5. März 2019

Emmanuel Macron oder: Der Größenwahn im Élysée-Palast


"Hast du es gewußt?" empfängt mich der Besitzer meines Stammlokals, in dem ich jeden Morgen frühstücke und das Lokalblatt  L'Indépendant sowie den überregionalen Figaro lese, und das mitten im "Zentrum der Welt", au Centre du monde, "du bist keine Deutsche mehr und ich nicht mehr Franzose, sondern wir sind Europäer!" Wir fallen uns in die Arme: "Endlich vereint!"

Updates, vom 6. und 7. März 2019
PI übernimmt meinen Artikel. Mit Prof. Dr. Jörg Meuthens Kommentar zum Auftritt  des Staatspräsidenten Europas sowie weiteren interessanten Kommentaren!
53 Prozent der befragten Franzosen haben noch nie von Emmanuel Macrons Europa-Essay gehört.

Der Präsident Europas richtet an sein Volk den Aufruf "Für einen Neubeginn in Europa", Pour une Renaissance européenne. In Frankreich Le Parisien und in Deutschland DIE WELT werden durch den Präsidenten geehrt; sie dürfen die Rede veröffentlichen. Die anderen Medien der beiden Staaten erhalten den Scoop erst später; sie kommentieren entsprechend böse. Zum Beispiel:

Macron en appelle à une "renaissance européenne".
Par Marcelo Wesfreid, Le Figaro, 4 mars 2019

Auf der Startseite des Figaro gibt es am 5. März 2019, vier Artikel und eine Umfrage: Avez-vous été convaincu par la tribune d'Emmanuel Macron pour relancer l'Europe ? "Hat Sie die Kolumne Emmanuel Macrons zum Wiederankurbeln Europas überzeugt?" Ja 31%, Nein 69%
41 291 Stimmen. Stand: 6. März 2019, 22 Uhr

EMMANUEL MACRON ZU EUROPA
„Wir dürfen keine Schlafwandler sein“

DIE WELT verbirgt die Worte hinter der Bezahlschranke und hält ihre Leser für bekloppt, daß sie nicht den Text auf der elysischen Website finden, und zwar in 22 Sprachen von 28 der insgesamt 47 europäischen Staaten, wobei die Türkei und Rußland nur zum Teil in Europa liegen, die Türkei zu einem klitzekleinen Teil, wenn man das Vilayet Almanya nicht mitrechnet:

"Bürgerinnen und Bürger Europas", beginnt unser aller Präsident, aber er meint nicht Europa, daher "Für einen Neubeginn in [!] Europa", sondern er meint die Europäische Union, was die Dekoration der Texte mit der Europafahne zeigt: Por un Renacimiento Europeo, "für eine europäische Wiedergeburt/Renaissance", heißt das spanisch wie französisch, "Neubeginn" hieße nouveau départ.

Voor de Vernieuwing van Europa, "für die Erneuerung Europas [= EU!]", lesen die Niederländer, die das Wort "Neubeginn" nicht kennen, wohl aber das Wort "renaissance", mit dem sie aber nicht ein Ansinnen wie das des Emmanuel Macron verbinden, sondern eher ihre Architektur, wenn nicht "Auferweckung" oder "Comeback". Da wäre das Europa des Präsidenten schon verstorben. Per un Rinascimento europeo, "für eine europäische Renaissance", ist das Manifest italienisch betitelt, Il Manifesto; es steht auch auf der Website des George-Soros-eigenen Project Syndicate.

Daneben klickt man auf Europe, Please Wake Up des Menschenfreundes, "Europa, bitte, wach auf!"

For European Renewal, heißt es britisch, "für europäische Erneuerung", und er behauptet, die Entscheidung für den Brexit wäre durch "die Lüge und Verantwortungslosigkeit" zustande gekommen, the lie and the irresponsibility. Citizens of Europe, "Bürger Europas", redet er die Remainers und Leavers im Angesicht des in drei Wochen bevorstehenden Brexits in der Financial Times an, wobei die einen wahrscheinlich denken: Was haben er und sein Monsieur Michel Barnier getan, uns einen für Briten, Schotten und Iren annehmbaren Vertragsentwurf zuzugestehen, und die Brexiteers seufzen: Wären wir doch endlich von diesem Ballast namens MakrelMercon befreit!

So legt er von Anfang an für Leser in den jeweiligen Ländern unterschiedliche Fährten. In den Überschriften für die von der EU mehrheitlich überzeugten Staaten ist Europa Hauptwort, er setzt es gleich mit der Europäischen Union, für die EU-skeptischen Staaten ist es Eigenschaftswort: "europäisch".  Man muß diese ja nicht sofort mit dem Wort "Europa" verschrecken!

Francia, seine französische Provinz Europas, schätzt er korrekt als EU-skeptisch ein, genannt "euroskeptisch". Den Begriff bezeichnet der Duden treffend als "Politikjargon".

Im Text geht es um die "Europawahl", obgleich nur in der EU gewählt wird. Die Aneignung ganz Europas hat nach Landsmann Napoléon zuletzt Adolf Hitler versucht und ist damit gescheitert, aber beide haben wenigstens darum gekämpft und nicht nur Sprüche geklopft. Die Zerstörung der Nationalstaaten ist nicht so einfach, mon Président ! Da nützt auch keine in 22 Sprachen geforderte Einrichtung einer Agence européenne de protection des démocraties, einer EU-Behörde, angeblich gegen Cyberattacken und Wahlmanipulationen. Stattdessen geht es um eine Zensurbehörde, die Bürger der EU auf Linie zu bringen und ihre Kritik an der EU, am Islam und an der zügellosen Einwanderung als "Haßreden" zu denunzieren.

Rußland, immerhin ein europäischer Staat, der aber nicht als solcher gemeint ist, sondern als Feind, dem abgesprochen wird, zu Europa zu gehören, Rußland bezichtigt er unausgesprochen der Finanzierung von Parteien der EU und der Einmischung in deren Angelegenheiten. Er will "unseren Kontinent schützen" durch eine gemeinsame Grenzpolizei mit britischer Beteiligung, zur Regelung der Einwanderung eine "Europäische Behörde für Asyl" schaffen, un office euopéen de l'asile, seit seinem Amtsantritt sein Wunsch, einen "Vertrag über Verteidigung und Sicherheit" abschließen sowie eine "Europäische Klimabank" zur Finanzierung des "ökologischen Überganges" einrichten.

Marcelo Wesfreid schreibt in seinem Artikel, daß Emmanuel Macron der Bundeskanzlerin von seinem Brief berichtet und die nichts dagegen einzuwenden gehabt hätte. Sie wird ihn noch symbolischer einschätzen als den Vertrag von Aachen, mit dem beide die EU beerdigt haben. Die 26 anderen Staaten zählen eh nicht sonderlich - und er nicht bei ihnen.


In Frankreich geht es derweil drunter und drüber, die Gelbwesten protestieren seit 16 Wochen, immer mehr durchsetzt mit Krawallmachern, ein Ende ist nicht in Sicht. Reformen, die ihren Namen verdienen,  gibt es nicht, es sei denn, man rechnete die Herabsetzung der Geschwindigkeit auf Landstraßen von 90 km/h auf 80 km/h als eine solche, die Abgaben der Bürger und die Ausgaben des Staates steigen. Der Geschwätzpolitiker Emmanuel Macron tingelt als Wahlkämpfer seiner Bewegung LREM, La République en marche, durch Frankreich und lauscht den Sorgen der Provinzler.

Eine Wiederwahl wird ihm vorausgesagt. Warum soll es Frankreich besser gehen als uns! 😜

Updates, vom 6. und 7. März 2019

Frankreichs Präsident spricht von Europa, meint aber die EU
Emmanuel Macron oder: Der Größenwahn im Élysée-Palast, PI, 6. März 2019

AfD - Alternative für Deutschland. Jörg Meuthen: 
Macron soll erst Frankreichs Probleme lösen, bevor er sich als Europas Retter inszeniert