Photo : REUTERS / Jean-Philippe Arles
L'Indépendant widmet dem Ereignis seit Freitag täglich Artikel und ein Interview Richard Pevnys: Le dalaï lama vient à Toulouse partager des valeurs universelles. Der Dalai Lama kommt nach Toulouse, um die universellen Werte zu teilen. Das ist eine schöne Doppeldeutigkeit; denn in der Tat werden die universellen Werte zerteilt und andere von sa sainteté, ihrer Heiligkeit, dazu erklärt. Die Gefolgschaft läßt es willig geschehen, daß nicht mehr die Zehn Gebote, sondern l'amour altruiste, die selbstlose Liebe, und la compassion, das Mitgefühl, zum Ziel aller Religionen erklärt werden. Darunter kann jeder seine Heuchelei und Verachtung ausleben, die Soûtra du coeur, die Sutra des Herzens, Worte von Buddha, Melodie einer Praktikantin, lullen alle und alles ein. Nebenbei erfährt man durch das Interview die politischen Ziele der Veranstaltung, der Dalai Lama wird dargestellt als jemand, der seinem Volk die Demokratie gebracht hat, seine Rolle in der Exilregierung Tibets sei exemplarisch. Die gegen China gerichteten Besuche bei den Staatspräsidenten der Welt, letztens bei Barack Obama, nicht unter Politik, sondern unter den Vorzeichen von altruistischer Liebe und Mitgefühl zu subsumieren, bedarf der Phantasie, aber bei entmachtetem Verstand ist heuer alles zu rechtfertigen.
Richard Pevny schildert die Situation im Sonntagsartikel so:
Sa sainteté est entrée (...) Et puis elle a gravi le petit escalier, a jugé de l'assise du trône en sautillant sur place provoquant des fous rires du public, s'est assise, a coiffé une visière qui la protège des projecteurs. La lecture de la soutrâ du coeur pouvait alors commencer dans un silence ... religieux.
Ihre Heiligkeit ist eingetreten (...) Und dann ist sie die kleine Treppe hochgeklettert, hat den Thronssitz beurteilt, in dem sie dort herumhüpfte und damit Lachanfälle im Publikum auslöste, hat sich hingesetzt, ihre Augen mit einer Blende versehen, die sie vor den Scheinwerfern schützte. Die Lesung der Sutra des Herzens konnte also beginnen in einer ... religiösen Stille.
Wer erinnert sich noch der Solidaritätsveranstaltung mit Robert Redeker, im Saal Jean Mermoz, in Toulouse, am 15. November 2006? Inzwischen sind fünf Jahre vergangen, der Verfall der Vernunft ist nicht aufzuhalten, und Solidaritätsaktionen sind nicht mehr nötig; denn Artikel wie den, vom 19. September 2006, Face aux intimidations islamistes, que doit faire le monde libre ? Was soll die freie Welt gegenüber den islamistischen Einschüchterungen tun? schreibt so schnell keiner mehr, der Autor lebt seit fünf Jahren im Untergrund. Stattdessen strömen sechs- bis siebentausend Jünger des Dalai Lama zu seinen Füßen und sitzen, viele orange kostümiert, verklärten Blickes mit gekreuzten Beinen vor seinem in Gold und Glitter gehüllten erhöhten Thron (!). Die Adorationsindustrie arbeitet auf Hochtouren, in Frankreich gewährleistet die vom 65-jährigen buddhistischen Mönch Matthieu Ricard, einem promovierten Molekularbiologen, geleitete Zweigstelle den präzisen Ablauf. Seine viel in Nepal lebende Mitarbeiterin Raphaëlle Demandre unterstützt ihn in seinem Programm.
Am Samstag titelt L'Indépendant Le dalaï lama accueilli en super-star à Toulouse par 7000 sympathisants. Der Dalai Lama in Toulouse als Super-Star empfangen von 7000 Sympathisanten. Dabei darf auch der meinen Lesern inzwischen hinreichend bekannte alte Lügenbaron Stéphane Hessel nicht fehlen, die Heiligkeitswalze nimmt vom Wegesrand mit, was dem Ziel des Plattmachens unserer Kultur dienlich sein kann. La conférence sur "L'art du Bonheur" lundi sera introduite par Stéphane Hessel, l'auteur du succès de librairie "Indignez-vous !" Die Konferenz über "Die Kunst des Glücks", am Montag, wird eingeführt durch Stéphane Hessel, den Verfasser - nein, nicht der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, sondern des Erfolges in den Buchhandlungen "Indignez-vous !", Empört Euch! Dazu werden auch zwei oder drei Abgeordnete erwartet.
Wer nun meint, das sei des starken Tobaks genug für heute, dem schiebe ich noch dies nach: Sur le côté, des représentants des temples ou des écoles bouddhistes européennes, ainsi que des moines de l'abbaye bénédictine d'En Calcat dans le Tarn, étaient assis en tailleur. An der Seite [des Thrones] saßen die Vertreter der [buddhistischen] Tempel oder der europäischen buddhistischen Schulen sowie, im Ornat, auch die Mönche der Bedediktinerabtei von En Calcat, im Tarn. Die 1890 gegründete Abtei mit angeschlossenem Produktions- und Hotelbetrieb befindet sich 70 Kilometer entfernt von Toulouse.
Toulouse ist die Stadt, in der seit 1369 der Dominikaner Thomas von Aquin (1225 - 1274), einer der einflußreichsten Theologen und Philosophen der Geschichte, 1323 heiliggesprochen von Papst Johannes XXII., in der Kirche des Dominikanerklosters Les Jacobins ruht. (Von 1792 bis 1974 sind seine Gebeine in der Basilika Saint-Sernin, ebenfalls in Toulouse, bestattet.) Er ist den Benediktiner-Mönchen von En Calcat vielleicht nicht bekannt, und so laufen sie lieber einem Scharlatan hinterher.
Christen aller Couleur lassen keine Gelegenheit aus, ihre Religion zu diskreditieren, sich vorführen zu lassen. Der buddhistische französische Mönch lehrt sie, wo es langzugehen hat für den Christen, der sich dem Buddhismus öffnet: Cela peut lui permettre de raviver la compréhension de sa propre tradition en lui consacrant plus de temps avec plus de sincérité et d'en faire une pratique intérieure et pas seulement une sorte de rituel extérieur ou une coutume. Das kann ihm erlauben, das Verstehen seiner eigenen Tradition wiederzubeleben, in dem er ihr mit mehr Ernsthaftigkeit mehr Zeit widmet, und daraus eine innere Praxis zu machen und nicht nur eine Art äußeren Rituals oder eine Gewohnheit.
Das sitzt, davon erhebt sich der ehemalige Christ nur noch als Buddhist!