14. April 2011

Syrien. Ein Bericht des Nahostkorrespondenten Georges Malbrunot

Verläßliche Informationen über die Lage der Welt oder des Kindergartens der Nachbarschaft zu bekommen, ist heuer schwierig. Das Personal der MSM überbietet einander darin, seine bzw. die Meinung seiner Brötchengeber und der mit ihnen befreundeten Politiker unters Publikum zu streuen, die deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten sind darin führend. Noch ehe überhaupt in einem Satz mitgeteilt wird, um welches Ereignis, welche Tatsache es geht, stimmt der Autor sein Publikum ein, in welche Richtung es zu denken und zu fühlen hat: Barack Obama Weltpräsident.


Wenn Le Figaro davon trotz seiner Obama-Wahlkampfartikel von 2008 eine Ausnahme macht und letztlich nicht auf den Altpapierhaufen der Geschichte gehört, dann dank seines Nahostkorrespondenten Georges Malbrunot. Was er berichtet, im Blatt und auf seinem Blog Von Baghdad bis Jerusalem, ist immer informativ und spannend.


Le Figaro kennt den Wert seines Grand Reporter, und darum ist der Artikel der Seite 2 über Syrien im Internet nur Abonennten vorbehalten: Le clan Assad à l'épreuve de la rue syrienne. Der Assad-Clan auf dem Prüfstand der syrischen Straße. Er definiert leider nicht, was er unter der "rue syrienne" genau versteht, oder wer die "Revolutionäre" sind, aber im Verlauf des Artikels wird es klarer, auch, daß der Aufruhr Latakia, Baniyas und Aleppo erreicht hat, das Zentrum der schiitisch-alawitischen Minderheit, aus der die Familie stammt. Syrien ist zu 75 Prozent sunnitisch und zu 6 Prozent alawitisch, der Rest sind Zwölferschiiten, Ismaeliten, Druzen sowie etwa 15 Prozent Christen verschiedener Richtungen.


Aber auch Georges Malbrunot benennt nicht klar die Rolle, die der Islam spielt, er läßt einen ehemaligen Diplomaten von "politischen Ursachen" der Demonstrationen sprechen. Die Rolle Qatars, dessen Herrscher einerseits für arabische Verhältnisse "liberal" ist, der aber andererseits der wahhabitischen Richtung des Islam angehört, wird nur indirekt dargestellt: Was tut der Premierminister Qatars jetzt in Syrien?


Ich übersetze einen kleinen Teil des ganzseitigen Artikels, den er unter das Motto stellt: Seine Umgebung drängt den Präsidenten Bashar al-Assad, sich für eine blutige Unterdrückung der Syrien seit mehr als einem Monat erschütternden Demonstrationen zu entscheiden. Auf die Gefahr hin, sonst die Überlebenschancen des Regimes zu verringern.


Die Schlüsselrolle der sunnitischen Bürgerschaft


... Unter dem Druck hat die syrische Nummer Eins versucht, den Kurs zu ändern. Hassem Bin Jassem, Premierminister von Qatar, des einzigen mit Damaskus befreundeten arabischen Staates, ist gekommen, um ihm eine Botschaft des Emirs al-Thani zu überbringen, ihn einschüchternd, zu "tun, was zu tun ist, widrigenfalls entgehst du nicht der allgemeinen Logik." Im Angesicht der Verurteilungen Washingtons, Paris und Londons, hat die Macht einige Zugeständnisse gemacht, aber indem sie da hinein ihre gute alte Sicherheitssicht einblendete. Für Bashar al-Assad, setzt der Experte fort, "ist die syrische Gesellschaft zusammengesetzt aus drei Kategorien von Personen: den Kurden, den Muslimbrüdern und dem ganzen Rest, das heißt, den Unterworfenen, derer man sicher ist. Bashar hat sich gesagt: 'Ich naturalisiere die Kurden,' wobei er dachte, daß das sie befrieden werde. 'Ich lasse den Niqab in die Universitäten einziehen, um die Islamisten zu besänftigen. Was die anderen angeht, die behandelt man wie gewöhnlich mittels der Geheimdienste.' Aber im Augenblick haben weder die einigen verteilten "Karotten" noch die Angst vor dem drohend geschwungenen Stock ausgereicht. Schlimmer noch, die Straße macht sich her über Personen des Assad-Clans. In Deraa ist das Porträt von Hafez, seinem Vater, verbrannt worden, so wie auch das von Bashar vor dem Offiziersclub, in Homs. Was die Städte gemischter Konfessionen angeht, wie Latakia und Baniyas, da haben die Sunniten genug davon, diesem Sohn Assads oder jenem anderen Sprößling des Alawitenclans zu unterstehen," stellt ein ehemaliger Diplomat fest.


Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob das Regime ein hoffnungsloser Fall ist. Bashar al-Assad kann auf vollständige Abwesenheit ausländischen Eingreifens setzen sowie auf die Angst Israels wie der Jordaniens vor einem Machtwechsel in Damaskus, ohne dabei die Befürchtungen der christlichen und druzischen Minderheit zu vergessen. Aber "in dem Maße, wie er sich weigert zu sehen, daß die Herausforderung politische Ursachen hat, wird der Aufstand weitergehen," ergänzt der Diplomat, der den Circulus vitiosus aufzeigt, dem sich der syrische Führer gegenübersieht: "Wenn er die politischen Ursachen des Konfliktes angeht, werden ihn die Demonstranten auffordern zurückzutreten wie vor ihm Ben Ali und Mubarak."