30. Juni 2025

Israel einer Anfängerin [20]: Du sollst nicht stehlen!

Am letzten Tag einer längeren Reise tanzen die Koordinaten in Raum und Zeit, man ist nicht mehr dort aber auch noch nicht weg und erst recht noch nicht wieder zu Hause. Es ist ein Zustand, der erst deutlich wird, wenn er vorbei ist. Derweil ist es ganz normal, daß alle Orte außer dem gegenwärtigen gleichzeitig im Kopf herumspuken, alle besuchten Orte in Israel, Jaffa, Kfar Saba, Maalot-Tarshiha, Jerusalem, und die demächst anstehenden in Spanien und Frankreich, Barcelona und Perpignan. 

Aber wo ist Tel Aviv, und in Tel Aviv, da war doch etwas mit Yitzhak Rabin? Platz? Denkmal?

Von Yitzhak Rabin weiß ich über seine Rolle als Generalstabschef im Sechstagekrieg; viele Seiten widmet ihm Michael B. Oren im Klassiker "Six Days of War". Yitzhak Rabin ist einer der israelischen Politiker und Militärs, die in Palästina geboren sind, was ihnen die Einschätzung der Lage vor und im Sechstagekrieg sowie die nötigen Entscheidungen erleichtert, weil sie von klein auf mit den arabischen Palästinensern zu tun haben und das Verhalten und die Reaktionen der Araber instinktiv erfassen können, auch ohne daß sie den Koran gelesen haben. Welche abstrusen Entscheidungen heutzutage von westlichen und von israelischen Politikern getroffen werden, denen diese Gunst des Ortes und/oder "der frühen Geburt" nicht hold ist, welche abwegigen Theorien von Wissenschaftlern und Journalisten aufgestellt werden, die nichts vom Islam verstehen, das erlebt man, wenn von den selbsternannten Islamologen und ihren Anhängern glauben gemacht wird, daß Judenhaß erst mit Adolf Hitler über die Muslime gekommen wäre, ab Mitte der 30er Jahre.

Yitzhak Rabin ist von 1974 bis 1977 und ab 1992 israelischer Ministerpräsident. Am 13. September 1993 unterzeichnet er mit dem PLO-Unterhändler Mahmud Abbas, im Weißen Haus, eine Grundsatzerklärung zu vorläufigen Selbstverwaltungsregelungen, das „Osloer Abkommen“. 

"Die PLO schwört dem Terrorismus ab und erkennt das Recht Israels auf ein Leben in Frieden an."
Hätte er den Islam gekannt und ernstgenommen, wäre das Abkommen nie zustande gekommen.

Am 4. November 1995 wird er auf einer öffentlichen Friedensversammlung in Tel Aviv durch den fundamentalistischen Juden Yigal Amir ermordet. Das Denkmal befindet sich am Ort des Attentats.

Wo das genau ist, werde ich herausfinden müssen; denn Hanna hat sich mit mir für 11 Uhr am Rabin Memorial verabredet. Sie sagt, es sei leicht zu finden, direkt bei der City Hall. Ich schaue auf meinen Stadtplan. Es ist zu Fuß nicht weit vom Büro der El Al bis zum Kikar Rabin, dem Yitzak Rabin Square, und das Memorial ist auf dem Platz eingezeichnet. Eine Viertelstunde vor der Zeit bin ich da, das Denkmal ist gut zu sehen. Ich bilde mir ein, es ist das in den Images of Tel Aviv abgebildete. 


Ich postiere mich auf einer Bank, das Denkmal gut im Blick, und warte auf Hanna. Die kommt nicht, und gegen 11:30 Uhr fange ich an, mir Sorgen zu machen: ist sie plötzlich erkrankt? Ich schleiche um das Denkmal herum, mir fällt aber nicht auf, daß keinerlei Information dort zu lesen ist über das Attentat auf Yitzak Rabin. Soweit reicht's an meinem letzten Tag nicht mehr. Sorge und Aufregung über die Heimreise sind größer, und Angst macht dumm.

Am Platz ist eine Buchhandlung mit Café, dort gehe ich zur Toilette, wobei mir einfällt, daß in meinem Hotelzimmer kein Papier mehr ist. Wenn ich nun spät ins Hotel zurückkomme, und ich vergesse, nach Papier zu fragen, was dann? Sorge! Ich stibitze eine fast abgewickelte Klorolle, für alle Fälle, man weiß ja nie. Es fällt, meine ich, unter Arschraub, so eine Art Pendant zu Mundraub. Dann gehe ich zurück auf den Platz. Inzwischen ist es Mittagszeit, und von Hanna keine Spur. Ich komme ins Grübeln. Ist das die Strafe dafür, daß ich die Klorolle geklaut habe? "Du sollst nicht stehlen."

Reumütig gehe ich in die Buchhandlung und deponiere das Diebesgut an seinen Ort. Als ich zurückkomme, sehe ich eine junge Frau, die am Tisch sitzt und Deutsch lernt. "Schwierig!" sage ich, "Deutsch ist schwierig!" Wir kommen ins Gespräch. Sie ist Schauspielerin am Theater in Tel Aviv, und sie hat einen deutschen Freund, er studiert in Berlin Medizin. "Ich bin auch aus Berlin, und ich bin mit einer Freundin hier am Platz verabredet, aber sie ist nicht gekommen. - Rufen Sie sie doch an! - Ich habe kein Mobilphone. - Aber da hilft Ihnen sicher der Buchhändler." Ich frage ihn, und er ruft Hanna auf ihrem Mobilphone an. Die geht nicht ran. Ich bin traurig. Schade, daß mein letzter Tag so endet.

Ich schleich' mich Richtung Dizengoff. Am Kikar Masaryk, dem Masaryk Platz, sehe ich eine französische Buchhandlung, sie heißt Librairie Du Foyer. Dort verkaufen sie auch Zeitungen. Mir fällt ein, daß am Tag meiner Rückkehr nach Frankreich, ausgerechnet am 14. November, die Gewerkschaften streiken wollen, und ich nicht sicher sein kann, mit dem Zug von Barcelona nach Perpignan zu gelangen. Die Rückfahrkarte habe ich aber schon - wie von Barcelona weiter? Sorge! Ich kaufe einen Figaro und sehe, daß dem so sein wird: Fahrt mit der Bahn unwahrscheinlich. Ich nehme die Zeitung und begebe mich zurück zu dem Café. Dort werde ich zu Mittag essen und meine Zeitung in Ruhe lesen. Schließlich hat der Besitzer mir geholfen, ich hätte ihn beinahe bestohlen, und dafür kann ich wenigstens dort essen.

"Hallo, da bist du ja," ruft Hanna freudig aus. Ich fasse es nicht: "Woher kommst du denn, und wieso bist du ausgerechnet hier, in diesem Café?" Als der Anruf aus der Buchhandlung kommt, kann Hanna nicht antworten, da sie über die Straße geht, am Rabin Memorial, um mit dem nächsten Bus nach Hause zu fahren. Sie schaut aufs Display, sieht eine Telefonnummer, die sie nicht kennt, ruft zurück, und der Besitzer der Buchhandlung erklärt seinen Anruf. Da beschließt Hanna, im Café auf mich zu warten. Dort gibt es nur Snacks, wir aber wollen in einem richtigen Restaurant essen und unser Wiedersehen feiern. Hanna zahlt ihren Kaffee, geht auf die Toilette, kommt wieder und kichert: "Ich habe die Klorolle gesehen, vielleicht hätte ich sie als Andenken mitnehmen sollen, hähähä?"


Dann zeigt sie mir das Rabin Denkmal am Ort des Attentats, an der Rehov Ibn Gvirol; es liegt zwei Minuten entfernt von dem eisernen Kunstwerk der Kikar Rabin. 

Wir gehen die Rehov Ibn Gvirol hoch, biegen in die Rehov Basel und essen dort in einem Restaurant, das nicht der Rede wert ist. Wir hätten im McDonald's einkehren sollen, das Essen wäre dort vielleicht besser gewesen.

Die Rehov Basel ist wahrscheinlich benannt nach dem Ort des Ersten Zionistenkongresses, von 1897, auf dem Theodor Herzl zum Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation gewählt wird, der World Zionist Organization (WZO), nach wem aber ist die Rehov Ibn Gvirol benannt? Ibn klingt sehr arabisch, oder ist das auch Hebräisch? Im Internet finde ich ihn unter den Namen Solomon ben Judah Ibn Gabirol und Abu Ayyub Sulaiman Ibn Yahya Ibn Jabirul, geboren in Malaga, 1021, in eine Familie, die wahrscheinlich 1031 vor der muslimischen Besatzung der Berber aus Córdoba flieht, jung gestorben in Valencia, 1057 oder 1058. Er kränkelt viel und hält sich selbst für klein und häßlich.

Mit dem Sturz der Khalifen und dem Aufkommen der Macht der Taifa, der Teilreiche, ab 1031, beginnen 500 Jahre islamische Judenverfolgung. Über die "tolerante" Zeit der Araber schreibt Maimonides (1138 - 1204): "... die Araber haben uns sehr stark verfolgt und bannartige und diskriminierende Gesetze gegen uns erlassen. ... Niemals hat uns eine Nation derartig gequält, erniedrigt, entwürdigt und gehaßt wie sie ..."

Die Todesursache von Ibn Gabirol ist ein Rätsel. Der Legende nach wurde er von einem arabischen Reiter zu Tode getrampelt, ähnlich wie Rabbi Judah Halevi (1075 - 1141) umkam.

Der Philosoph und Hofdichter ist Verfasser unter anderem von Elegien, einer hebräischen Grammatik, des Fons vitae, der Quelle des Lebens, einer philosophischen Abhandlung in Arabisch (verschollen) und Lateinisch, und mehr als 300 religiösen, mystischen, ethischen und weisen Gedichten. Mit 16 Jahren bringt er die 613 biblischen Gebote in Verse und erklärt: "Wenn ich auch erst 16 Jahre alt bin, habe ich doch die Weisheit eines 80-jährigen." Diese Hoffart, die ihn zeit seines Lebens begleitet, hat für ihn negative Folgen. Viele Legenden ranken sich um sein Leben und sein Werk, woran man sehe, daß er nach seinem Tode in hohen Ehren gehalten werde, schreibt Rochelle Mass, auf der WZO-Website [nicht mehr online]. Die Israelis ehren ihn bis heute; nach ihm ist eine der längsten Straßen in Tel Aviv benannt; sie reicht vom Kikar Rabin bis über den Nahal Yarkon, im Norden Tel Avivs.

Nach dem Essen schlendern Hanna und ich zur Rehov Ben Yehuda. Eliezer Jitzhak Perelman (1858 - 1922), der sich umbenennt in Ben-Yehuda und 1881 von Paris nach Jerusalem übersiedelt, ist einer der ersten Zionisten und Erneuerer der hebräischen Sprache; denn er sieht, daß sich die Juden, die aus aller Welt nach Palästina kommen, nur auf Hebräisch untereinander verständigen können. Ihm ist eine noch längere Straße gewidmet, vom Carmel Markt bis zum Nahal Yarkon.

"Die hebräische Sprache wird von der Synagoge in die Lehrhäuser gelangen, und von den Lehrhäusern in die Schulen, und von den Schulen wird sie in die Familien gelangen und ... zu einer lebendigen Sprache werden." Eliezer Ben-Yehuda

Auf der Rehov Ben Yehuda nehmen Hanna und ich ein Sammeltaxi, einen Kleinbus, den man in der Türkei Dolmuş und im Iran Kerajeh nennt, wie er in Israel heißt, weiß Heplev: Sherut. Danke für den Tipp. Dieses praktische Gefährt scheint überall im Nahen Osten beliebt zu sein. 

Wir fahren bis zur Rehov Bograshov, und ich kehre mit Hanna im X-Ray ein, in mein Stamm-Café. Dann bringe ich sie zum Bus 149, und sie fährt nach Kfar Saba. Ich bleibe traurig am Straßenrand, aber eine gute Suppe und ein kühles Goldstar-Bier, serviert von der freundlichen Kellnerin im Restaurant Olive, richten mich bald wieder auf. Dann geht's ab ins Hotel, wo ich ganz legal mit einer rosaroten Klorolle abziehe. Noch einige Stunden werde ich schlafen, um 1:30 Uhr läutet der Wecker, der für 2 Uhr versprochene Weckruf des Nachtportiers bleibt aus. Die fürchterliche El Al fliegt um 6:20 Uhr nach Madrid; drei Stunden vorher muß man sich am Flughafenschalter einfinden, drei Stunden!

Vom Ende der Reise demnächst mehr ...

1. Februar 2008, am 120. Geburtstag meiner sehr geliebten Großmutter.
Verbesserungen und Ergänzungen, 30. Juni 2025

 Bisher erschienen:

Israel einer Anfängerin: Episodio de la Historia. 17. November 2007
Israel einer Anfängerin [2]: Von Barcelona nach Tel Aviv, 20. November 2007
Israel einer Anfängerin [3]: Tel Aviv-Yafo, 24. November 2007
Israel einer Anfängerin [4]: Tel Aviv, 25. November 2007
Israel einer Anfängerin [5]: Neve Tsedek - Rehovot. 26. November 2007
Israel einer Anfängerin [6]: Kfar Saba. 3. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [7]: Maalot-Tarshiha. 7.Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [8]: Maalot-Tarshiha in Perpignan. 9. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [9]: Shlomo Bohbot, Maalot und Tarshiha. 13. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [10]: Rückkehr nach Kfar Saba. 15. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [11]: Auf dem Weg nach Jerusalem. 18. Dezember 2007/16. Januar 2008
Israel einer Anfängerin [12]: Dieses Jahr in Jerusalem! 20. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [13]: Ein Tag in Jerusalem. 26. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [14]: Nächstes Jahr in Jerusalem! 28. Dezember 2007
Israel einer Anfängerin [15]: Wieder in Tel Aviv. 12. Januar 2008
Israel einer Anfängerin [16]: Sabbat in Tel Aviv. 13. Januar 2008
Israel einer Anfängerin [17]: Vom Frühstück zum Friedhof. 17. Januar 2008
Israel einer Anfängerin [18]: La flaneuse - Promenade in Tel Aviv. 23. Januar 2008
Israel einer Anfängerin [19]: Schwanengesang. 26.Januar 2008
Israel einer Anfängerin [20]: Du sollst nicht stehlen!. 1. Februar 2008