22. Dezember 2012

Das Ende der Welt. Nachbetrachtungen zu Bugarach


Als es vor einigen Wochen mit Bugarach in unserer Regionalpresse konkret wird, im Indépendant beispielsweise, da finde ich das eine wunderbare Idee, ein Weltuntergangsfest zu veranstalten. Bugarach, in den Corbières, im Pays de l'Aude, Region Languedoc-Roussillon, 63 Kilometer entfernt von Perpignan, liegt am Fuße des 1231 Meter hohen Pic de Bugarach, eines Bergausläufers der Pyrenäen. Dieser Berg soll, so geht es schon seit einigen Jahren durch die Medien, das 196-Seelen-Dorf vor dem für die Nacht zum 22. Dezember 2012 von den Mayas angeblich vorausgesagten Weltuntergang schützen. Der einzige Ort sei das, heißt es anfangs, später gibt's noch einen ähnlichen Ort in der Türkei, Sirince.

Recep Tayyip Erdogans Graue Wölfe heulen halt auch zum Weltuntergang, vor allem zu dem in islamischen Staaten.

Ich schaue bei Mappy nach, wo genau Bugarach liegt und ob ich da günstig hinkäme. Im Roussillon gibt's seit einiger Zeit den Autobus für 1€, mit ihm kann, wer möchte, im gesamten Department herumfahren. Bis St Paul-de-Fenouillet wäre die Reise im Bus der Linie 100 für 1€ gesichert, von da könnte es weitergehen Richtung Limoux, nach Bugarach. Aber fährt da ein Bus? Wie komme ich hin?

Freunde erzählen, in Bugarach gäbe es außer den Kaskaden von Mathieux, einer Brücke aus der Römerzeit, der Ruine eines Schlosses aus dem 16. Jahrhundert und Erinnerungen an eine Hutmanufaktur, die bereits beim ersten dortigen Versuch eines Weltunterganges ins benachbarte Esperasan geschwemmt wird, ein sehr gutes Restaurant, die Ferme de Janou. Dort habe man in der Nähe des Kamins gut und preiswert gesessen, die hausgemachte Foie gras, ich sollte aber unbedingt reservieren, da man zum Weltuntergang gewiß mit einem Ansturm von Gästen rechnen müsse.

Eine Nacht oder zwei könnte ich in Bugarach bleiben, da es ein Ferienort ist, gibt es bestimmt Gîtes d'étape, Gästezimmer, eine Pension oder gar ein kleines Hotel? Ich werde mich informieren. Dann lese ich, daß 12 Winzer aus dem Roussillon am 12.12.12, um 12:12 Uhr 12 Weinstöcke der bekanntesten und besten Weine am Fuße des Berges pflanzen, um die Kultur unseres Weines zu retten. Welch eine herrliche PR-Aktion, die Rettung des katalanischen Weines vor der Apokalypse!

Nun sollte ich mich allmählich kümmern, sonst bekomme ich keine Unterkunft, keinen Platz im Resto, und wie ich dahin gelange, weiß ich immer noch nicht. Aber dann überschlagen sich die Nachrichten von Invasionen, nicht der Außerirdischen, sondern außerirdischer Journalisten aus aller Welt. 84 Medien aus 18 Ländern schicken 303 Journalisten, sie treiben die Dörfler durchs Dorf, fallen in die Vorgärten ein, klingeln an den Türen, filmen, knipsen die Bewohner ohne deren Einverständnis, interviewen immer dieselben Wichtigtuer, kurz, sie vermasseln allen Spaß. Die meisten der Sorte kommen aus Deutschland und aus Belgien, die anderen aus der Türkei, Norwegen, Israel und der Ukraine.

Sascha Lehnartz ist einer derjenigen, die das Nichtereignis in die WELT-Presse bringen. Nein, da ruft nicht der Ufo-Berg, wie er annimmt, sondern da vergeuden Verlage Geld. Nein, die Mayas haben keinen Weltuntergang angekündigt, erst recht nicht für den 21./22. Dezember 2012, sondern in ihrem Kalender fängt ungefähr zu dieser Zeit ein neuer Zyklus des Lebens an. Der WELT-Journalist macht sich wie die anderen 302 auch, nur lächerlich, er vermiest Spaßvögeln durch seine pseudo-ernsthafte Berichterstattung den Spaß, vor allem wenn er so offensichtlich abkupfert aus dem courrier international, vom 27. Dezember 2010, und dabei nicht einmal den Namen der Leiterin des "Hauses der Natur" richtig abschreibt. Die aus der Île-de-France stammende Frau heißt Sigrid Bernard.

Schon zwei Jahre vor dem Weltenende und wann immer danach sich ein Journalist ins Dorf begibt, auch später, beispielsweise gegenüber Angélique Négroni, vom Figaro, droht Bürgermeister Jean-Pierre Delord mit Maßnahmen, zum Schutz seiner Bürger, will er notfalls die Armee herholen, denn es fallen Esoteriker aller Art in den Ort ein und gefährden die öffentliche Sicherheit. Der Berg sei eine Anlaufstelle für Außerirdische, die dort Garagen für ihre Ufos unterhielten, behaupten dieSpinner, und das schon seit zehn Jahren. Ufologen-Websites, viele davon in den USA, empfehlen ihrer Klientel, sich in Bugarach in Sicherheit zu bringen. Seit Jahren kommen sie, um auf dem Berg zu beten. Dort wähnen sie allerlei Aufregung: François Mitterrand habe sich eigens im Hubschrauber auf den Berggipfel fliegen lassen, erst die Nazis, dann der Mossad hätten dort Ausgrabungen gemacht, Steven Spielberg und Jules Vernes wären von dem Ort inspiriert worden. Zu diesem Spuk gehört jetzt, daß auch Gérard Depardieu sich nach Bugarach begeben werde. In der Ferme de Janou wird eigens ein Platz für ihn freigehalten. Den hätten sie lieber mir reservieren sollen!

Die Regierung Frankreichs in Gestalt des Präfekten ergreift denn auch Maßnahmen, reduziert den Zugang zum Dorf, verbietet Ortsfremden den Anstieg zum Berg, um den Einwohnern ein halbwegs erträgliches Leben zu garantieren. Es wird Besuchern abgeraten, vom 19. bis 23. Dezember 2012, zum Weltuntergangstermin ins Dorf zu kommen, es sei nicht gewährleistet, daß man dort Eingang fände. Die Präfektur beweist mit der Pressemitteilung, daß sie nicht an den Weltuntergang glaubt. AFP verbreitet den Ernsten Hilferuf WELTweit, und Sascha Lehnartz fährt hin.

Auch Sonderkorrespondentin Angélique Négroni ist wieder zur Stelle und liefert Nachrichten vom Kehraus, ist in Bugarach: Der Karneval geht nun seinem Ende entgegen. Das ist das einzige Ende, der Rummel geht aber noch mindestens bis Sonntag weiter, die Zentralregierung in Gestalt des Präfekten hat alles fest im Griff. Vielleicht hat sie einen Garagenplatz mit Ufo im Berg?

Die Kasse stimmt jedenfalls für eine Menge von Leuten, die von der Anwesenheit der außerirdischen Journalisten profitieren und gute Geschäfte machen, finanziell und politisch.

ATTAC, Solidarität mit den Abgeschobenen von Notre-Dame-des-Landes, einem Kollektiv von Gegnern des dort geplanten Flughafens, mein Provinzblatt L'Indépendant aber sieht nur arme, arme Dörfler, einem habe ein Versicherungsvertreter doch tatsächlich eine Lebensversicherung vermitteln wollen. "Wir landen um Mitternacht, um euch alle umzubringen," habe ein Anrufer gedroht. "Sind Sie aus dem Dorf? Was halten Sie vom Weltuntergang?" würden die Leute von Journalisten gefragt, kaum zeigten sie sich auf der Straße. Der Betreiber der Ferme de Janou hat, man stelle es sich vor, 60 Gäste privat bewirtet, und die haben nicht das Billigmenü gewählt, wetten? Und reichlich Blanquette de Limoux ist auch getrunken worden. Wer zählt die Kadaver?

Georges Fenech, UMP-Abgeordneter der Nationalversammlung, Präsident der Studiengruppe für Sektenforschung, kann seinem Anti-Amerikanismus freien Lauf lassen: "Alles, was man hier jetzt durchmacht, ist aus den USA importiert worden, wo man im Namen der Religionsfreiheit und der Freiheit des Waffenbesitzes ein bißchen von Was-auch-immer toleriert."

Es ist nur so, daß am Tag selbst, also am 21. Dezember 2012, da gar keine Spinner aus den USA sind, auch keine einzige Sekte sich offenbart, sondern nur ein paar verrückte Franzosen, wie die Erleuchtete Oum-Hani Chkounda, die meint, durch Pforten könne sie in eine andere Welt eintreten, linke Politspinner aller Schattierungen nutzen die Chance, ihr Agitprop unters Volk und in die Medien zu bringen, und vor allem feiert ein lustiges Völkchen, das sich einen Spaß aus dem Weltuntergang macht. Dazu hätte ich gern gehört und dabei ein gutes Menü in der Ferme de Janou verspeist, aber 303 idiotische Außerirdische aus 84 Medien aus 18 Ländern müssen einem alles verderben. Der Präfekt des Pays de l'Aude Eric Freysselinard gibt derweil einen Aperitiv aus und zeigt sich gelassen.

Am Morgen des 22. Dezember 2012, die Welt ist aus Versehen noch da, zeigt die Polizei ihre Ausbeute der nächtlichen Ausschweifungen vor: Zwei Macheten, einige Gasmasken und einen Baseballschläger. Den wird Woody Allen nach Frankreich geschickt haben.