15. März 2018

Novichok als Newcomer im Kalten Krieg


In meinem Lokalblatt L'Indépendant sind internationale Meldungen von der staatseigenen AFP. Da liest man, am 15. März 2018, daß Theresa May "ankündigt", der russische Außenminister N.N. "droht", und daß das jetzt gegen Sergej Skripal und seine Tochter eingesetzte "militärische Nervengas russischer Herstellung" ist, also nicht entwickelt in Usbekistan in den 70er und 80er Jahren von der Sowjetunion, sondern hergestellt in  Rußland, heute.

Updates, vom 15., 16. und 18. März 2018
Britischer Verteidigungsminister: Rußland sollte "verschwinden und den Mund halten".
Der Regierungssprecher Frankreichs und sein Präsident erzählen jeder etwas anderes.
Theresa Bond als Platzanweiserin im Theater der USA
Eine Liebedienerin dient dem FBI gegen Donald Trump und gegen Rußland.
Boris Johnson steigert von "highly likely" zu "overwhelmingly likely"
Schon am 19. März, zwei Wochen nach dem Anschlag, kommen Vertreter der OPCW nach Salisbury.
Die Botschaft Rußlands im UK wendet sich wegen Ausfall von Scotland Yard an Hercule Poirot.

Espion russe empoissonné : May croise le fer avec Poutine. Par Florentin Collomp,
Le Figaro, 14 et 15 mars 2018

Le Figaro macht auf mit "Theresa May hat Rußland am Mittwoch 'beschuldigt'". Auf den Seiten 8 und 9 "kreuzt Theresa May die Klinge mit Putin", es geht um die "Anprangerung eines gesetzwidrigen Gebrauchs von Gewalt durch den russischen Staat gegen das Vereinigte Königreich", formuliert als Tatsache. 23 der 59 akkreditierten russischen Diplomaten würden ausgewiesen, 29 NATO-Staaten forderten von Rußland Auskunft. Am Mittwoch habe es auf Antrag Großbritanniens eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates gegeben.

Setzt man bei Google theresa may a accusé, mercredi, la russie ein, erhält man auf der ersten Seite die folgenden sechs Überschriften:

  • "Affäre Skripal: Theresa May bestätigt, daß Rußland schuldig ist, und ..." La Tribune
  • "Diplomatische Krise: Theresa May beschuldigt Rußland, ... zu haben ..." LCI
  • "Der ehemalige russische Spion Skripal vergiftet. Theresa May kündigt die ... HuffPost
  • "Spionage: Theresa May hat entschieden, das Rußland ... zu bestrafen ..." Europe 1
  • "Theresa May erklärt Rußland für schuldig in der Affäre Skripal" ar-Reuters und Mediapart

Erst die letzte Überschrift weist auf die Reaktion von Rußland hin. Der Artikel ist nicht zufällig die Übersetzung eines Artikels der Deutschen Welle. Die deutschen Interessen in dieser Affäre sind andere als die der Briten, die sich gebärden, als wären sie inzwischen ausgetreten aus der EU und bereits zum Appendix der USA mutiert:

"Rußland wird auf die Sanktionen von Theresa May erwidern" DW Actualités

Update, vom 15. März 2018

£48 Millionen = 54 336 000 Euro 

"Gavin Williamson wurde gefragt, wie Moskau antworten sollte auf die Ausweisung der Spione [sic] nach dem Salisbury-Angriff": "Offen gesagt, Rußland sollte verschwinden und sollte den Mund halten."

Russia should 'go away and shut up', says UK defence secretary.
By Ewen MacAskill, The Guardian, 15 March 2018

Weder die russische Regierung wurde von der britischen Regierung offiziell kontaktiert, noch die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) eingeschaltet, um den Fall zu klären:  Nothing found for "novichok". Auf entsprechende Vorhaltungen des Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn an Theresa May, vom Vortag, wird er von Abgeordneten seiner eigenen Partei und von den britischen Medien bezichtigt, "Wladimir Putins Puppe" zu sein, "in dessen Tasche".

Fazit: Großbritannien ist noch kaputter als Frankreich und Deutschland.

Update, vom 16. März 2018

Wer einen Eindruck vom Chaos in der EU gewinnen will, der braucht nur die Reaktionen in der Affäre des vergifteten russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seiner Tochter Julia zu verfolgen. Während Emmanuel Macron, für den Rußland "verantwortlich" ist, sich umgehend auf die Seite der britischen Regierung schlägt, erklärt der noch nicht ganz verdorbene und offensichtlich vom Präsidenten nicht informierte Regierungssprecher Benjamin Griveaux: "Man macht keine Politik-Fiktion. Wenn die Elemente sich bestätigen, [erst] dann wird die Zeit der Entscheidungen kommen."

Im Artikel des Florentin Collomp folgt der Bericht über die USA in der UNO über den britischen "unverbrüchlichen Alliierten". Allerdings rückt NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen den Fall zurecht. Zwar erklärt er: "Die NATO ist in der Lage, ihre Mitglieder zu verteidigen," aber die Briten sollten doch "auf verhältnismäßige und maßvolle Art" reagieren. Die Briten möchten also bitte nicht auf dumme Gedanken kommen; denn zu initiieren haben sie gar nichts, sondern auszuführen.

"Dissonanzen auf der Linie Paris-London vor der Bekundung der Einigkeit der Westeuropäer"
Fritures sur la ligne Paris- Londres avant la démonstration d'unité des Occidentaux.
Par Florentin Collomp, Le Figaro, 15/16 mars 2018

Eines nicht fernen Tages werden die Briten wider Erwarten mit ihrer Kampagne gegen Rußland in Europa allein dastehen. So weit reicht die Einheit nicht. Deutlich wird die Abhängigkeit Großbritanniens von den USA, die bestimmen, wo es mit Großbritannien langgeht. Es ist nicht so, daß die Kampagne einer Aufhebung des Brexit wegen losgetreten wurde, sondern zur Demonstration, wohin die Briten gehören, nämlich zu den USA und deren Strategie gegen Rußland.


So ist es nicht erst jetzt, nach der Brexit-Entscheidung, nicht erst im Libyen- und Syrienkrieg, sondern schon immer. Die Briten befinden sich im Schlepptau der USA. Besonders klar ist das zu sehen bei Vorbereitung und Führung des Irakkrieges, ab 2003:

Die Carlyle Group und die Kriege gegen Afghanistan und den Irak. Berlin, 4. Dezember 2001 - ergänzt am 5. Mai 2003, am 16. März 2005 (Max Horkheimer), und aktualisiert, am 7. Juli 2016

Theresa Bond ist nur die Platzanweiserin im Theater der USA. Das Geschäftsmodell der Aneignung und Plünderung der russischen Bodenschätze, wie Willy Wimmer das nennt, ist zuerst ein Projekt der USA, an dem sich die City of London nur im Falle des Gelingens beteiligen darf. Neese würden Frankreich und Deutschland sein, die sind in dem Projekt als Nutznießer nicht vorgesehen, schlagen sich aber dennoch auf die Seite der USA und Großbritanniens: America First!

Theresa Bond: neueste Version von "Britains darkest hour". Von Willy Wimmer,
NachDenkSeiten, 16. März 2018


FBI piqued by Russia sex spy story. By Richard Ehrlich, Bangkok. Asia Times, 16 March 2018

US investigators seek access to Anastasia Vashukevich, a self-confessed escort now jailed in Thailand who claims to have intimate information on Russia's role in America's 2016 election

Hier sieht man einmal mehr, wie die US- und die britische Kampagne gegen Donald Trump und gegen Rußland ineinander greifen: Donald Trump aus dem Amt treiben sowie sich die Reichtümer Rußlands aneignen, heißt es. Jedes Mittel, jedes Verbrechen ist dazu recht.

Boris Johnson and Jacek Czaputowicz at the Battle Of Britain Bunker in Uxbridge, west London

Mit seinem polnischen Amtskollegen besucht Boris Johnson den Bunker, in dem die RAF die Luftschlachten gegen die deutsche Luftwaffe, im Jahr 1940, koordinierte. Er spielt einige der Schlachten lustig lachend nach [siehe Foto]. Zur Belohnung dafür steht Deutschland fest an der Seite Großbritanniens, das ohne jeden Beweis nicht nur Rußland, sondern inzwischen auch Wladimir Putin persönlich des versuchten Mordes an Sergej Skripal und seiner Tochter bezichtigt: "von überwältigender Wahrscheinlichkeit".

'Overwhelmingly likely' Putin ordered spy attack, says Boris Johnson.
By Jessica Elgot and Ewen MacAskill, The Guardian, 16 March 2018

Meine Meinung dazu, wie es anders gewesen sein kann?
Probably, likely, highly likely, overwhelmingly likely done by MI6 itself! 😀

Update, vom 18. März 2018

Sky News berichtet in den 13-Uhr-GMT-Nachrichten, daß auf Antrag der britischen Regierung, am 19. März 2018, zwei Wochen nach dem Anschlag, Vertreter der OPCW nach Salisbury kommen, um die Proben des Nervengiftes zu untersuchen.  Ergebnisse werden nicht eher als nach weiteren zwei Wochen erwartet. Der Art der Berichterstattung kann man entnehmen, daß nur noch darauf gewartet wird, ob es sich um Novichok handelt, und wenn ja, daß das als eine Bestätigung der britischen Anschuldigungen gegen Rußland gewertet wird.

Derweil eskaliert die Sprache des Außenministers Alexander Boris De Pfeffel Johnson, des ehemaligen US-amerikanischen Staatsbürgers und Chefs der britischen Diplomatie [!], immer weiter. Er erzählt, laut Tweet von Tom Newton Dunn, des für Politik zuständigen Herausgebers der Boulevardzeitung THE SUN, am Morgen des 18. März 2018, daß seine Regierung "Beweise" hätte, daß "Rußland zum Zweck von internationalen Morden seit einem Jahrzehnt Novichok entwickelt. Die Regierung wird unter hohen Druck kommen, diese Beweise jetzt zu veröffentlichen'."

Tom Newton Dunn @tnewtondunn
Boris’s claim that UK has evidence Russia has been developing Novichok for international assassinations for the last decade is biggest story of the morning. Govt will come under huge pressure to reveal the evidence now #Marr

"Der Außenminister nannte die Vergeltung gegen das Vereinigte Königreich 'zwecklos'"

LIVE: Johnson says Russia 'stockpiling' novichok. Sky News, 18 March 2018
"LIVE: Johnson sagt, Rußland 'hortet ein Arsenal' von Novichok"

Wer gebietet diesem Irren Einhalt? Vielleicht er:

Russian embassy invokes Hercule Poirot

In absence of evidence, we definitely need Poirot in Salisbury!

Siehe auch:
Rex Tillerson und das Giftgas Novichok. 13. März 2018