15. Juni 2012

Frankreich. Was auf die Bundesregierung mit François Hollande zukommt


Wie der Parti Socialiste (PS) und seine Provinzgrößen mit ihren politischen Freunden umgehen, ist in der Provinzzeitung L'Indépendant von Thierry Bouldoire am Beispiel des kommunistischen Bürgermeisters von Cabestany Jean Vila den Lesern vorgeführt worden (nicht online). Auf nationaler Ebene kann man es am abservierten Zentristen und Präsidentschaftskandidaten François Bayrou nachlesen. Der wagt sich erstmalig aufs linke Terrain, fordert seine Wähler auf, im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen François Hollande zu wählen, so daß er nicht nur mit Hilfe von 93 Prozent muslimischer, sondern auch mit einigen Prozent sozialliberaler Stimmen ins Amt kommt, und keiner dankt es ihm. Sein Mouvement Démocrate (MoDem) ist im Begriff, von der politischen Szene zu verschwinden, der PS setzt auf Durchmarsch.

Deutschland insgesamt und die Bundesregierung im besonderen, welche auch immer mit dem PS und seinem Präsidenten François Hollande zu tun haben wird, werden von der neuen Regierung Frankreichs nicht als Freunde angesehen, der Präsident macht Italien Avancen, Premierminister Jean-Marc Ayrault plädiert für Euro-Bonds, der Minister für Produktivität Arnaud Montebourg und viele andere Sozialisten ergehen sich in Vorwürfen gegen die deutsche Politik und gegen die Deutschen. Es ist nicht zu erwarten, daß sie mit Gegnern aufrichtig sind, wenn sie schon mit ihresgleichen üble Spielchen treiben.

So geschehen in La Rochelle und international bekannt geworden durch den Tweet der Première Favorite de France Valérie Trierweiler: Courage à Olivier Falorni qui n'a pas démérité, qui se bat aux côtés des rochelais depuis tant d' années dans un engagement désinteressé. Mut dem Olivier Falorni, der nicht unwürdig ist, der sich seit so vielen Jahren an der Seite der Bürger von La Rochelle selbstlos/uneigennützig einsetzt.

Jenseits der Ungehörigkeit einer Person, der in der Verfassung Frankreichs keine offizielle Position zukommt, die sich aber dennoch auf Grund ihrer amourösen Beziehung in die Politik des Präsidenten und in dessen politische Entscheidungen einmischt, und zwar gegen ihn, ist der Fall des Olivier Falorni exemplarisch dafür, was Verhandlungspartner des François Hollande durch ihn persönlich erwartet.

Der 40-jährige Lehrer und Gegenkandidat der Ségolène Royal ist seit vielen Jahren, bis zu seinem Ausschluß aus der Partei, im vorigen Jahr, Erster Sekretär des PS des Département Charente-Maritime. Mit Ausschlüssen aus dem PS kennt man sich hier im Languedoc-Roussillon seit dem Ausschluß des Regionalpräsidenten Georges Frêche und dessen Mitstreitern aus, so daß man einschätzen kann, was da an Intrigen abläuft. In einigen Artikeln habe ich darüber berichtet. Bis heute sind nicht alle Ausgeschlossenen reintegriert, darunter solche, die nichts mehr zu tun haben wollen mit ihren Genossen und gar nicht erst den Antrag auf Wiedereingliederung gestellt haben.

Was ist mit Olivier Falorni geschehen?

Der PS rühmt sich, als erste Partei Frankreichs Vorwahlen abzuhalten, um Mitglieder und Sympathisanten entscheiden zu lassen, welche PS-Kandidaten zu den Präsidentschaftswahlen und den Wahlen zur Nationalversammlung antreten sollen. Die UMP des Nicolas Sarkozy ist beeindruckt von so viel Demokratie der Linken und erwägt, es dem PS demnächst gleichzutun. Wenn es der Führungsspitze des PS aber darum geht, ihre Leute auf sicheren Plätzen unterzubringen, dann gilt der Beschluß nicht mehr, und die ehemalige Favoritin des François Hollande und Mutter seiner vier Kinder Ségolène Royal wird von der Pariser Parteizentrale in La Rochelle eingesetzt, parachutée. Dort aber wäre Olivier Falorni dank seiner jahrelangen Parteiarbeit, dank des Aufbaus eines Netzes von Unterstützern, Sieger des Ersten Durchgangs geworden. Er kandidiert gegen Ségolène Royal und erreicht am 10. Juni 2012 die zweite Position (28,91%) hinter ihr (32,03%). Die Kandidatin der UMP scheidet in der politisch linken Stadt im ersten Durchgang aus und empfiehlt, sich am 17. Juni der Stimme zu enthalten. Das sehen zahlreiche UMP- und einige Front National-Wähler anders, darunter der Präsident des zur Region Poitou-Charente gehörenden Département Charente-Maritime Dominique Bussereau (UMP). Sie wollen Ségolène Royal abwählen, und ihre Karriere auf nationaler Ebene beenden; dort strebt sie an, Parlamentspräsidentin zu werden. Der Favoritinnenbetrieb des François Hollande und des PS sowie die Herrschsucht seiner ehemaligen Lebensgefährtin sind allen zuviel, welcher politischen Richtung sie angehören mögen.

Welche Stellung bezieht François Hollande?

Olivier Falorni, opposant de Royal et fidèle de Hollande, Gegner von Royal und Getreuer von Hollande, wie Le Figaro titelt, ist einer seiner ältesten politischen Freunde und Unterstützer, schon zu Zeiten, als sich niemand hat vorstellen können, ihn jemals als Kandidaten zur Präsidentschaft, geschweige denn als Präsidenten zu sehen. Er unterstützt ihn, als keiner an ihn glaubt. Seit Jahren arbeitet er auf eine Kandidatur zur Nationalversammlung hin, und als Maxime Bono, Bürgermeister von La Rochelle und Abgeordneter der Nationalversammlung, auf Grund der Ämterhäufung nicht wieder antreten kann, sieht er seine Stunde gekommen. Sein Freund François Hollande ist Präsidentschaftskandidat und wird ihn unterstützen: "Der natürliche Kandidat, das bin ich," sagt er, aber da eine sichere Position für die ex-Favoritin gesucht wird, auf daß sie als Parlamentspräsidentin in die Nationalversammlung zurückkehre, unterstützt der Bürgermeister Ségolène Royal, und François Hollande läßt seinen Freund fallen.

Ségolène Royal, Regionalpräsidentin von Poitou-Charentes, Amtssitz Poitiers, installiert sich mit zweifelhaftem Wohnsitz in La Rochelle als Kandidatin zur Nationalversammlung, rücksichtslos und ohne eine von den Parteistatuten vorgesehene Wahl, schreibt Nicolas Barotte, im Figaro. Das Vorgehen beleidigt die örtlichen Parteigenossen, die Olivier Falorni in einer Vorwahl als Kandidat bestimmt hätten. Zu Zeiten der Regionalwahlen 2010, da es keinen Vorteil bringt, für François Hollande zu sein, unterstützt ihn Olivier Falorni. Jetzt rächt er sich an Ségolène Royal, und mit ihm alle, die in den letzten Jahren von der Parteiführung in Paris abserviert worden sind. Der Staatspräsident aber sagt zu dem allen nichts, er trägt nicht dazu bei, die Lage zu klären. Der eine und die andere monieren, daß er sich aus dem Streit heraushält. Er ist nicht einmal in der Lage, auf diesem überschaubaren Kampfplatz Autorität zu beweisen. Einerseits scheut er die Auseinandersetzung mit seiner ex-Favoritin, andererseits bedeutet es ihm nichts, einen alten politischen Freund zu desavouieren. Die Umgebung von François Hollande sieht für die Zukunft kein Problem. Gewiß, er hätte die Angelegenheit früher regeln sollen, "aber wenn Falorni erst weg ist ...". Das bedeutet, daß die Parteizentrale dafür sorgen wird, daß Olivier Falorni im PS keine Chance mehr bekommen soll, daß sein Parteiausschluß bestehen bleibt. Der PS ist eh dabei, sich passendere Genossen zu suchen; auf der kommunalen Ebene wird sie zu diesem Zweck Hunderttausenden von außereuropäischen Nicht-Franzosen, hauptsächlich Muslimen, zum aktiven und passiven Wahlrecht verhelfen.

Wer so mit seinen Freunden und seiner eigenen Bevölkerung umgeht, von dem haben seine Verhandlungspartner im Ausland erst recht nichts Gutes zu erwarten. Die Bundesregierung sollte sich niemals auf das Wort des Staatspräsidenten François Hollande verlassen; er ist ein Spielball seiner Favoritinnen und seiner Berater, un jouet de ses favorites et de ses conseillers. Da macht jeder, was er meint. Der neue Erziehungsminister Vincent Peillon beispielsweise stellt als erste Amtshandlung grundsätzliche Reformen des Schulwesens vor: Er will die Sommerferien einen Tag früher beenden und die Herbstferien, zu Allerheiligen, um einige Tage verlängern. Wer solche Reformer unter seinen Ministern hat, der wird auch mit Angela Merkel und der Euro-Krise fertig.

Derweil sagen nach dem Tweet der Favoritin Valérie Trierweiler durchgeführte Umfragen voraus, daß Ségolène Royal in La Rochelle in der Stichwahl, am 17. Juni 2012, mit 45% : 55% von Olivier Falorni geschlagen wird. Wie man den PS inzwischen kennt, wird er dann nicht abgeschoben, sondern in Ehren in den PS wieder eingegliedert. So ist es in der Région Languedoc-Roussillon gewesen, und so wird es im Département Charente-Maritime sein.