(Von Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels, Bonn)
Einer ähnlich unbedachten Nachrede, die wohl auf Sinnestäuschung beruht, befleißigte sich auch Kardinal Rainer Maria Woelki, der in seinem Statement im Domradio (24.4.2016) die AfD-Kritik an der politischen Ideologie des Islams, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, mit den geschmäcklerischen Worten kommentierte: „Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.“ Aber nicht die Zunge, sondern das Hirn sollte das bevorzugte Erkenntnisorgan eines Kardinals sein. Dann wäre ihm auch nicht der Satz entfahren: „Wer Ja zu Kirchtürmen sagt, der muß auch Ja sagen zum Minarett.“ Einspruch, Eure Eminenz! Die Grenzen der Religionsfreiheit sind keine Geschmacksfrage, sondern ein uraltes Rechtsproblem angesichts religiös-politischer Perversionen.
Und einen weiteren Einspruch gestatten Eure Eminenz. Er betrifft die Verwendung eines maltesischen „Flüchtlingsbootes“ als Altar für die Fronleichnamsmesse am Kölner Dom. Das Boot, ein kirchlich sinnliches Symbol, zugegeben. Aber wozu dient diese politisierte Liturgie? Sitzt hier Christus in einem Boot mit Schlepperbanditen, Wirtschaftsflüchtlingen, supermännlichen Islamisten und potentiellen Terroristen? Oder vielleicht doch mit verfolgten Christen? Auch hier wäre eine rationale Differenzierung nötig gewesen. Zumal geflüchtete Christen auch im deutschen Exil weiter verfolgt werden.
Leider sind die kritisch-rationalen Stimmen selten geworden. Sonst wäre auch das „Zentralkomitee der Deutschen Katholiken“ nicht auf die Schnapsidee gekommen, bei ihrem jüngsten „Katholikentag“ AfD-Politiker auszusperren. Dieses Komitee führt gewohnheitsmäßig „Dialoge“ mit politischen Parteien, die dem jetzigen politischen Kulturkatholizismus nützlich erscheinen. Auch mit der SPD, der FDP, den Grünen und den Linken. Sogar mit Islamisten.
Wer seit fünfzig Jahren grundsatztreu der CDU angehört, die damals ähnliche Wertpositionen vertrat wie heute die AfD, gerät in den Verdacht, senil oder sentimental zu sein, wenn er nicht langsam über einen Austritt nachdenkt. Die Unfähigkeit, Abschied von der CDU zu nehmen, nährt sich immer noch von der Hoffnung, diese Partei könnte sich womöglich doch noch auf ihr konservativ-christliches Erbe besinnen und damit dem Schicksal entgehen, das der italienischen Democrazia Cristiana (DC) schon 1993 blühte. Immerhin hatte Helmut Kohl noch ein wenig den katholisch-sozialen „Stallgeruch“ behalten – und einen wachen Sinn für medial-demoskopische Entwicklungen, die ihm seinen Machterhalt garantierten.
Seiner ehrgeizigen Nachfolgerin scheinen diese Fähigkeiten zu fehlen. Inzwischen paßt sie sich zwar de facto den masseneinwanderungskritischen Tendenzen an, indem sie die Zugänge zu Europa einzugrenzen versucht, aber das tut sie so halbherzig und zweideutig, daß sie die Zustimmung ihrer Wähler zunehmend einbüßt. Die nämlich wählen vielleicht lieber das Original als die Kopie. „Der Glaube kann Berge versetzen“ verkündete Angela Merkel in einem Fernsehgespräch mit Anne Will, in der sie ihre Flüchtlingspolitik verteidigte. Jedoch mir fehlt der Glaube, mit dem ich die Botschaft des Evangeliums sonst gerne höre.
Sobald sie aber politische Machtansprüche betrifft, werde ich mißtrauisch. Denn die Problemberge, die sich die Bundeskanzlerin aufgehalst hat, lassen sich nimmermehr quasireligiös abtragen beziehungsweise europäisch oder sonstwie „versetzen“. Vielmehr wirft ihre „christliche“ Politik, mit der sie ihre CDU und auch andere politischen Kräfte behelligt, Fragen auf, die früher als Theodizee-Fragen diskutiert wurden: Wie kann ein gnädiger und zugleich gerechter Gott es zulassen, daß eine nahezu unbegrenzte Zuwanderungspolitik ganz gegen den Willen der jeweiligen Ureinwohner stattfindet?
Den Geschichtswillen Gottes kennt natürlich keiner, außer Frau Merkel und ihresgleichen. Auf die C-Parteipolitik übertragen, läßt sich indes fragen: Wie verhält sich ihre Flüchtlings-Gnadenpolitik zum Gerechtigkeitswillen eines Gottes, dem schöpfungs- wie auch trinitätstheologisch die Ordnung näher liegt als das Chaos?
Und wie läßt sich die gegenwärtig chaotische Einwanderungspolitik irgendwie „christlich“ rechtfertigen? Und was hat die CDU überhaupt noch mit dem Christentum zu tun, wenn sie es nicht einmal mehr mit dem christlich tradierten, d.h. vernunftbetonten Naturrecht der Gerechtigkeit zu tun haben will? Gefühlte Barmherzigkeit ohne rationale Gerechtigkeit ist nicht christlich legitimierbar, wußte schon Thomas von Aquin.
Aus dem Editorial von Dominikanerpater Prof. Wolfgang Ockenfels.
Erscheint in Kürze in Die Neue Ordnung Nr. 3/2016!