nehmen!

Update. Das arme Ländchen Luxemburg beteiligt sich!

Griechenland hat mit der Umsiedlung von Flüchtlingen in andere EU-Länder begonnen. 30 Flüchtlinge - darunter sechs Familien aus Syrien und dem Irak - wurden nun nach Luxemburg geflogen. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn verabschiedeten sie am Athener Flughafen. Es ist die erste Umverteilung von Menschen mit Aussicht auf Asyl auf andere Länder der Europäischen Union, wie sie die EU-Innenminister im September beschlossen hatten.

4. November 2015, 08:05 Uhr: Griechenland startet Umverteilung von Flüchtlingen. N24

Flüchtlingskrise? Welche Flüchtlingskrise? Fortsetzung, 7. November 2015