9. Juni 2012

Frankreich. Shlomo Ben Ami über deutsche Arroganz

Es funktioniert immer gleich. Will man Juden und Israel denunzieren, sucht man sich 'n Juden, in Deutschland von Uri Avnery bis Moshe Zuckermann, in Frankreich von Ariella Azoulay bis Michel Warszawski (mit "Z" fällt mir so schnell keiner ein), und wenn man als vorgeblich seriöse konservative, der UMP verpflichtete Zeitung in Frankreich über Deutschland herziehen will, was im Angesicht des Deutschenhassers und eben gewählten sozialistischen Staatspräsidenten François Hollande peinlich sein könnte, dann findet man ebenfalls einen passenden Juden.

Le Figaro ist auf den ehemaligen Friedensaktivisten und Außenminister Israels Shlomo Ben Ami abonniert. Er ist Autor des Project Syndicate. Im Artikel Israel. Shlomo Ben Ami, linker Traumtänzer habe ich den Vizepräsidenten des von den Sozialisten gegründeten Centro Internacional de Toledo para la Paz, des Toledo International Centre for Peace, am 7. Dezember 2011 meinen Lesern vorgestellt. Motto: Ein bißchen Frieden.

Das hat was, am Vortag der entscheidenden Wahl zur Nationalversammlung, auf den ersten Seiten des Figaro toben die Argumente für die UMP, für eine Kohabitation, gegen den Durchmarsch der Sozialisten und ihrer linksradikalen Freunde, die bei Erreichen der Mehrheit sämtliche Schaltstellen Frankreichs besetzen werden, und auf der Seite 21 wird ein sozialistischer Jude aus Israel bemüht, Deutschland in die Pfanne zu hauen, wie immer nur für Abonennten: Le triomphe du politique en Europe. Der Triumph des Politischen in Europa. The Triumph of Politics in Europe.

Die französische Fassung, übersetzt von Pierre Castegnier, findet man auf der Website des Project Syndicate, dennoch lege ich die englische Version zu Grunde, um die Infamie des Figaro einzuordnen; denn die meisten Leser können besser englisch als französisch.

Über alle politischen Gegensätze hinweg ist sich ganz Frankreich gegen Deutschland einig. Die Hilflosigkeit der französischen Politik könnte nicht besser vorgeführt werden, gegen von Deutschland unterstützte finanzpolitische Strenge helfe nur die Politik. Er führt Aufruhr französischer und griechischer Wähler an, sie bestimmten das politische Vorgehen. Es handelt sich um eine ähnliche Erpressung wie die der in Europa lebenden Muslime, die im Falle der Nichterfüllung ihrer Forderungen die Gesellschaft aufmischen. Von der electoral insurrection bis zum gewalttätigen Aufstand ist es nur ein Schritt, warnt durch die Blume der Israeli, der im Nahen Osten beinahe einen Frieden erreicht hätte. Jetzt arbeitet er hin auf eine Beinahe-Lösung der Euro-Krise, und man kann gewiß sein, daß mit seinen Mitteln ebenfalls nichts erreicht wird, aber versuchen darf er's ja gern.

Er fährt Reizwörter auf, bei denen Deutschen die Ohren kingeln: Europe’s postwar history, Europas Nachkriegsgeschichte: "Frankreich wollte deutsche Macht durch Einbindung in das europäische Projekt zähmen, und Deutschland war bereit, die Deutsche Mark für Frankreichs Einverständnis mit einem wiedervereinigten Deutschland zu opfern, dem Alptraum von Europas jüngster Vergangenheit."

Wer die ersten 100 Seiten des Buches von Thilo Sarrazin gelesen hat, der weiß, daß dieses Opfer darin besteht, daß die Mitgliedsländer des Euroraumes unabhängig von ihrer Wirtschaftskraft und vor allem von ihrer Haushaltsdisziplin mit einer an der D-Mark orientierten Währung ausgestattet worden sind, und daß die südlichen Mitgliedsstaaten, einschließlich Frankreich, dies zur freien Entfaltung ihrer nationalen politischen und wirtschaftlichen Interessen ausgenutzt haben, die Befriedigung der jeweils zu erreichenden Wähler einbegriffen. Die sozialistische Regierung Frankreichs setzt dies fort: Rente mit 60, 35-Stundenwoche vom Staat zu schaffende 150 000 Stellen usw. Mit einer solchen Politik, die Frankreich immer mehr in die Verschuldung und die Bürger in die Verarmung treibt, schafft sich der Parti Socialiste auf unabsehbare Zeit seine Klientel.

Shlomo Ben Ami behauptet, daß Deutschland dank des Euro der Welt zweitgrößter Exporteur sei, thanks to the euro, China habe es 2009 überflügelt. Er bleibt den Beweis schuldig, daß es am Euro liegt. Vielleicht wäre ja Deutschland heute noch die Nummer 1 im Export, wenn es den Euro nicht gäbe? Auf Seite 115 seines Buches zeigt Thilo Sarrazin in Tabelle 3.6, daß der deutsche Export in den Euroraum gesunken und der in den "Rest der Welt" angestiegen ist. Aber Shlomo Ben Ami hat mit seiner Behauptung den Grund gelegt für die Angriffe, die er nun im Einvernehmen mit dem Figaro und dessen Besitzer Serge Dassault gegen Deutschland führt: "Für Europa jedoch war es immer schwierig zu einem Einvernehmen mit einem übermäßig selbstbewußten, nicht zu reden, arroganten Deutschland zu kommen." Die Vorschriften von Angela Merkel zur Sparsamkeit für die schuldengeplagten Randstaaten Europas ähnelten einem German Diktat (deutsch im Original).

Nicht nur, daß er nicht eingeht darauf, daß es sich um südliche Euro-Staaten handelt, nicht nur, daß Frankreich nicht erwähnt wird, er fährt ein Vokabular auf, das alle, die jemals unter der Politik Deutschlands, ab 1870 bis zum Ende der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gelitten haben, den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Das "Deutsche Problem" (beim Autor in Anführungszeichen), "Export in den Rest Europas derselben Geister radikaler Politik und gewalttätigen Nationalismus', die sein wirtschaftlicher Erfolg zu Hause überwunden hat."

Bravo, das hat der Jew on Demand geliefert, so schön kann das nur ein Jude rüberbringen; denn bei einem französischen Autor hätte man vielleicht mit Robert O. Paxton: Vichy France. Old Guard and New Order 1940-1944 gewedelt. Im Artikel Frankreich feiert den Sieg über Deutschland kann man dazu mehr erfahren.

Es folgen Klagen über die Zustände in Europa, Arbeitslosigkeit, vor allem unter den Jugendlichen, über die schwerfällige Regierung, fehlende demokratische Legitimation von europäischen Institutionen usw. Keine Erklärung gibt der Autor dazu, daß die Regierungen doch immer wieder gewählt und wiedergewählt werden, daß neue Parteien, die sich bemühen gegenzusteuern, bei den Wahlen Promille-Ergebnisse erzielen, die Bürger sich lieber verwalten lassen, anstatt Eigenverantwortung zu übernehmen. Wie es dasteht, hat Deutschland auch daran die Schuld. Nun dürfen sich die Deutschen einmal so fühlen wie die Israelis immer: Der Deutsche ist an allem schuld.

Die tatsächliche wirtschaftliche und finanzielle Lage interpretiert Shlomo Ben Ami um zur economic theory. Leider ist der Zustand konkret, nicht mit Theorien hat die Politik zu tun, sondern mit der desolaten Lage in Europa. Wie immer bei Sozialisten werden nicht die Bürger zur Rechenschaft gezogen, sondern es ist das "Versagen des Systems, Lösungen bereitzustellen." Auf Grund eines einhergehenden "Kurzschlusses" (deutsch im Original) radikalisierten sich Bewegungen und böten simple Lösungen, als da wären "ethnische Identität", "Ultra-Nationalismus" und "purer Fanatismus". Nicoals Sarkozy sei vor seinem Scheitern darin gelandet, in einem letzten Versuch verzweifelt an diese Gefühle zu appelieren.

Welch eine Fehleinschätzung der Lage in Frankreich! Shlomo Ben Ami beurteilt die Politik der französischen Regierung, ohne auch nur ein einziges real existierendes Problem zur Kenntnis zu nehmen. Von der fortschreitenden Islamisierung Frankreichs hat er nichts vernommen? Welch ein Glück, daß er nichts zu sagen hat in Frankreich! Da ist ja selbst François Hollande näher an den Tatsachen. Wie kann der UMP-Senator Serge Dassault einen solch hanebüchenen Unsinn in seiner Zeitung veröffentlichen? Die nun folgende Einschätzung des Front National und der politischen Landschaft in Griechenland kann man sich daraufhin sparen. Es stimmt daran kaum etwas. Was Alexis Tsipras’ Syriza angeht, so hat Claus Kleber im gestrigen heute-Journal eine unvollständige Auflistung gegeben: Umgehende Erhöhung der Gehälter, Rente mit 60, Verbleib im Eurosystem, ohne irgendwelche Anstrengungen zum Sparen; denn wenn Griechenland ausscheide, breche die EU zusammen. Das ist die Meinung einer new anti-austerity left. Shlomo Ben Ami geht nicht in Einzelheiten, es ist die übliche Methode der Linken: Tatsachen können der Wahrheit nichts anhaben, sie sind deshalb auch nicht erwähnenswert. Die von Deutschland diktierte austerity bringe die peripheren Eurostaaten ins Chaos, Griechenland aus dem Euro, den Kollaps des Euro in Europas Peripherie, wenn nicht darüber hinaus. Leider definiert er nicht, welche Euro-Staaten zur Peripherie zu rechnen sind. Finnland? Gehört Frankreich dazu? Selbst Thilo Sarrazin enthält sich der Zuordnung Frankreichs. Meine Erfahrung: Südstaat!

Der Sparplan für Griechenland ist für die Bevölkerung die Hölle, das ist richtig, man sieht und hört es täglich in ARD- und ZDF-Nachrichten. Auch Thilo Sarrazin plädiert dafür, daß Griechenland den Euroraum verläßt. Was daran nicht richtig ist: Die Deutschland dafür zugeschobene Verantwortung, gar Schuld. Die aber möchte Shlomo Ben Ami dort ansiedeln, darauf versteht sich der Historiker besser. Was sagen denn die mächtigen Nachrichten von den französischen und griechischen Wählern? Hat Deutschland diese Länder in den Euro gezwungen? Frankreich mag Deutschland der Wiedervereinigung wegen in den Euro genötigt haben, aber Griechenland? Deutschland soll dann auch noch die Schuld haben, wenn Italien und Frankreich eine Anti-Sparsamkeitsallianz schmieden, wenn Spanien durch seine Sparmaßnahmen immer tiefer in die Rezession versinkt?

Interessanterweise billigt Shlomo Ben Ami diesen Ländern nicht den geringsten Anteil an Verantwortung zu, nicht zu reden von Schuld. Auch das hat Ähnlichkeit mit dem Verhalten westlicher Politik gegenüber den Muslimen: Sie sind immer Opfer. Deutschland ist also nunmehr umzingelt von Opfern. Betrug der Griechen, Korruption, aufgeblähter Staatsapparat in Frankreich, Immobilienboom in Spanien, wo 84 Prozent der Bürger Wohneigentum besitzen, darunter teilweise zu 100 Prozent finanziert mit Krediten. Erinnert sich noch jemand an den Fanny Mae und Freddy Mac breakdown als Folge der Politik der US-Demokraten unter Bill Clinton, an den Community Reinvestment Act?

Die von Shlomo Ben Ami aufgezählten Maßnahmen, die der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nunmehr erwägt, widersprechen alle dem Maastricht-Vertrag, und ich wüßte gern, wie Wolfgang Schäuble diesen Vertragsbruch rechtfertigt. Wie war das noch mit der CDU-Spendenaffäre um den Waffenhändler Karlheinz Schreiber: Schäuble war Mittäter? Wer regiert in Deutschland, wer im Euroraum? Möge die Politik des Wolfgang Schäuble nicht siegen über die Verträge und die wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Ganz Europa würde darunter leiden.

Dann lieber deutsche Arroganz!