27. April 2011

Israel hat ein Dilemma?


Wenn man im Figaro nicht nahezu täglich Angriffe gegen Israel und seine Politiker lesen müßte, könnte man mit den Redakteuren und Korrespondenten Mitleid bekommen. Zwar wurde Patrick Saint-Paul nach Berlin entsorgt, wo er nur dann gegen Israel geifern kann, wenn Israels Premierminister in Berlin weilt oder andere deutsch-israelische Ereignisse anstehen, aber im Pariser Hauptquartier des Figaro und in Jerusalem wirken genug kongeniale Israelhasser. Eine Zusammenfassung des Standes der Dinge kann man in einem meiner Artikel, vom August 2009, lesen: Frankreich. Im Figaro hört die Israelfeindschaft nimmer auf.


Der Korrespondent Marc Henry geht zögerlicher ans Werk, aber das Ergebnis steht dem des Patrick Saint-Paul in nichts nach, im Gegenteil, die Botschaft, nicht plump herausgeschrien, kommt wahrscheinlich sogar besser an. Sie ist ein Ergebnis der Unkenntnis Israels und des Judentums. Die Verantwortlichen des Figaro, angefangen beim Mehrheitseigner Serge Dassault, einem zum Katholizismus konvertierten Juden, Sohn des Marcel Bloch, schicken auf Grund der Interessen des Serge Dassault in den arabischen Staaten bewußt solche Mitarbeiter nach Israel, die einen Zugang zu Land und Leuten gar nicht erst haben. Es erinnert mich an meine Zeit als Studentin der Iranistik in Teheran, Mitte der 60er Jahre, wo mir der damalige Botschafter Franz Josef Bach erklärt, Grund Nummer Eins, daß ich, wenn im Auswärtigen Dienst tätig, niemals in den Iran geschickt würde, wären meine Liebe zu dem Land und meine Sprachkenntnisse. Man wolle nicht mit dem Iran fraternisieren, sondern die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Iran vertreten. Dieser Politik der Ignoranz setzt erst Außenminister Willy Brandt ein Ende. Im Figaro aber scheint der Ansatz weiter gepflegt zu werden.

Wenn man den Artikel Le dilemme d'Israël à Bachar el-Assad liest, das Dilemma Israels bezüglich Bashar al-Assad, dann wird einem klarer, warum solche Berichterstatter wie Marc Henry nicht begreifen können, was Israel trotz seiner gegen ein Drittel gehenden nichtjüdischen Bevölkerung zum "jüdischen Staat" macht, was selbst atheistische Juden antreibt, sich für ihren Staat einzusetzen, und warum sich nur der allerunterste Bodensatz von jüdischen Wissenschaftlern der Hebrew, Tel Aviv und Ben Gurion Universitäten auf die Seite der Israelfeinde schlägt.

Zunächst aber zum Artikel. "Die israelischen Medien weisen mit Sorge auf die Möglichkeit eines in Syrien ausbrechenden Bürgerkrieges hin, von dem die Muslimbrüder Vorteil ziehen könnten," ist der Anreißer, und so geht es weiter:

"Benyamin Netanyahu hat von seinen Ministern gefordert, sich betreffend Syrien bedeckt zu halten. Diese Anweisung des Regierungschefs zeigt sehr gut den Abgrund der von den Demonstrationen gegen das Regime des Bashar al-Assad hervorgerufenen Ratlosigkeit, aber auch ein tiefes Gefühl der Ohnmacht. Wie es die sehr weitschweifigen Kommentatoren und Experten in den Medien unterstreichen, findet sich Israel einem Dilemma gegenüber."

Die Figaro-Leser lernen, daß Marc Henry in Jerusalem sitzt, Zeitung liest und Fernsehen guckt. Ein Internet-Abo der Jerusalem Post und Haaretz sowie eine gute Salatschüssel auf dem Dach des Penthauses in Paris täten's auch, es käme den Figaro billiger, und so könnten vielleicht die Verkaufspreise für die "vente forcée" der Wochenendausgaben gesenkt werden; sie betragen heuer 4,50€ für die Hochglanzwerbung, während die Zeitung sonst für 1,40€ über den Ladentisch geht.

Marc Henry zitiert Meïr Litvak, den Direktor des Zentrums für iranische Studien und Forschungsstipendiaten am renommierten Moshe Dayan Zentrum für Nahost- und afrikanische Studien der Tel Aviv Universität, mit Binsenweisheiten, für die ein aufmerksamer Zeitungsleser seiner nicht bedarf, es würden sogar die Nachrichten der ARD-Tagesschau ausreichen. Bashar al-Assad sei das kleinere Übel, seine Reaktionen berechenbar, sein Fall würde die "Achse des Bösen", bestehend aus dem Iran, Syrien, der Hezbollah und der Hamas, schwächen, den vier gefürchtetsten Feinden Israels. Hätte man's ohne Professor Meïr Litvaks Erkenntnisse gewußt? Und Marc Henry, seit Jahren Korrespondent des Figaro, weiß das nicht selbst, dazu bedarf es eines Professors? Oder ist es die übliche Art, sich hinter anderen zu verstecken?

Ist Meïr Litvak nötig, dem Korrespondenten mitzuteilen, daß die Rolle Syriens seit Jahren ist, den Transit iranischer Waffen an Hezbollah und Hamas zu gewährleisten? Wie armselig!

Auch die Operation Israels und die ausbleibende Reaktion Bashar al-Assads, im September 2007, gegen die nuklearen Abenteuer Syriens, kann der Korrespondent nicht allein einschätzen, sondern versteckt sich hinter "allen ausländischen Experten". In die Zukunft blickt für ihn der Professor der Geschichte des Nahen Ostens Itamar Rabinovitch, ebenfalls von der Tel Aviver Universität.

Ein verzweifelteter, in Bedrängnis geratener Bashar al-Assad könnte gemeinsam mit den Iranern einen Versuch wagen, im Libanon einen Konflikt mit Israel oder im Gazastreifen zu entfachen, "um die Aufmerksamkeit von der Lage im Innern Syriens abzulenken." Wessen Aufmerksamkeit? Der mit Muslimbrüdern durchsetzten Demonstranten? Der "internationalen Staatengemeinschaft"? Nordkoreas?

Um zum Anreißer des Artikels zurückzukommen: Der Fall des Alawitenregimes, vertreten durch Bashar al-Assad, würde den Muslimbrüdern zum Vorteil gereichen, würde, nicht "könnte". Georges Malbrunot hat dazu alles Wissenswerte gesagt, der Jerusalem-Korrespondent hätte nur die Äußerungen seines Kollegen zur Kenntnis zu nehmen brauchen. "Hassem Bin Jassem, Premierminister von Qatar, des einzigen mit Damaskus befreundeten arabischen Staates, ist gekommen, um ihm [Bashar al-Assad] eine Botschaft des Emirs al-Thani zu überbringen." Diese Botschaft aus dem wahhabitischen Scheichtum kann nicht anders lauten, als den organisierten Sunniten, den Muslimbrüdern, Teil an der Macht einzuräumen, auf Gedeih und Verderb der Alawiten, Syrien aus dem Machtbereich des Iran zu lösen. Der Einzug des Niqab in die syrischen Universitäten reicht nicht mehr aus. Damit aber fielen die Ambitionen des Iran in Abgründe, Hassan Nasrallah, der Stellvertreter des Iran gegen Israel, wäre mit all seinen Waffen im Süden des Libanon isoliert, der Nachschub bis auf weiteres unterbrochen. Khaled Mashaal, in seinem Hauptquartier in Damaskus, müßte sich erst einmal bemühen, die neuen sunnitischen Machthaber davon zu überzeugen, daß die Hamas, wie sie im Artikel 2 ihrer Verfassung behauptet, eine Zweigstelle der Muslimbrüder ist. Dessen können sich die Sunniten seit Jahren nicht mehr sicher sein.

Was also soll unter diesen Bedingungen das Dilemma Israels sein? Vor welchem "Abgrund der von den Demonstrationen gegen das Regime des Bashar al-Assad hervorgerufenen Ratlosigkeit" sollen Regierung und Bevölkerung Israels stehen? Warum "ein tiefes Gefühl der Ohnmacht"? Meint Marc Henry allen Ernstes, die Israelis wären von den Ereignissen in Syrien überrascht, hätten keine Erklärung, keinen Rat? Meint er, sie hätten Barack Obamas Kairoer Rede, vom 4. Juni 2009, nicht analysiert? Benjamin Netanyahu antwortet dem POTUS, im Begin-Sadat Center, Ramat-Gan, zehn Tage später.

Und ohnmächtig sähe der Korrespondent Israel wohl gern?

Die islamischen Staaten sind gegenwärtig in einem Ausmaß miteinander beschäftigt, daß in zwei Stunden Iran PressTV nicht ein einziges Mal die Wörter Juden, jüdisch, Israel fallen. "Bahrain Revolution", "Bahrain Crackdown", "Libya Revolution", "Libya War", "Syria Unrest", "Yemen Revolution" sind die Themen, die ausreichend Argumente gegen den Erzfeind Saudi-Arabien und seine Verbündeten bieten. Nur eine Unterzeile berichtet, daß eine Gaspipeline von Ägypten nach Israel im Sinai angegriffen worden ist. Im Bericht über den "War in Afghanistan" geht es darum, daß ein Offizier der afghanischen Luftwaffe in einem Streit acht NATO-Soldaten und einen zivilen Betreuer der Schutztruppe erschießt, bevor er liquidiert werden kann. Auf der Website von Iran PressTV gibt's Einzelheiten aus der Sicht des Iran. Im SPIEGEL kann man die deutsche Version der Nachricht lesen.

Selbst das "Gaza Movement" wird nur noch unter dem Aspekt der Ermordung des italienischen Aktivisten Vittorio Arrigoni abgehandelt, der von Salafisten, also von terroristischen Sunniten, umgebracht worden ist. Diese sind angesetzt, das iranische Projekt in Gaza zu beenden. Die Mitarbeiterin von PressTV Konvertitin Yvonne Ridley, Präsidentin der International Muslim Women's Union Europe (IUMW), einer NRO, wie die ebenfalls vom Iran gelenkte Islamic Human Rights Commission (IHRC) mit Sonderstatus beim UN Economic and Social Council (ECOSOC) [sic!], interviewt Ewa Jasiewicz. Die Autorin von Al-Guardian ist Gewerkschafts- und Gaza-Aktivistin sowie Mitherausgeberin der polnischen Edition von Le Monde diplomatique, des "Diplo"; sie erwähnt Israel einmal im Nebensatz. Entgegen der Meinung der Haaretz, die sich wie Marc Henry hinter den Zitaten anderer versteckt, und mancher Blogger-Meinung, die die Liquidierung der Aktivisten Juliano Mer-Khamis und Vittorio Arrigoni most likely at the hands of Mossad sehen, kennen die Iraner ihre Gegner besser, und in diesen Krisenzeiten ist kein Raum für Spiele auf Nebenschauplätzen.

Kaum geschrieben, schon überholt. In den 19 Uhr Nachrichten, unter "Egypt Anger": "Holt die Flagge runter," rufen Israelfeinde in Kairo; gemeint ist die israelische. Der Iran hat also noch reichlich Kapazitäten für Propaganda nach allen Seiten. Der "Hamas-Fatah Deal" ist ebenfall ein Hit im Iran PressTV. Die Jerusalem Post weiß darüber mehr.

Israel braucht trotzdem nur abzuwarten, und das tut die Regierung des Benjamin Netanyahu. Es ist, ungeachtet der Weitschweifigkeit israelischer Journalisten, nicht dem von Marc Henry ausgemachten "Abgrund von Ratlosigkeit" und "einem tiefen Gefühl der Ohnmacht" geschuldet, sondern der Tatsache zu danken, daß sich Juden in entscheidenden Situationen der passenden Stellen ihrer Torah erinnern:

  • "Der Ewige wird für euch streiten und ihr möget still sein." (Exodus 14:14)
  • "Der Ewige euer Gott, der vor euch herziehet, er wird für euch streiten ganz so, wie er an euch getan in Mizrajim vor euern Augen." (Deuteronomium 1:30)
  • "Fürchte sie nicht (alle Königreiche, wohin du ziehest); denn der Ewige euer Gott, er ist es, der für euch streitet." (Deuteronomium 3:22)