14. Oktober 2013

Sebastian Haffner. Die Erinnerungen 1914 - 1933

Wer sich der Mühe unterziehen würde die Regierungszeit Brünings eingehend zu studieren, würde hier schon alle die Elemente vorgebildet finden, die diese Regierungsweise im Effekt fast unentrinnbar zur Vorschule dessen machen, was sie eigentlich bekämpfen soll: die Entmutigung der eigenen Anhänger; die Aushöhlung der eigenen Position; die Gewöhnung an Unfreiheit; die ideelle Wehrlosigkeit gegen die feindliche Propaganda; die Abgabe der Initiative an den Gegner; und schließlich das Versagen in dem Augenblick, wo alles sich zu einer nackten Machtfrage zuspitzt. (S. 85f.)

Es herrschte damals in Deutschland bereits dieselbe krankhafte Sucht unter Hitlers Gegenspielern, ihm alles, was er wünschte, unverdrossen immer wieder und immer billiger anzubieten und geradezu aufzudrängen, wie heute in der Welt [1939 ist gemeint, nicht 2013, obgleich es auch heute paßt]. (S. 104)

Sie [die Deutschen] sind als Nation unzuverlässig, weich, kernlos. (S. 132)

Indem sie irgend jemand - ein Land, ein Volk, eine Menschengruppe - öffentlich mit dem Tode bedrohten, brachten sie es zustande, daß nicht ihre, sondern seine Lebensberechtigung plötzlich allgemein diskutiert - d.h. in Frage gestellt wurde. (S. 138)

Am meisten "links" war zum Beispiel Hessel [ging in die USA (S. 205]), ein Arztsohn mit kommunistischen Sympathien, am meisten "rechts" Holz, ein Offizierssohn, der militärisch und nationalistisch dachte. Aber beide machten auch oft wieder gemeinsame Front gegen uns andere [insgesamt sechs Rechtsreferendare].  ... beide hatten eine kleine heimliche Liebe zum Terror, die bei dem einen mehr humanitär, bei dem anderen mehr nationalistisch verkleidet war. (S. 195)

Das eigene Land hat aber eine ganz andere, viel unersetzlichere Rolle als die der Geliebten; es ist - eben das eigene Land. Verliert man es, so verliert man fast auch die Befugnis, ein anderes Land zu lieben. (S. 208)

Der Vorsichtige, so empfinden wir alle, riskiert in Wahrheit genauso viel wie der Kühne; er verzichtet nur obendrein auf den Rausch der Kühnheit. (S. 214f.)

[Zum Wahlsieg der Deutschen Christen]: "Um Gottes Willen, nun muß man sogar noch um seinen Glauben kämpfen, den man gar nicht mal hat." (S. 226f.)

Sebastian Haffner.Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914 - 1933
DVA, 11. Auflage 2001; 1. Auflage 2000
Geschrieben im Londoner Exil, 1939. Sebastian Haffner, 27. Dezember 1907 - 2. Januar 1999

Sebastian Haffner: Jekyll & Hyde, Secker and Warburg, London 1940

Das Gift der Kameradschaft. Von Sebastian Haffner, DIE ZEIT, 16. Mai 2002

Mit Bleistift auf vergilbtem Papier. Von Jürgen Peter Schmied, DIE ZEIT, 16. Mai 2002

Haffners Zeit im britischen Exil. Der englische Deutsche. Von Volker Ullrich, DIE ZEIT, 16. Mai 2002

Uwe Soukup: Ich bin nun mal Deutscher. Sebastian Haffner. Eine Biografie, Aufbau Verlag, Berlin 2001

Sebastian Haffner gälte heute als rechtsextrem, mindestens jedoch als rechtspopulistisch.